Dies ist der zweite Teil meiner Sami-Reihe. Wer den ersten Teil noch nicht gelesen hat, kann dies hier nachholen: Die Geschichte der Samen im Hohen Norden Europas (Teil 1) | EuropaBlog (uni-bremen.de)
Der Beginn des samischen Widerstands
Trotz der jahrhundertelangen Unterdrückungen erhoben sich die Samen ab dem frühen 20. Jahrhundert gegen die Assimilationspolitik. Der Widerstand begann aufgrund der Erkenntnis, dass die samische Kultur und Identität in Gefahr waren, völlig ausgelöscht zu werden.
Die ersten samischen politischen Organisationen entstanden im frühen 20. Jahrhundert. Die erste bedeutende samische politische Bewegung war die Gründung des „Samenkomitees“ in Norwegen am 6. Februar 1917, das sich für die Rechte der Samen einsetzte. Dieser Tag ging in die Geschichte ein, da es das erste Mal war, dass sich die Ureinwohner*innen Nordskandinaviens länderübergreifend politisch organisierten. Daher ist dieser Tag noch heute der Nationalfeiertag der samischen Bevölkerung. Es folgten ähnliche Organisationen in Schweden und Finnland. Diese frühen Bewegungen waren entscheidend, um die Rechte der Samen auf Land und Kultur wiederherzustellen.
Besonders entscheidend war die Arbeit der norwegischen Samin Elsa Lauda, welche die treibende Kraft hinter dieser Konferenz war. Sie war eine der ersten, die offen für die Rechte der Samen eintrat und ihre Situation publik machte. Eines der Hauptziele bestand vor allem darin, für die Samen ein eigenes Netz aus Institutionen aufzubauen.
Die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs
Eine wirkliche Gleichberechtigung war jedoch noch lange nicht in Sicht. Denn während des Zweiten Weltkriegs litt das samische Volk erneut unter den Folgen von Besatzung und Zwangsumsiedlungen. Vor allem in Norwegen wurden viele samische Siedlungen von den deutschen Besatzern zerstört, und die Menschen wurden gezwungen, in den Süden Norwegens zu fliehen. Nach Ende des Krieges kehrten viele wieder in ihre Heimat zurück, andere hingegen ließen sich an anderer Stelle nieder und wurden dort zum Teil auch sesshaft. Der Grund dafür war, dass manche Gebiete nicht wieder aufgebaut werden konnten und viele auch an die Sowjetunion fielen.
Die 1960er und 70er Jahre: Auf dem Weg zur politischen Anerkennung
Durch die UN-Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1948 wendete sich für die samische Bevölkerung schließlich vieles zum Besseren. Ein entscheidender Wendepunkt in der Geschichte der samischen Rechte war außerdem der sogenannte Alta-Konflikt in Norwegen in den späten 1970er Jahren. Die norwegische Regierung plante, einen großen Staudamm am Fluss Alta zu errichten, was bedeutete, dass ein Teil des traditionellen samischen Landes überflutet werden würde. Dies führte zu großangelegten Protesten, bei denen Samen, aber auch Umweltschützer und andere Aktivisten, sich gegen das Projekt stellten.
Der Konflikt zog internationale Aufmerksamkeit auf sich und führte zu einer stärkeren Sensibilisierung für die Rechte der Samen und den Schutz ihres Landes. Obwohl der Staudamm letztendlich gebaut wurde, markierte der Alta-Konflikt einen Wendepunkt in der samischen Geschichte. Er führte zu einem größeren Bewusstsein der Öffentlichkeit dafür, dass die Samen ein Anrecht auf die Verteidigung ihrer Kultur und ihres Landes haben.
Der Widerstand gegen Projekte wie den Alta-Staudamm und die zunehmende internationale Unterstützung für indigene Rechte führte zur Gründung des ersten Nordischen Samenrats. Bei diesem handelte es sich um eine länderübergreifende Nichtregierungsorganisation, an der zunächst Sami aus Norwegen, Schweden und Finnland beteiligt waren. Russland kam erst später hinzu. Im Jahr 1973 entstand schließlich auch das erste Sami-Parlament in Norwegen. Kurz darauf folgten ähnliche Parlamente in Schweden (1993) und Finnland (1996). Diese Parlamente haben jedoch nicht die gleichen Befugnisse wie nationale Parlamente. Sie haben vor allem beratende Funktionen, aber sie geben den Samen eine Plattform, um ihre Anliegen und Interessen in nationalen politischen Prozessen zu vertreten.
Es wurde schließlich auch die samische Sprache an den Schulen zugelassen, ebenfalls errichtete man neue Einrichtungen, wie z. B. ein Kulturzentrum für die Südsami oder ein samisches Museum in Karasjok. Diese positive Entwicklung führte dazu, dass die Ureinwohner*innen Lapplands in allen drei Nordischen Ländern mehr und mehr erfolgreich für ihre Rechte eintreten konnten.
Das norwegische Sámi Parlament befindet sich übrigens auch in der Stadt Karasjok, welches ich auf einem Kurztrip zum Nordkapp besuchen konnte.
Beide Fotos zeigen das samische Parlament in Karasjok, Norwegen.
Quelle: Eigene Fotos
Politische Mitsprache und Anerkennung heute
Heute haben die Samen in Norwegen, Schweden und Finnland eine offizielle politische Vertretung und genießen mehr Rechte als jemals zuvor. In Norwegen etwa ist das samische Parlament (Sámediggi) in der Verfassung verankert und hat eine beratende Rolle in allen Angelegenheiten, die das samische Volk betreffen.
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Anerkennung der samischen Rechte war die Ratifizierung internationaler Abkommen, die die Rechte indigener Völker schützen. Die Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Schutz indigener Völker, die Norwegen 1990 ratifizierte, war ein Meilenstein für die Samen. Schweden und Finnland haben dieses Abkommen bisher jedoch nicht ratifiziert, was zu fortlaufenden Diskussionen über die vollständige Anerkennung der samischen Rechte führt.
Ein zentrales Thema der politischen Mitsprache der Samen sind die Landrechte. Viele samische Gemeinschaften leben von der Rentierhaltung, die von der Nutzung großer Landflächen abhängt. Die zunehmende Entwicklung von Industrieprojekten wie Windkraftanlagen und Bergbauprojekten stellt eine Bedrohung für die traditionelle Landnutzung dar. In Norwegen hat das samische Parlament eine beratende Rolle bei der Entscheidung über solche Projekte und es gibt eine anhaltende Debatte darüber, wie die Rechte der Samen an ihrem Land besser geschützt werden können.
Die moderne Lebensweise der Samen
Zuletzt möchte ich darauf eingehen, wie die Samen es schaffen, ihre Traditionen in das moderne Leben heutzutage zu integrieren und ihren Kulturen dabei trotzdem treu zu bleiben. Denn diese traditionelle Lebensweise mit der modernen Welt, in der wir leben, zu verbinden, ist eine große Herausforderung.
Die Rentierhaltung ist nach wie vor ein zentrales Element der samischen Kultur, doch sie ist heute vielen Herausforderungen ausgesetzt. Der Klimawandel, der in der Arktis besonders stark zu spüren ist, verändert die Weideflächen und erschwert die Rentierhaltung. Zudem führt der Ausbau von Infrastruktur und Industrieprojekten zur Fragmentierung des Landes, was die traditionelle Wanderung der Rentierherden erschwert.
Trotz dieser Herausforderungen haben viele samische Gemeinschaften innovative Wege gefunden, um ihre traditionelle Lebensweise mit modernen Technologien und Wirtschaftsmethoden zu verbinden. GPS-Technologien und Drohnen werden inzwischen zur Überwachung von Rentierherden eingesetzt. Viele samische Familien kombinieren Rentierhaltung mit anderen Einkommensquellen wie Tourismus oder Kunsthandwerk.
Ich hatte beispielsweise durch mein Seminar über die Samen die Möglichkeit echte Handwerkskunst einer Samin kennenzulernen und mit ihrer Hilfe einen traditionellen Schlüsselanhänger aus Teilen eines Rentiergeweihs zu kreieren. Diese Geweihe werfen die Rentiere übrigens einmal im Jahr von selbst ab, es wurde dafür also keinem Rentier Schaden zugefügt.
Traditionelle Handwerkskunst erkennt man an einem bestimmten Symbol, welches im unteren Bild zu erkennen ist. Leider gibt es gerade in touristischen Orten, wie auch Rovaniemi, unzählige Nachahmungen von Sámi-Kunst, welche nicht von Samen selbst hergestellt wurden und ihnen daher auch finanziell nichts bringen. Es ist deshalb wichtig darauf zu achten, welche Artefakte tatsächlich echte Sámi-Kunstwerke sind.
Der Schlüsselanhänger, welchen ich selbst basteln durfte. In eine Scheibe aus Rentiergeweih ist das Wort „Rovaniemi“ eingeritzt.
Quelle: Eigenes Foto
Über dem Schmuckstück ist das Symbol, welches für echte Sámi-Handwerkskunst steht, zu erkennen.
Quelle: Eigenes Foto
Auch die Wiederbelebung der samischen Kultur und Sprache ist ein wichtiger Aspekt des modernen Lebens der Samen. In den letzten Jahrzehnten gab es erhebliche Bemühungen, die samische Sprache zu revitalisieren, die in vielen Regionen fast ausgestorben war. Es wurden samische Schulen gegründet, und die Sprache wird zunehmend in den Medien und der Politik verwendet.
Gleichzeitig ist die samische Kultur heute nicht mehr nur auf traditionelle Formen beschränkt. Samische Künstler, Musiker und Schriftsteller haben begonnen, ihre Kultur auf kreative Weise mit modernen Formen des Ausdrucks zu verbinden. Künstler wie die samische Sängerin Mari Boine haben internationale Anerkennung gefunden und tragen dazu bei, das Bewusstsein für die samische Kultur zu stärken.
Fazit
Wie hoffentlich im Laufe dieses Zweiteilers klar wurde, ist die Geschichte der Samen, eine von Widerstand, Überleben und kultureller Wiederbelebung. Trotz der jahrhundertelangen Unterdrückung und Assimilationsversuche haben die Samen es geschafft, ihre Rechte zu verteidigen und ihre Kultur in der modernen Welt zu bewahren. Die politischen Errungenschaften der Samen, wie die Gründung der samischen Parlamente und die Anerkennung ihrer Landrechte, sind wichtige Schritte auf dem Weg zu einer vollständigen Anerkennung ihrer Rechte als indigene Bevölkerung. Doch der Kampf ist noch nicht zu Ende. Die Samen stehen weiterhin vor Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf den Schutz ihres Landes und ihrer traditionellen Lebensweise in einer sich rasch verändernden Welt.
Daher liegt es an uns allen, ihre Geschichte in die Welt zu tragen und dafür zu sorgen, dass sich Schicksale, wie das ihre und das vieler anderer indigener Völker nicht wiederholen.
Quellen:
Geschichte Sami Archive – NORDIC
Die Geschichte der Sami (nordeuropa-reisen.de)
Visit the Sámi Parliament – Sametinget
Sowie eigene Notizen, aus den Seminaren der University of Lapland.
Beitragsbild: Eigenes Foto
Ein wunderbarer Artikel, der das Interesse an dieser Kultur weckt. Bravo!
Danke!