Während meines Auslandssemesters in Rovaniemi, Finnland, hatte ich die Möglichkeit viel über Finnlands Kultur und Geschichte zu lernen. Ich belegte einige Kurse, welche mir das Leben und die Traditionen des indigenen Volkes der nordischen Länder Europas, der Samen, oder auch Sámi genannt, näherbrachten. Ich persönlich wusste bis dato nur wenig über die Samen, doch je mehr ich über sie lernte, desto mehr realisierte ich, wie wichtig es ist, über ihre Bräuche und Lebensweisen aufzuklären. Denn, wie auch andere indigene Völker, wie beispielsweise die Inuit in Kanada und Grönland oder die Maori in Neuseeland, welche nur zwei Beispiele von rund 5.000 indigenen Völkern weltweit sind, wurden auch die Samen für sehr lange Zeit unterdrückt und misshandelt. Diesem Schicksal, welches viele indigene Menschen noch heutzutage zu tragen haben, unterliegen die Samen inzwischen glücklicherweise kaum noch. Doch auch sie haben die Möglichkeit ihre Traditionen frei auszuleben immer noch nicht zu hundert Prozent zurückbekommen.
In diesem ersten Teil meiner Blog-Reihe möchte ich die Samen und ihre Geschichte daher zunächst einmal vorstellen, um im zweiten Teil schließlich auf aktuelle Ereignisse und die gegenüber den Samen einzugehen.
Wer sind die Samen?
Die Samen sind kurzgesagt die Ureinwohner*innen der nordischen Länder Norwegen, Schweden, Finnland und der Kola- Halbinsel Russlands. Dieses Siedlungsgebiet wird daher auch als Sápmi bezeichnet. Geprägt ist das Leben der Samen von traditionellen Praktiken wie dem Fischen, Jagen, Sammeln und der Rentierzucht. Es wird geschätzt, dass es heute noch 70 bis 80 Tausend Samen gibt. Doch ihre Geschichte begann schon vor mehr als 10.000 Jahren.
Ursprung und Frühgeschichte der Samen
Archäologische Funde weisen darauf hin, dass die Samen schon seit etwa 7.000 bis 10.000 Jahren in den nördlichen Regionen Skandinaviens ansässig sind. Diese frühen Samen lebten als Jäger und Sammler und nutzten die natürlichen Ressourcen ihrer Umgebung auf nachhaltige Weise. Ihre Hauptnahrungsquellen waren Wildtiere wie Rentiere und Fische oder auch Pflanzen wie Beeren und Pilze. Mit der Zeit entwickelten sie Techniken für die Rentierhaltung, was zum zentralen Element ihrer Kultur wurde.
Die Samen waren im frühen Mittelalter weitgehend unabhängig und lebten in kleinen Gemeinschaften. Sie waren nomadische oder halbnomadische Hirten und jagten Rentiere, die für sie nicht nur als Nahrungsquelle dienten, sondern auch als Grundlage für Kleidung und Werkzeuge. Rentierherden wurden in der weiten Landschaft Lapplands bewegt und die Samen entwickelten ein tiefes Wissen über das Verhalten dieser Tiere sowie über die Ökologie des Landes. So zogen die Samen mit ihren Herden von den Sommer- zu den Winterweiden.
Besondere Relevanz für die Samen besitzt außerdem ihr Glauben. Bis zur Christianisierung existierte in der Kultur der Samen noch eine Form von Schamanismus. Für sie ist die Natur beseelt und so brachten sie Felsen und Seen Opfergaben. Aufzeichnungen darüber gab es vor allem in Form von Felskunst und Malereien auf traditionellen Sámi-Trommeln, welche eine sehr große Rolle im Leben der Samen spielen. Die Designs und Landschaften, die auf den Trommeln zu finden sind, erzählen Geschichten über die Denkweise und das Leben der Samen und demonstrieren im Allgemeinen etwas, das mein Professor an der Uni in Lappland als die „Existenz eines gemeinsamen Gedächtnisses“ bezeichnet. Gerade, dass wir während meines Auslandssemesters in Finnland ein eigenes Seminar über diese traditionellen Trommeln, sowie mehrere Exkursionen dazu hatten, deutet darauf hin, wie wichtig diese für die Samen sind. In den unteren Bildern sind solche Trommeln, welche wir während der Exkursion betrachten durften, zu sehen.
Quelle: Eigene Fotos
Die Christianisierung und erste Formen der Unterdrückung
Mit dem Aufkommen des Christentums im frühen Mittelalter begannen die Samen, in den Fokus von Missionaren zu geraten. Die ersten Versuche, die Samen zu christianisieren, fanden im 11. und 12. Jahrhundert statt. Die christlichen Missionare sahen die samischen Glaubensvorstellungen als heidnisch an und versuchten, ihre Praktiken zu unterdrücken. Das polytheistische Glaubenssystem der Samen, welches eng mit der Natur und den Geistern ihrer Umgebung verbunden war, wurde als Bedrohung für das Christentum angesehen.
Im Zuge der Christianisierung wurden auch die samischen Schamanen, die „Noaidi“, verfolgt. Sie spielten eine zentrale Rolle in der samischen Gesellschaft, da sie als spirituelle Führer fungierten und in die Heilung, Weissagung und Kommunikation mit den Geistern involviert waren. Viele Noaidi wurden aufgrund ihrer Rolle in der samischen Religion getötet oder vertrieben. Auch wurden ihnen die traditionellen Trommeln weggenommen und verbrannt. Dies war der Beginn einer langen Phase der kulturellen Unterdrückung, die sich über Jahrhunderte erstrecken sollte.
Die Kolonisierung des Nordens
Ab dem 16. Jahrhundert begann die Kolonisierung des samischen Gebiets durch Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. In dieser Zeit wurden die Samen zunehmend durch die wachsenden nationalstaatlichen Strukturen an den Rand gedrängt. Die Regierungen dieser Länder versuchten, ihre Kontrolle über das Gebiet zu erweitern und die Ressourcen der Region zu nutzen, was zu Konflikten mit den Samen führte.
Ein bedeutender Wendepunkt war die Einführung von Steuern. Die Samen wurden gezwungen, Steuern an die Regierungen zu zahlen, obwohl sie traditionell ein Leben in Einklang mit der Natur führten und kein Konzept von Landbesitz kannten. Diese Steuerlast führte zu einer zunehmenden Abhängigkeit der Samen von den nationalstaatlichen Autoritäten und trug zur Erosion ihrer traditionellen Lebensweise bei.
Parallel zur wirtschaftlichen Unterdrückung wurden die Samen auch kulturell marginalisiert. Ihre eigene Sprache, Samisch oder auch Saami genannt, wurde als rückständig angesehen, und sie wurden dazu gedrängt, die Sprachen der dominierenden Nationalstaaten, wie finnisch oder schwedisch zu lernen und ihre eigene Kultur aufzugeben.
Versklavung und Zwangsassimilation
Obwohl die Samen nie im traditionellen Sinne „versklavt“ wurden, erlitten sie doch eine Form von systematischer Versklavung und Unterdrückung durch die nationalen Regierungen, die versuchten, sie in die dominierenden Kulturen zu assimilieren. Vor allem im 19. und 20. Jahrhundert erlebten die Samen eine intensive Phase der Zwangsassimilation.
In Norwegen beispielsweise führte die Regierung eine Politik der „Norwegisierung“ ein, die darauf abzielte, die samische Identität vollständig auszulöschen. Kinder wurden in Internaten untergebracht, in denen das Sprechen der samischen Sprache streng verboten war. Diese Schulen waren oft weit von den Heimatdörfern der Kinder entfernt, und viele verloren den Kontakt zu ihrer Familie und ihrer Kultur. Diese Praxis hatte verheerende Auswirkungen auf die samische Kultur und führte zu einem weit verbreiteten Verlust der Sprache.
In Schweden und Finnland verlief die Unterdrückung ähnlich. Die Samen wurden gezwungen, sich den nationalen Identitäten anzupassen, und ihre Kultur wurde als minderwertig angesehen. Auch hier wurden samische Kinder aus ihren Familien entrissen und auf besondere Schulen geschickt, um sie von ihrer Kultur zu entfernen und sie umzuerziehen. Seitdem verschwand die Religion der Samen aus der Öffentlichkeit und durfte nur noch im Verborgenen gelebt werden. Einige Traditionen der Samen wurden jedoch mündlich von Generation zu Generation überliefert und blieben somit bestehen, wie etwa das „Jojken“, ein traditioneller und zeremonieller Gesang, der oft durch Trommeln begleitet wird.
Wirtschaftliche Ausbeutung und Umweltzerstörung
Neben der kulturellen Unterdrückung litten die Samen auch unter der wirtschaftlichen Ausbeutung und Umweltzerstörung durch die nationalen Regierungen. Das samische Land, das reich an natürlichen Ressourcen wie Holz, Mineralien und Wasser ist, wurde zunehmend von den Regierungen kontrolliert und für wirtschaftliche Zwecke ausgebeutet.
Der Bau von Staudämmen, Minen und Forstbetrieben zerstörte nicht nur die natürliche Umwelt, auf die die Samen angewiesen waren, sondern vertrieb sie auch aus ihren traditionellen Siedlungsgebieten. Dies führte zu einem weiteren Verlust ihrer nomadischen Lebensweise und zwang viele Samen in die städtischen Gebiete, wo sie oft in Armut lebten und ihre traditionelle Lebensweise aufgeben mussten.
In Rovaniemi, der Stadt, in der ich mein Auslandssemester verbrachte, gibt es außerdem das Arktikum, ein Museum, welches einem die Geschichte und Unterdrückung der Samen auch nochmal ausführlich näherbringt.
Das Arktikum in Rovaniemi von Außen.
Quelle: Eigenes Foto
Das Arktikum von Innen.
Quelle: Eigenes Foto
Doch trotz jahrhundertelanger Unterdrückungen haben die Samen es geschafft, viele ihrer Traditionen zu bewahren. In den letzten Jahrzehnten hat es eine zunehmende Bewegung zur Wiederbelebung der samischen Kultur gegeben. Wie dies stattgefunden hat und welche Bedeutung dabei politischer Widerstand sowie die Anerkennung der Rechte der Samen hatten, wird im zweiten Teil dieser Reihe geklärt.
Zum zweiten Teil geht es hier: Die Geschichte der Samen im Hohen Norden Europas (Teil 2) | EuropaBlog (uni-bremen.de)
Quellen:
https://www.skandinavia.de/post/die-vergessene-religion-der-samen
https://www.nordkap-nach-suedkap.de/samen-skandinavien-norwegen-indigene/
https://www.lappland.info/finnisch-lappland/geschichte.html
Sowie eigene Notizen, aus den Seminaren der University of Lapland.
Beitragsbild: Eigenes Foto
Toll und interessant geschrieben.
Helga