Oder wo sind eigentlich schon wieder alle Nicht-Cis-Männer, wenn es spaßig wird?

von Katharina (‘Kina’) Schmitz, ergänzt von Greta Sondej

Abb. 1.: Copyright © Ryan McGuire 2014/ Pixabay

Alle haben sich sicher schon mal gefragt, wie aus 99 Festivalbesucherinnen 100 Festivalbesucher werden, sobald ein Mann in den tanzenden und feiernden Mob stolpert. Puff, sind alle selbstbewusst feiernden Frauen einfach weg.

Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde ursprünglich auf Deutsch verfasst. Aufgrund der aktuellen Debatte um das Gendern im Deutschen, wurde der Artikel ergänzt (kursiver farbiger Text) und für alle, die Deutsch als Fremdsprache lernen wollen, ins Englische übersetzt. Die ursprüngliche Version des Artikels ist nach wie vor erhalten.

Woher kommt das?  Frauen werden im Deutschen auf der Ebene des Sprachsystems durch androzentrischen Sprachgebrauch unsichtbar gemacht, aber auch durch individuellen Sprachgebrauch diskriminiert. Androzentrisch bedeutet, dass die männliche Form zur Bezeichnung von Personen als neutral erklärt und einer neutralen, weiblichen oder mehrere Geschlechter umfassenden Formulierung vorgezogen wird.

„Deutsche Sprache, schwere Sprache” ist ein beliebter Satz, den Deutschsprachige gerne schimpfen, wenn sie an ihrer eigenen Sprache verzweifeln. Ähnlich einer Art der Anerkennung wie herausfordernd die am häufigsten gesprochenen Muttersprache Europas sein kann. Und die rezente Debatte wie das Gendern im Deutschen aussehen soll, macht es nicht einfacher. Jedoch ist eine Auseinandersetzung unumgänglich, wenn man Sprache und Kommunikation inklusiver gestalten möchte. Wer heute Deutsch als Fremdsprache lernen und es im Beruf anwenden möchte, wird nicht um das Gendern herumkommen.

Problematisch ist dies, weil die von uns gewählte Sprache auch unser Denken und unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit beeinflusst. Ganz gerade heraus heißt das: was ich nicht höre oder sage, wird für mich auch undenkbar. Auch wenn die männliche Form von Künstler und Festivalbesucher als neutral gehandelt wird, zieht die Doppelaufgabe dieser sprachlichen Form unser Denken in Richtung Künstler als männliche Person, die Kunst produziert.

Menschen, die mit geschriebener und gesprochener Sprache umgehen, haben hier besonderen Einfluss und Verantwortung. Zu diesem Personenkreis zählen die, die diese vermitteln, in den Medien Sprache verbreiten oder professionell Texte veröffentlichen. Zur letzten Gruppe gehören Studierende potentiell auch, denn eine Vielzahl wird sich auch im späteren Berufsleben hiermit auseinandersetzen.

Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, um die im Sprachsystem verankerte Inkongruenz von Genus und Sexus zu regulieren.

In der deutschen Sprachwissenschaft bezeichnet man mit Genus das grammatikalische Geschlecht und mit Sexus das natürliche (biologische) Geschlecht.

Jedes Substantiv hat ein grammatikalisches Geschlecht (Genus) (die Bühne, das Mikrofon und der Bass), jedoch hat beispielsweise kein Gegenstand ein tatsächliches Geschlecht (Sexus). Das Genus kann hier also nur willkürlich sein. Anders sieht es bei Personen, Tier- und Verwandtschaftsbezeichnungen sowie Berufsgruppen aus. Diese Ausnahmen haben ein tatsächliches Geschlecht, sodass das Genus dem Sexus folgen kann (und deswegen auch sollte).

Es gibt Empfehlungen, wie Sprache zu gebrauchen sein kann, um Frauen (und andere, nicht-Cisgender) sichtbar zu machen. Es geht hier um die faire und symmetrische Bezeichnung der Geschlechter. Zusätzlich gibt es auch stetig wachsende Personengruppen, die sich nicht als einem der Geschlechter Mann oder Frau zugehörig identifizieren oder die sich bewusst der binären Benennung, die in unserem Sprachsystem vorgesehen war und immer noch reproduziert wird, entziehen. Für deren Status kannte unser Sprachsystem ursprünglich keine Benennung. Doch auch hier wachsen im Zuge von Sensibilisierungsprozessen sprachliche Strukturen.

Das Ziel von geschlechtergerechter Sprache ist also nicht, wie viele Medienakteur_innen uns weismachen wollen, uns zu gängeln, sondern die Sensibilisierung gegenüber geschlechtlicher Diskriminierung in der gängigen Sprachverwendung bzw. dem aktuellen Sprachsystem und deren deshalb nötige Regulierung. Das Gendern ist eine Form des Eingriffs in das lebendige, sich ständig wandelnde Sprachsystem, um es nach unseren Wünschen zu gestalten. Das ist nämlich nicht verboten.

Wie Gendern funktionieren kann

Beim Gendern handelt es sich um einen sprachpolitischen Eingriff in das aktuelle Sprachsystem, der zielgerichtet Ungleichheiten abbauen soll. Langfristiges Ziel ist ein faires Sprachsystem.

Bis dahin gibt es zwei Möglichkeiten, mit dem Androzentrismus unserer Sprache umzugehen (ihn in Ruhe zu lassen, zähle ich jetzt bewusst nicht als Möglichkeit):

  • Mehrfachnennung (Differenzierung, Splitting und gerechte Ansprache) und
  • Neutralisation, also die geschlechtsneutrale Formulierung (Wortzusammensetzungen, geschlechtsneutrale Pluralbildung oder die Verwendung von Neutralbezeichnungen).

Klingt zu abstrakt? Keine Panik! Es folgen gleich noch Beispiele.

Das häufig gebrauchte Argument der Verzerrung von Sprache und dass diese durch geschlechtergerechte Sprachverwendung unlesbar würde, ist erwiesenermaßen falsch. Es braucht lediglich eine kurze Eingewöhnung, nach der Texte genauso flüssig gelesen werden wie solche, die ein generalisierendes Maskulinum benutzen. Dem Vorwurf kann aber zusätzlich, durch geschickte Umformulierungen, beigekommen werden.

Hier gilt wie in jeder Disziplin: der Anfang ist schwer und Übung macht vieles leichter. Bei häufiger Verwendung werden die Formulierungen für viele zur Routine und einige finden sogar Spaß daran, mit den Formulierungen zu experimentieren, da so verwendete Sprache Texte durchaus auch positiv beeinflussen kann.

Abb. 2: Copyright © RahulPandit 2020/ Pixabay

Möglichkeiten der Mehrfachnennung

In der Differenzierung kann über den Artikel sichtbar gemacht werden, ob Männer oder Frauen gemeint sind. Das ist die einfachste Form fairer Sprachverwendung, da sie sich auf eine Gruppe männlicher und/oder weiblicher Individuen bezieht. Bleiben wir einmal bei unserem Beispiel aus der Überschrift.

Reines Männerfestival:

Eine handverlesene Auswahl von Künstlern brachte die Festivalbesucher in Schwingung.

Reines Frauenfestival:

Eine handverlesene Auswahl von Künstlerinnen brachte die Festivalbesucherinnen in Schwingung.

Ein Festival, das von Männern und Frauen besucht wird:

Eine handverlesene Auswahl von Künstlern und Künstlerinnen brachte die Festivalbesucher und -besucherinnen in Schwingung.

Vielen wird auch das große Binnen-I bekannt sein:

Es ist eine nicht standardisierte Möglichkeit, bei Substantiven, die mit Personen zu tun haben, die Geschlechtszugehörigkeit zu kennzeichnen, indem ein Großbuchstabe “I” in dem von Kleinbuchstaben umgebenen Wort verwendet wird.

Es macht Frauen sichtbar und verschafft ihnen sprachlich einen Raum. Im Anfangsbeispiel etwa so:

Eine handverlesene Auswahl von KünstlerInnen brachte die FestivalbesucherInnen in Schwingung.

Die letzte und vermutlich fairste Variante der Differenzierung ist der Geschlechterzwischenraum in seinen aktuellen Varianten:

Gendergap (mit einem Unterstrich “_” gekennzeichnet):

Eine handverlesene Auswahl von Künstler_innen brachte die Festivalbesucher_innen in Schwingung.

Eine weitere aktuelle Version, die wir auch auf dem  Science Blog benutzen ist das Gendersternchen bzw. Asterisk (mit einem Sternchen „*“ gekennzeichnet)

Eine handverlesene Auswahl von Künstler*innen brachte die Festivalbesucher*innen in Schwingung.

Möglichkeiten der Neutralisation

Statt zwischen unterschiedlichen Geschlechtern zu differenzieren und diese sichtbar zu machen, ist es auch möglich, sich für eine neutrale Formulierung zu entscheiden. Dies ist manchmal schwierig in einen bestehenden Satz einzupflegen und erfordert etwas Fingerspitzengefühl, kann aber ganz neue Perspektiven auf den Inhalt des Geschriebenen eröffnen.

Neutrale Bezeichnungen sind nicht immer möglich, für die Künstler*innen gibt es aber andere neutrale Formulierungen. Alle Vorschläge zur Neutralisierung sind untereinander kombinierbar.

Eine handverlesene Auswahl von Künstler*innen brachte die Feiernden auf dem Festival in Schwingung.

Wortzusammensetzungen bieten eine weitere Möglichkeit, das Geschlecht sprachlich zu neutralisieren, dabei wird häufig -schaffend, -kraft, -person oder ähnliches an die besagte Formulierung gehängt.

Eine handverlesene Auswahl von Kunstschaffenden brachte die Festivalbesucher*innen in Schwingung.

Geschlechtsneutrale Pluralbildung dürfte den meisten bekannt sein, durch Umbenennungen der “Studentenwerke” in “Studierendenwerke” oder eben den “Studentenausweis” in “Studierendenausweis”.

Eine handverlesene Auswahl von Künstler*innen brachte die Festivalbesuchenden in Schwingung.

oder

Eine handverlesene Auswahl Musizierender brachte die feiernde Menge in Schwingung.

Freiere Umformulierungen können immer dann helfen, wenn Konstrukte, die nach dem Gendering entstanden sind, tatsächlich mal sperrig wirken oder schlicht nicht zu funktionieren scheinen. Hier einmal 2 Beispiele in denen ich etwas freier mit dem vorliegenden Satz umgegangen bin.

Zu handverlesener Musik kam die Festivalgemeinde in Schwingung.

oder

Alle kamen bei der handverlesenen Musikauswahl auf dem Festival in Schwingung.

 

Wichtig ist es, nicht in Panik zu verfallen. Natürlich sollten Sätze, die gegendert wurden, kongruent bleiben und es sollte ein Wille und Wissen um die Möglichkeit geschlechtergerecht zu schreiben erkennbar sein, aber da wir nun mal in einem Sprachsystem aufgewachsen sind, in dem geschlechtsspezifische und vor allem männliche Benennungen gang und gäbe sind, können sich solche Formulierungen einschleichen.

 

Du brauchst noch weitere Informationen oder Tipps und Tricks zur Umsetzung?

Orientierungshilfe für eine gendergerechte Sprache an den Hochschulen im Land Bremen

Geschickt gendern – Das Genderwörterbuch

Du willst dich weiter wissenschaftlich mit dem Thema auseinandersetzen? Hier zwei Literaturtipps:

Pusch, Luise F. (1990): Alle Menschen werden Schwestern: feministische Sprachkritik. Erstausg., 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Samel, Ingrid (2000): Einführung in die feministische Sprachwissenschaft. 2., überarb. und erw. Aufl. Berlin: de Gruyter.

Bildnachweis 

 [1] Copyright © Ryan McGuire 2014 auf Pixabay; URL:
https://pixabay.com/de/photos/grimasse-lustig-ausdruck-maske-388987/ [Letzter Zugriff: 23-Nov-2021]

[2] Copyright © RahulPandit 2020 auf Pixabay; URL: https://pixabay.com/de/photos/konzert-leistung-musik-festival-4768496/ [Letzter Zugriff: 28-Nov-2021]