von Ronja Gronemeyer

Die diesjährige WissensWerte, DAS Forum für Wissenschaftsjournalismus aus Bremen, bot nicht nur die Gelegenheit viele Facetten, sondern auch viele Gesichter des Wissenschaftsjournalismus kennenzulernen.  Der vorangegangene Artikel diskutiert ‘Was’ und ‘Wie’ 2022 über Wissenschaft berichtet wird. Dieser Artikel widmet sich der Frage: ‘Wer’ berichtet aktuell im Wissenschaftsjournalismus? 

Grafik von Katja Berlin

Ertappt! Die Grafik von Katja Berlin (im Foto zweite von links) pointiert: Eine Gruppe reiner Expertinnen überrascht. Beim Thema ‘Frauenquote…’ überrascht sie vielleicht weniger 😉 Trotzdem: Nur Frauen im Panel, sollte keinen Rückschluss auf ein Klischee-Frauenthema (Menstruation? Erziehungswissenschaften oder die Wirkung von Pränatal-Yoga?) erlauben…

Das Panel von Links nach rechts: Christina Berndt [Wissenschaftsjournalistin des Jahres 2021], Katja Berlin [Schöpferin der ‘Torten der Wahrheit]’,  Oda Lambrecht [Pro Quote], die Chemikerin Prof. Thisbe Lindhorst von der Universität Kiel. Bildquelle: Eigene Aufnahme

Vielleicht ist dieses ‘Wer’ sogar die zentralste Frage, denn die Autor*innen sind letztendlich entscheidend: Sie sind für die Recherche verantwortlich und entscheiden ‘Was’ und ‘Wie’ berichtet wird. [mehr: Confirmation Bias]. Wie steht es aktuell um die Diversität der Stimmen? Warum müssen wir 2022 immer noch um Frauenquote und Quotenfrauen debattieren? Dieser Artikel gibt kurze Einblicke. Beginnen wir mit einem Klassiker, der (frustrierend aktuellen) Debatte um die Frauenquote.

Frauenquote und Quotenfrauen  – Aus Frust wird eine Session

Holger Hettwer [Programmmacher der WissensWerte, rechts] und Susann Morgner [Geschäftsführerin von Congressa, einer Agentur für Wissenschaftskommunikation, im Foto zweite von rechts] äußern sich frustriert: Es falle ihnen schwer, ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in ihren Programmen zu erreichen. Häufig würden Wissenschaftlerinnen, Journalistinnen und Expertinnen ihre Einladungen ablehnen. In vielen Shows wären nur 20% der eingeladenen Fachleute weiblich [Quelle].

Warum?  Solche Fragen tragen die beiden Moderatorinnen in eine offene Diskussionsrunde mit Fishbowl Format.

Quotenfrauen

Vierzig Frauen aus Spitzenpositionen bekannten sich im Spiegel dazu, Quotenfrauen zu sein, also dank fester Quote ihre Position erhalten zu haben. Beispiele aus der Wissenschaft sind die Transformationsforscherin und studierte Politökonomin Prof. Maja Göpel oder die erste Professorin für Chirurgie Prof. Doris Henne-Bruns von der Uni Ulm. Mit ihrem Bekenntnis wollen die Frauen dem Begriff das Stigma nehmen. Falsche Scham sollte Frauen nicht zurückhalten, Angebote und Einladungen zu akzeptieren. Solange es kein ausgewogenes Geschlechterverhältnis gibt, brauchen wir vielleicht Frauenquoten und Quotenfrauen [mehr: ProQuote].

Im Namen der WissensWerte fragen sie: “Warum Frauen immer absagen – und was wir anders machen müssen”.  Vier Frauen antworten: Christina Berndt [Wissenschaftsjournalistin des Jahres 2021], Katja Berlin [Schöpferin der ‘Torten der Wahrheit]’,  Oda Lambrecht [Pro Quote] und die Chemikerin Prof. Thisbe Lindhorst von der Universität Kiel.  Das Fishbowl-Panel zum Thema ‘Warum Frauen immer absagen’. Gemeinsam mit dem Publikum wird nach Antworten gesucht, besonders nach Ideen, um die Situation zu verbessern. [Hinweis:  Der folgende Abschnitt stützt sich überwiegend auf in der Session getroffene Aussagen.]

Katja Berlin verdeutlicht: Die Frauenquote braucht Quotenfrauen. Frauen sollten sich nicht schämen, wegen ihres Geschlechts begünstigt zu werden…

Warum schlagen Frauen Einladungen aus?

Es gibt viele Gründe, warum Frauen die Einladung zu öffentlichen Auftritten oft ablehnen. Bild: Eigene Zeichnung

Vielleicht der häufigste Grund für Absagen: die Familie. Die Familie, die lange Anreisen und auswärtige Übernachtungen schwierig mache. Die Familie, für die Frauen oft mindestens 50 Prozent der Sorge und Care-Arbeit übernehmen würden. Familienmodelle, in denen Männer ihren akademisch erfolgreichen Frauen zuhause den Rücken freihalten, wären statistisch eher die Ausnahme. Andersherum (erfolgreicher Wissenschaftler, Frau zuhause) würde es  deutlich häufiger vorkommen. Natürlich sind hier ‘gefühlte Wahrheiten’ dabei, einige der Aussagen sind schwer mit Zahlen zu belegen.  Konsens bleibt: Junge Wissenschaftlerinnen stehen unter hohem Druck, ihre Karriere aufzubauen, zu forschen und zu publizieren. Für öffentliche Auftritte gäbe es wenig Anerkennung aus der eigenen Community, keine Entlastung an anderer Stelle. Durch die hohe Arbeitsbelastung (oft Doppelbelastung) fehlten oft die Kapazitäten, Einladungen anzunehmen. Schlimmer noch: Frauen, die sich auf die Bühne wagen, riskieren, angegriffen zu werden. Von Shitstorms bis Drohungen und Stalking, abschreckende Beispiele gibt es genug. Katja Berlin betont, wie wichtig eine gute Psychohygiene für alle Frauen ist, die sich ans Licht der Öffentlichkeit wagen.

Katja Berlin illustriert: Egal wie Frau es macht, macht sie es verkehrt! EIGENTLICH sollten Frauen ihre Entscheidungen bezüglich Familie und Karriere nicht begründen, rechtfertigen  oder erklären müssen. Doch es bleibt ein zäher Kampf, sich von Ansprüchen und Erwartungen zu befreien…

Sie ergänzt, dass übertriebener Perfektionismus oft dazu führt, dass Frauen sich Einladungen nicht zutrauen, wenn sie sich nicht für hundertprozentige Expertinnen für ein Thema halten. Männer würden in dieser Situation eher mal sagen: ‘Ach, ich mach’ das schon.’ Frauen sagen eher ab.

Und was passiert nach der Absage? Schlägt Frau eine andere Frau vor? Oder macht es dann doch wieder ein Mann? Hoffentlich eine Frau. ‘Aber wer will denn schon die Quotenfrau sein?’, wird gefragt. ‘Wer nimmt gerne eine Einladung an, bei der sie offensichtlich ‘die Frau’ repräsentiert?’

‘Ich!’, wird aus dem Panel geantwortet und erklärt, es gäbe gute Gründe, auch solche Einladungen anzunehmen [siehe Box Quotenfrauen]. Jede Frau erhöhe die Sichtbarkeit von Frauen in männerdominierten Branchen – und die eigene Sichtbarkeit. Denn wer sich nicht präsentiert, wer nicht kommt, wird nicht gekannt und nicht (wieder) eingeladen. Ein hoher Druck, der auf den Frauen lastet.

Genau genommen ist die Debatte um eine Frauenquote stark vereinfacht. Gender ist non-binär, soviel ist 2022 Konsens. Eine Debatte um die Frauenquoten sehen wir als einen winzigen Baustein im Schritt zu mehr Diversität. Leider bleibt es aber ein Baustein, der oft noch wackelt. Ein weiterführender Artikel weitet die ‘Frauenfrage’ zu einer aktuellen Genderdebatte auf und liefert Hintergrundwissen zur aktuellen biologischen Geschlechterforschung [mehr zu: Journalismus und Geschlecht].

Druck auf beiden Seiten

Auch Veranstalter stehen oft unter Druck, dem Anspruch, einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis gerecht zu werden. Die Aussage ‘es gibt keine geeigneten Frauen’ wird 2022 kaum noch akzeptiert. Plattformen wie academia-net.org listen Expertinnen aus allen Bereichen der Wissenschaft und auch die Institute haben Mitarbeiter*innenverzeichnisse. Veranstalter, Medien und Redaktionen sind also gefordert, gezielt zu suchen und hartnäckig ‘dranzubleiben’, damit Frauen die Wissenschaft in der Öffentlichkeit vertreten. Dies kann ein Baustein sein, um mehr Frauen für den MINT-Bereich zu begeistern. Eine Aufgabe, die trotz zahlreicher Initiativen (links) noch lange nicht abgeschlossen ist. Eine abschließende Antwort, wie sich der Frauenanteil in Expert*innenrunden, Panels, Podien, Talkshows und öffentlichen Diskussionen erhöhen lässt, findet sich nicht.  Das wäre auch zu viel verlangt von einer Session. Doch selbst wo dies gelingt, bleiben die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Probleme bestehen. Mit bitterbösen Impulsen und einer guten Prise Ironie schaffen es die ‘Torten der Wahrheit’, die Stimmung im Panel mit ein paar Lachern aufzulockern. Kunstvolle Kuchenkreationen mit bitterem Nachgeschmack, denn das Thema ist ernst. Neben Frauen sind auch viele andere gesellschaftliche Gruppen unterrepräsentiert. Da es sich oft um nicht oder kaum vergütete Zusatzarbeit handelt, können es sich einige einfach nicht leisten, Einladungen anzunehmen. Je weniger Zeit und Geld zur Verfügung steht, desto schwieriger wird es, in diese ‘Sahnehaube’ des wissenschaftlichen Arbeitens zu investieren.  Zusätzlich haben Menschen, die gesellschaftlichen Minderheiten angehören, bei öffentlichen Auftritten ein deutlich höheres Risiko angefeindet zu werden. Da wird gut überlegt, ob es sich lohnt, eine Einladung anzunehmen.

Schade bis fatal: Wissenschaft in der Öffentlichkeit zu repräsentieren sollte nicht nur einer kleinen, privilegierten Gruppe vorbehalten bleiben.

Beschränkungen in der Berichterstattung: Wissenschaft ist komplex und oft nur mit großem Fachwissen zu durchdringen. Für tiefgehenden Wissenschaftsjournalismus ist eine große Expertise und Spezialisierung notwendig. Dadurch beschränken sich die Stimmen, die über ein Thema berichten, automatisch. Oftmals wird ein (natur-)wissenschaftliches oder technisches Fachstudium vorausgesetzt. MINT-Fächer sind traditionell männerdominiert, bis 2019 erreichte der Frauenanteil der MINT-Akademer*innen nie die 25% [Quelle]. Je höher die Karrierestufe, desto geringer der Frauenanteil [Quelle], wie das Netzwerk MINT-Vernetzt Anfang 2022 berichtet. Zusätzlich zum Fachstudium brauchen Wissenschaftsjournalist*innen meist eine Zusatzqualifikation im journalistischen Bereich, beispielsweise durch ein redaktionelles Volontariat. Inzwischen kann Wissenschaftsjournalismus auch direkt studiert werden, z.B. in Berlin und Dortmund. Trotzdem gibt es noch immer viele Quereinsteiger*innen und der Ausbildungsweg ist lang.

Wissenschaftsjournalismus bleibt gut ausgebildeten Akademiker*innen vorbehalten. Dieser Expert*innenkreis hat dann die Aufgabe, ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Eine Aufgabe, deren Bedeutung jährlich zunimmt. 2022 ist es ohne ein Grundverständnis wissenschaftlicher Inhalte kaum mehr möglich, am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen. Die Corona- und Klimakrise sind dafür offensichtliche Beispiele. Neben diversen Formaten ist ein gutes Gespür für die Zielgruppe entscheidend. Dafür braucht es Empathie und am besten müssen die Wissenschaftsjournalist*innen ihre Zielgruppe kennen. Faktoren wie Alter, Geschlecht, Soziale Herkunft, Bildung oder politische Grundhaltungen können unseren Zugang zu Informationen beeinflussen. Je diverser die Stimmen der Berichterstattung, desto wahrscheinlicher könnte es sein, den richtigen Ton für das Publikum zu finden.  Kurz: Diversität von Wissenschaftsjournalist*innen  ist ein schwieriges und wichtiges Thema.

Vorsicht, Meinung! Wie diese beiden Artikel diskutiert haben, geht Wissenschaftsjournalismus häufig über Fakten hinaus. Im Folgenden ein persönliches Resümee.

Die Wissenswerte – unser Fazit:

Wer berichtet? Überwiegend Menschen aus Bildungs- und Akademikerkreisen. Die redaktionellen Leitungspositionen sind (cis)-männlich dominiert [mehr]. Konsens: Eine größere Diversität ist hier wünschenswert.  Initiativen bemühen sich, den Frauen im Journalismus zu stärken [mehr]

Wie sollte berichtet werden?  Die Berichterstattung sollte um Neutralität bemüht und durch vielseitige Formate einem möglichst breiten Publikum zugänglich sein.

Was wird berichtet? Schnell vermischen sich Fakten, Halbwahrheiten und Meinungen.  Im Journalismus dominieren tendenziell ‘akute’ Themen und Krisen. Deswegen ist der Anteil der Klimaberichterstattung im Verhältnis zum Ausmaß der weltweiten Katastrophe meiner Auffassung nach zu gering.

Was soll berichtet werden? FAKTEN. Keine Halbwahrheiten. Meinungen sollen klar gekennzeichnet werden und den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs widerspiegeln.

Mein abschließender Kommentar: Neutralität in aufgeheizten Debatten zu bewahren fällt schwer. Die Versuchung, dem Publikum eine Auffassung zu suggerieren, um der populistischen Meinungsmache (z.B. von rechts) etwas entgegenzusetzen liegt nahe. Ich halte es für wichtig, dieser Versuchung zu widerstehen. Kurzfristig mag eine solche Beeinflussung Erfolg haben, langfristig können diese Berichterstattungen die Glaubwürdigkeit der Medien weiter schwächen.  Meinungen sollten klar geäußert und als solche gekennzeichnet sein. Der Ton, also das ‘Wie’ der Berichterstattung, sollte im Allgemeinen sachlich bleiben. Gleichzeitig muss der  Anspruch, absolute Neutralität zu wahren, zunehmend hinterfragt werden. Insbesondere bei Klimathemen verschiebt sich die Rolle rein objektiver Beobachtung zu Journalismus mit wertbasierter Haltungen. Das Spannungsverhältnis zwischen journalistischer Objektivität und politischem Engagement beschäftigt viele junge Journalist*innen.

Doch: Wenn Wissenschaftsjournalismus Skandale erzeugt, sollten die Inhalte und nicht die (z.B. stark polemische) Form der Berichterstattung Auslöser für die Debatten sein. Oft sind die Fakten skandalös genug!  Die Auswahl der Fakten, also das ‘was’ berichtet wird, entscheiden  die Autor*innen. Jede Stimme und jeder Algorithmus hat einen Bias,  das lässt sich (noch) nicht ändern. Wichtig ist, sich dessen bewusst zu sein [mehr]. Der individuelle Bias macht eine Diversität der Stimmen extrem relevant! Provokativ formuliert:  Eine stark eingeschränkte Gruppe an Berichterstatter*innen führt zu einer Art ‘False Balance’ in der Autorenschaft. Schön, dass diese kritischen Themen auf der Wissenswerte 2022 so präsent waren.

Wie sich Wissenschaftsjournalismus im nächsten Jahr verändert hat, wird die WissensWerte vom 25.-27.10.2023 in Freiburg zeigen. Danke für 2022, wir haben viel kennengelernen dürfen und ich hoffe, ihr Leser*innen nehmt auch etwas WissensWertes mit!

Liebe Grüße! Ronja

Wer schreibt hier eigentlich?

Ronja Gronemeyer studierte Physik im Master, mit einem Fokus auf theoretischer Physik. Aktuelle Klimathemen liegen ihr besonders am Herzen, weswegen sie Umweltphysik als zweites Wahlfach belegt hat. Neben ihrem Studium hat sie an verschiedenen Projekten der Wissenschaftskommunikation mitgewirkt. Sie liebt das Schreiben. In ihrer Freizeit arbeitet sie ehrenamtlich als Klettertrainerin, macht Yoga, trifft Freunde und ist in der Natur unterwegs.