Den meisten von uns ist Theodor Adorno’s Aussage: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“ (Kulturkritik & Gesellschaft; 1951) bekannt. Nun gibt es im akademischen Diskurs unterschiedliche Interpretationsansätze und Meinungen zu dieser Aussage, doch wird es nicht Untersuchungsgegenstand dieses Artikels, obwohl dies ein spannendes Thema ist. Ich kann es nur empfehlen, sich mit Autoren wie Primo Levi, Jean Améry oder Imre Kertesz auseinander zu setzen oder Gedichte zu lesen, die die Shoah thematisieren, wie bspw. die Todesfuge von Paul Celan (https://www.cercleshoah.org/IMG/pdf/lafuguedelamort.pdf). Möglicherweise werde ich mich in einem anderen Artikel diesen überlebenden Poeten des Lebens widmen.

In diesem Artikel jedoch möchte ich die bildenden Künste und ihre Auseinandersetzung mit dem Holocaust betrachten. Jüdische Künstler, wie David L. Bloch oder Norbert Troller erlebten das Grauen der Konzentrationslager. Trugen Ihre Bilder seitdem auch Ihre Last? Wie haben Sie diese Erlebnisse künstlerisch verarbeitet und gibt es hier die Möglichkeit einer weniger zensierten Vermittlung, da das Medium Sprache keinen Zaun um Ihren Ausdruck spannen konnte?

Troller beispielsweise arbeitete als Architekt für die jüdische Selbstverwaltung des Lagers in Theresienstadt im Jahre 1942. In dieser Zeit entstanden viele seiner Zeichnungen, die die unmenschlichen Konditionen für Juden im Lageralltag darstellten. Aufgrund des lagerinternen Verbots Kunst zu produzieren, versteckte er über 300 seiner Werke unter seiner Matratze.(https://artsandculture.google.com/asset/terezin-troller-norbert/TgFKYaCMpE3oGA). Troller skizzierte alltägliche Szenen der Menschlichkeit unter den Juden, Funken der Hoffnung und banale Interaktionen, die auf zutiefst humanistischen Werten gründeten.

Damit ermöglichte er einen Einblick in diese individuellen Leben, von den meisten dieser, keines in die normale Welt zurückkehrte. Ebenfalls versuchte er das Grauen zu erfassen, welches er beobachtete, indem er bspw. die Verhungernden, Sterbenden und Streitenden skizzierte. 1944 wurde er aufgrund seiner künstlerischen Produktionen nach Auschwitz deportiert, überlebte und wanderte in die Vereinigten Staaten aus.

David Ludwig Bloch auf der anderen Seite, begann mit der Verarbeitung seiner Internierung in Dachau (dem ersten Konzentrationslager der Nazis in 1933) erst rückblickend, als er 1975 in Rente ging. Zwischen 1977 und 1980 kreierte er sechzig Werke, deren Ideen er in den Jahren zuvor durch Skizzierungen, Motive, Wortkompositionen und andere Ausdrucksformen angesammelt hatte (https://nat.museum-digital.de/object/781766). Viele seiner Bilder, Acryl auf Mauerwerk, sind in einen blauen, für Melancholie und Tod stehenden, Ton getunkt. Andere seiner Werke thematisieren die Perversität der Sprache des Nationalsozialismus, die Auflösung des Individuums zum „Muselmann“, die Frage der Schuld, die Todesduschen oder die Hilflosigkeit und Unwissenheit (bzw. die Verzweiflung in der Suche nach dem Sinn) der in den Konzentrationslagern internierten Juden.

Für ein weiteres Verständnis ist es wichtig an dieser Stelle den Begriff der „Kriegs- Künstler/innen“ einzuführen. Ursprünglich waren dies Künstler/innen im Auftrag des Staates (einige auch auf eigene Initiative hin), dessen Aufgabe es war, eine Dokumentation und akkurate Repräsentation direkter Kriegsgeschehen anzufertigen. Diese wiederum wurden genutzt, um Bürger/innen über den jeweiligen Krieg zu unterrichten. Darüber hinaus vermittelten die Künstler/innen ihre eigenen praktischen Erfahrungen mit der Erforschung der visuellen und sensorischen Dimensionen des Krieges, dessen individuelle Szenen sie in ihren Werken thematisierten. Diese Künstlersparte existiert bis zu einem gewissen Grad auch heute noch in verschiedenen Ländern (Bei Interesse siehe: DOI: 10.1093/OBO/9780199791279-0195).

Jene Aufgabe für die Künstler/innen um 1945 herum beinhaltete die Darstellung der Konzentrationslager. Ein prominentes Beispiel dafür ist das Bild „Menschliche Wäsche“, Belsen April 1945 von Doris C. Zinkeisen. Nachdem das Rote Kreuz und die St. John War Organisation sie damit beauftragte, nach dem Einzug Britischer Soldaten im Konzentrationslager Bergen-Belsen am 15. April 1945, die unvorstellbare Szenerie tausender, unbestatteter Leichen und einer Vielzahl an Hungernden und kranken Überlebenden in ihre Gemälde zu erfassen (Hier der Link zum Gemälde: https://www.iwm.org.uk/collections/item/object/38950).

Das erfahrene Leid und die Eindrücke aus diesen scheußlichen Orten und ihren grauenhafteren Geschehnissen findet sich deutlich in den Gemälden der zuvor erwähnten Künstler und Künstlerinnen wieder. Eines der unveränderlichen Merkmale der Holocaust-Kunst ist, dass sie nicht nur stark autobiografisch geprägt ist, sondern auch eher die Geschichte einer Gruppe statt des Individuums zu erzählen versucht („Klopfen um Mitternacht“; 1977 https://www.kz-gedenkstaette-dachau.de/veranstaltungen/david-ludwig-bloch/). 

Die Bürde des Überlebens forderte von den Künstler/innen eine weitaus komplexere Darstellung, als lediglich die eigene leidvolle Erfahrung, wobei man meinen möge, Jene sei mehr als man je einem Individuum zugetraut hätte. Die Betrachtung solcher Bilder bewirkt in uns, so denke ich, eine andere Reaktion, als wenn wir uns in linguistischen Systemen bewegen, deren Grammatik und Worte uns bekannt sind und in Beschreibungen und Berichten über Konzentrationslager grotesk entstellt werden. So verkrüppeln sie in der Aufgabe das vermeintlich unsagbare, für uns unvorstellbare zu ergreifen, in dem Versuch diese Vergangenheit verständlich zu machen. Das Bild, ähnlich wie ein abstrakt gesprochenes Gedicht (https://www.youtube.com/watch?v=gVwLqEHDCQE), wirft den/die Betrachter/in (Zuhörer/in) direkt in den fertigen Ausdruck und das Gewicht des vermittelten Leids erschlägt uns in einem einzigen Moment der Intensität, doch zugleich wirkt es wie ein Negativbild eines Traumbildes der Künstler/innen. Somit konkludiere ich persönlich, dass die bildende Kunst uns, ergänzend auf dem Fundament der Sprache, einen weiteren Horizont des Verständnisses der Emotionen der überlebenden Künstler/innen eröffnen kann.