von Julius Bihler

Abbildung 1: Bei einem Raketenstart entstehen Schwingungen im Treibstofftank, die sogar Einfluss auf die Flugbahn haben können. © Pixabay

Weltraumraketen sind starre Riesen, welche mit unvorstellbarer Kraft die Erdanziehung überwinden und das Weltall erreichen. Doch sind sie wirklich so starr wie sie von Weitem aussehen? Du hast wahrscheinlich noch nie IN einer Rakete gesessen, um das von Nahem beurteilen zu können. Dieser Artikel nimmt dich mit ins Innerste einer Rakete und was dort alles so vor sich geht.

Wer schon einmal in einem Flugzeug saß, erinnert sich vielleicht, dass so ein Flug nicht immer ruhig verläuft. Es können Turbulenzen auftreten oder auch Vibrationen zu spüren sein. Vibrationen werden durch das Flugzeug selbst erzeugt, z.B. durch die Motoren. Vibrationen sind Schwingungen, welche sich je nach Motorleistung verändern können. Auch bei Weltraumraketen können Schwingungen auftreten – und dass bei Schubkräften, die bis zu 400-mal größer sind als bei einem typischen Urlaubsflieger, wie einer Boing 747 (vgl. Nasa, 2008, Airliners, 2009).

Abbildung 2: In einem typischen Urlaubsflieger wie dieser Boeing 747 kann man selbst erleben welchen Einfluss Vibrationen haben können, die durch den Motor erzeugt werden. © Pixabay

Raketen sind also nicht nur als starre Masse anzusehen. Schwingungen sind Kräfte, welche auf die Rakete Einfluss haben, deswegen dürfen sie nicht unterschätzt werden.

Ein kritischer Punkt bei einem Raketenstart wird “Max Q” genannt. Dieser beschreibt die maximale Belastung der Rakete durch extrem hohen Staudruck (vgl. Benson, 2021). Eine gewisse Kombination aus Geschwindigkeit und Luftdichte definiert diesen Punkt meist bei 11 – 13 km Höhe. Eine hohe Belastung, Vibrationen und Schwingungen sind die Folge. Im schlimmsten Fall führen ungewollte Schwingungen zum Totalausfall der Rakete. Um solche Ereignisse zu verhindern, wird auch das Forschungsgebiet der Strömungsmechanik mit einbezogen.

Was durch die Hülle nicht zu sehen ist, sind die Treibstofftanks der Rakete. Raketen bestehen zum größten Teil aus diesen Tanks. Diese sind meist mit Flüssigkeiten gefüllt, welche die Rakete zum Antrieb benötigt.

Staudruck, oder auch „dynamic pressure“ beschreibt den Druck, der von einer strömenden Flüssigkeit oder einem strömenden Gas an einem Hindernis hervorgerufen wird. Der Staudruck hängt sowohl von der Dichte als auch von der Geschwindigkeit ab. Beim Start der Rakete ist der Staudruck deshalb gleich Null, steigt aber aufgrund der zunehmenden Geschwindigkeit bis zu einem bestimmten Maximalwert, welcher als „Max Q“ bezeichnet wird. Danach nimmt der Staudruck durch aufgrund der abnehmenden Dichte wieder ab.

(Benson, 2021)

Abbildung 3: Das größte Bauteil der Trägerrakete des Space Shuttle (braun) war der Tank. © Pixabay

Bei Flüssigtreibstoff ist, wie der Name schon sagt, der Inhalt der Tanks im flüssigen Zustand. Durch die Schwingung der Tanks werden diese Flüssigkeiten in Bewegung versetzt. Wie diese Flüssigkeiten sich verhalten und warum es wichtig ist, den Einfluss der Schwingungen von Treibstofftanks zu verstehen, darum kümmern sich die Forscher*innen des ZARM Instituts in Bremen.

Dazu gehört auch Bastian Beuerling. Er hat in seiner Masterarbeit einen ziemlich einfachen Versuchsaufbau verwendet, um diesen schwierigen Fragen auf den Grund zu gehen. Und darum geht es jetzt.

Das schwappende Teetassen Experiment

In diesem einfachen Modellversuch, der im Institut durchgeführt wurde, werden die Effekte der eindimensionalen seitlichen Schwingung erforscht. Eindimensional bedeutet, dass der Behälter, welcher die Flüssigkeit beinhaltet, nach links und rechts bewegt wird. Eine Flüssigkeit wird durch die seitlichen Schwingungen der Gefäßwand angeregt. Dies wird als seitliches Schwappen bezeichnet. Das seitliche Schwappen wurde als eine unerwünschte Störung identifiziert, welche in den Treibstofftanks der Raketen auftritt.

Dieses Verhalten kann vereinfacht am Frühstückstisch mit einer Tasse Tee simuliert werden. Um den Versuch durchzuführen, wird nun die Tasse in Schwingung versetzt. Eine gleichmäßige oder auch harmonische Bewegung der Tasse nach rechts und links wird die Flüssigkeit in Bewegung bringen. Beobachtet werden kann eine Wellenbildung auf der Oberfläche der Flüssigkeit. Je nach Intensität und Rhythmus (Frequenz) der Schwingung ändert sich die Art der “Teewelle”.

Abbildung 4: Versuchsaufbau „Teewelle“ – ganz einfach am Küchentisch nachzumachen. © Pixabay

Versuchsaufbau am ZARM

Auch in den Treibstofftanks der Raketen entstehen solche Wellen an den Oberflächen der Flüssigkeiten. Um die verschiedenen Zustände der Wellen zu verstehen, existiert am ZARM Institut der im Folgenden beschriebene Versuchsaufbau. Am ZARM Institut werden natürlich keine Teetassen verwendet, um die verschiedenen Zustände der Wellen zu erzeugen. Der professionelle Versuchsaufbau ist etwas aufwändiger.

Abbildung 5: Glaskasten (Mitte) mit Motorkasten (links). © Julius Bihler

Wie in Abbildung 5 zu sehen, besteht er aus einem mit Wasser gefüllten Glaskasten, einem Motor, einer sich drehenden Scheibe, einer Lichtquelle, einem weißen Schirm und einer Kamera (hinten). Der dünne Glaskasten kann harmonisch nach rechts und links schwingen. Dabei lassen sich die Amplitude (die Höhe der Welle) und die Frequenz der Schwingung einstellen. Das starke Licht projiziert die aktuell existierende Welle an eine weiße Fläche. Die Welle kann mit Hilfe einer Kamera sehr einfach auf den Computer übertragen werden. Die Schwingung wird durch eine am Motor drehende Scheibe erzeugt. Die Scheibe bewegt eine lange Stange und damit den Glaskasten harmonisch. Die Stange ist in Abbildung 6 gut zu sehen.

Abbildung 6: Seitliche Aufnahme des Glaskastens. © Julius Bihler

Ähnlich wie bei einer alten Dampflokomotive ist dies die Umsetzung einer Drehbewegung in eine lineare Schwingung. Die Drehgeschwindigkeit der Scheibe und damit des Motors, bestimmt die Frequenz der Schwingung.

Wir erzeugen Wellen

Nun da wir den Versuchsaufbau kennen, können wir anfangen ihn in Schwingung zu versetzen. Angefangen wird bei diesem Versuch mit einer niedrigen Frequenz. Es bildet sich eine Welle und schwingt sanft hin und her.

Abbildung 7: Doppelbäuchige Welle. © Julius Bihler

Nun wird die Frequenz immer weiter erhöht. Es ist zu erkennen, dass die Welle nicht mehr alleine ist. Bei bestimmten Frequenzen sind zum Beispiel mehrere Bäuche zu erkennen. In Abbildung 7 ist eine doppelbäuchige Welle zu sehen.

Diese mehreren Bäuche entstehen durch gleichzeitig existierende Wellen, welche sich überlagern. Im Glaskasten existieren also mehrere Wellen, welche gegeneinander laufen. Dadurch steigt die Amplitude, an manchen Stellen an. Es entsteht ein Schwingmuster, welches von der Frequenz abhängig ist (vgl. Demtröder, 2015).

Durch das Annähern an eine gewisse Frequenz wird plötzlich die Amplitude der Welle extrem groß. Dieses Phänomen kann damit erklärt werden, dass sich die eingestellte Frequenz an die Eigenfrequenz des Systems annähert. Wir haben eine Resonanz erzeugt.

Die Folge daraus ist, dass die Wellen nun im Glaskasten brechen und um ein Vielfaches höher sind als davor. Diese starken Wellen können also auch in den Treibstofftanks der Raketen auftreten. Das wäre offensichtlich ein Problem, denn diese Schwingungen erzeugen gegenläufige Kräfte.

Starken Wellen eliminieren

Anschließend wird die Frequenz wieder verringert. Verblüffender Weise bildet sich die Welle nicht so zurück, wie es zu erwarten wäre. Wo bei gleicher Erregerfrequenz die Welle sanft hin und her geschwungen ist, sind jetzt immer noch brechende Wellen und hohe Amplituden zu sehen. Bei stetig sinkender Frequenz treten die hohen Amplituden plötzlich nicht mehr auf und die Wellen werden wieder sanft. Dieses Phänomen wird als Hysterese bezeichnet (vgl. Arndt, T., Dreyer, M. E., 2008).

Bastian Beuerling erklärt, wie Hysterese Einfluss haben kann. Im Allgemeinen existiere Hysterese, wenn die Änderung des Zustandes der Wellen verzerrt eintritt. Dies bedeute, dass die Art der aktuell existierenden Wellen von dem vorherigen Zustand des Systems abhängig ist. Wenn wir also von einer langsamen Schwingung zu einer starken Schwingung in der Nähe der Eigenfrequenz wechseln, bleiben die Wellen länger sanft. Andersherum bleiben die Wellen, beim erneuten Wechsel zu einer langsamen Schwingung, länger in einem turbulenten Stadium.

Der Einfluss auf die Weltraumraketen

In diesem Versuch wurden eindimensionale Schwingungen betrachtet. Betrachten wir nun andere Formen. Zum Beispiel zylindrische Formen von Treibstofftanks, können diese Effekte in mehreren Dimensionen auftreten. Dies kann zu einem sehr komplexen Verhalten der Flüssigkeiten in den Tanks führen. Durch den Einsatz von Tracer-Partikeln (Streuteilchen, die einer Flüssigkeit hinzugegeben werden, um diese sichtbar zu machen) können auch solche Verhalten erforscht werden. Das Ziel dieser Forschung ist, diese Schwingungen unter Kontrolle zu bringen, so dass diese keinen Einfluss auf die korrekte Funktion oder Flugbahn des Weltraumgefährts haben kann.

Abbildung 8: Bei einem zylindrischen Versuchsaufbau können sich noch komplexere Schwingungszustände einstellen. © H. Knahl und S. Greiner

Die Forschungsergebnisse zeigen nicht nur die verschiedenen Zustände, in denen sich die Flüssigkeit in einem Tank befinden können, sondern beschreiben auch das Phänomen der Hysterese. Hysterese kann die Existenz des Zustands einer Welle zeitlich expandieren und kann länger einen Einfluss auf die Rakete haben und den Kurs verändern. Genauigkeit ist hier gefragt, die Rakete soll ja schließlich nicht von ihrer Bahn abkommen. Denkst du nun immer noch, dass Weltraumraketen starr sind? Weit gefehlt. Das Innere einer Weltraumrakete ist ständig in Bewegung, auch wenn das von außen nicht erkennbar ist. Wir haben gelernt, dass die Vibrationen der riesigen Treibstofftanks es schwerer machen vorherzusehen, wie sich die Rakete verhalten wird und sehr wohl Einfluss auf die Flugbahn haben kann.

Quellen

Airliners (2009): Boeing 747-8-Frachter erhält Triebwerke. Online unter: https://www.airliners.de/boeing-747-8-frachter-erhalt-triebwerke/18995 (abgerufen am 20.09.2021)

Arndt, T., Dreyer, M. E. (2008): Damping Behavior of Sloshing Liquid in Laterally Excited Cylindrical Propellant Vessels, Spacecraft and Rockets 45 (5), 1085-1088 2008

Benson, Tom (2021): Dynamic Pressure. Online unter: https://www.grc.nasa.gov/www/k-12/rocket/dynpress.html (abgerufen am 20.09.2021)

Demtröder W. (2015) Mechanische Schwingungen und Wellen. In: Experimentalphysik 1. Springer-Lehrbuch. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-46415-1_11

Nasa (2008): J-2 Engine. Online unter: https://web.archive.org/web/20080610202726/http://mix.msfc.nasa.gov/abstracts.php?p=109 3 (abgerufen am 20.09.2021)

Weiterführende Links

Website ZARM Bremen: https://www.zarm.uni-bremen.de/de/forschung/stroemungsmechanik/multiphase-flow/research-areas/lateral-sloshing/lateral-sloshing.html