von Lena Steinmann

Bei der Frage nach verheerenden Vulkanausbrüchen kommt vielen Menschen vermutlich recht schnell der Vesuv in den Sinn, dessen desaströser Ausbruch im Jahr 79 nach Christus das so eindrucksvoll erhaltene Weltkulturerbe Pompeji und seine Bewohner unter Vulkanasche begraben hat. Nur die wenigsten wissen jedoch, dass nicht der Vesuv, sondern die nur 20 Kilometer entfernten Phlegräischen Felder – auch bekannt als Campi Flegrei – als eine der weltweit aktivsten vulkanischen Regionen gelten.

Ihr Ausbruch vor 39.000 Jahren soll nicht nur einen dramatischen Effekt auf das Klima gehabt, sondern auch die Entwicklung des Menschen maßgeblich beeinflusst haben. Im Laufe der letzten Jahrzenten häuften sich die Alarmzeichen für einen bevorstehenden Ausbruch, weshalb die Phlegräischen Felder gerne medienwirksam als „tickende Zeitbombe“ bezeichnet werden und eine drohende Katastrophe hervorgesagt wird. Um den Geheimnissen dieses bedrohlichen Vulkans auf den Grund zu gehen, erforschen Wissenschaftler des Fachbereichs Geowissenschaften der Universität Bremen zusammen mit Kollegen aus Italien nun bereits seit mehreren Jahren diese Gegend. Gemeinsam wollen die Forscher ein wissenschaftliches Bohrvorhaben antreiben, um die Alarmzeichen besser beurteilen und mögliche Gefahren einschätzen zu können.

Ein Satellitenbild vom Juni 2018 zeigt den beeindruckenden Vesuv mit der Ausgrabungsstätte Pompeji an seinem Fuß und die weniger auffälligen, aber umso aktiveren Phlegräischen Felder, auch bekannt als Campi Flegrei, am westlichen Rand der Stadt Neapel (© Copernicus Sentinel-2, 2018, prozessiert von ESA).

Im Vergleich zum Vesuv, der mit einer Höhe von 1.281 Metern erhaben über die umliegende Küstenlandschaft wacht, erscheinen die Phlegräischen Felder mit ihrem unauffälligen Höhenrelief auf den ersten Blick weniger beeindruckend. Dennoch verbirgt sich hier am Stadtrand von Neapel, auf einer Fläche von 130 km², eine beispiellose Vulkangeschichte, die ihren Ursprung vor weit mehr als 200.000 Jahren hatte. Das bisher wohl bedeutendste und katastrophalste Ereignis dieser Region trug sich vor 39.000 Jahren zu und ist bekannt als die Kampanische Ignimbrit Eruption. Im Zuge dieses gewaltigen Ausbruchs ist das Dach der Magmakammer eingestürzt, wodurch ein riesiger kesselartiger Vulkankrater mit einer Tiefe von mehreren hundert Metern entstanden ist. Diese Vulkanstruktur wird heute als Campi Flegrei Caldera bezeichnet, wobei Caldera von dem spanischen Wort für Kessel stammt.

Die bei dem Ausbruch ausgestoßenen pyroklastischen Ströme, bei denen es sich vereinfacht ausgedrückt um Glutlawinen handelt, haben Temperaturen von mehr als 600° Celsius und können sich über viele hunderte Kilometer ausbreiten, wobei sie alles auf ihrem Weg vernichten. Da sie meist schneller als ein Formel-1-Rennwagen über die Landschaft rasen, wäre es für einen Menschen unmöglich solch einer zerstörerischen Glutlawine zu entkommen. Ihre mehr als 100 Meter mächtigen Ablagerungen, im Fachjargon als Ignimbrite bezeichnet, bedecken heute eine Fläche dreimal so groß wie das Saarland. Die durch Wind transportierte Vulkanasche kann sogar in einer Entfernung von 2.500 Kilometern, in der Osteuropäischen Ebene Russlands, gefunden werden. Aber wie hat dieses vulkanische Ereignis denn nun die Menschheitsgeschichte beeinflusst? Vermutlich haben der Ausbruch und die dabei freigesetzten vulkanischen Gase zu einem weltweiten Temperaturabfall geführt, einem vulkanischen Winter. Die daraus entstandenen Veränderungen des Ökosystems haben möglicherweise das Aussterben der bereits angeschlagenen Population der Neandertaler beschleunigt, wodurch dem Vormarsch unseres Vorfahrens, dem modernen Homo sapiens, nichts mehr im Wege stand.

Aber auch nach diesem bedeutungsvollen vulkanischen Ereignis kamen die Phlegräischen Felder nicht zur Ruhe. Vor 15.000 Jahren gab es einen weiteren katastrophalen Ausbruch, bekannt als Gelbe Neapolitanische Tuff Eruption, der erneut zu einem Einsturz und einer Vertiefung der Campi Flegrei Caldera führte. Dieser Ausbruch ist mit der Eruption des Tambora-Vulkans von 1815 auf der Insel Sumbawa in Indonesien vergleichbar, wobei tausende von Menschen ums Leben kamen und ein weltweiter vulkanischer Winter, das Jahr ohne Sommer, herbeigeführt wurde. Die Vulkanlandschaft, wie wir sie heute kennen, wurde allerdings größtenteils von mehr als 60 kleineren Ausbrüchen in den letzten 15.000 Jahre geformt, wobei die letzte Eruption 1538 stattfand und den 130 Meter hohen Aschekegel des Monte Nuovo formte.

Im Hintergrund wacht der bedrohlich wirkende Vesuv über die Stadt Neapel. Die imposanten Klippen im Vordergrund bestehen aus mehreren hundert Meter mächtigen vulkanischen Ablagerungen (Ignimbrite) der Phlegräischen Felder (© Lena Steinmann).

Die Campi Flegrei Caldera liegt heute zur Hälfte unter Wasser im malerischen Golf von Pozzuoli und wird auch gerne als europäisches Äquivalent zur berühmten Yellowstone Caldera angeführt. Während die brodelnden Schlammlöcher, stinkenden Schwefelquellen und bedrohlichen Rauchfahnen der Phlegräischen Felder unter Touristen noch als Geheimtipp gelten, zerbrechen sich Forscher weltweit bereits seit Jahrzehnten die Köpfe über mögliche Auslöser dieser vulkanischen Aktivität. Die Phlegräischen Felder sind nämlich, obwohl es seit Monte Nuovo keinen Ausbruch mehr gab, alles andere als im Tiefschlaf. Vielmehr gibt es seit den 50er Jahren alarmierende Anzeichen für ein Erwachen des Vulkanriesens, bekundet durch phasenhafte Bodenbewegung und Erdbeben im Zentrum der Campi Flegrei Caldera. Besonders betroffen davon ist die beschauliche Küstenstadt Pozzuoli mit ihren rund 80.000 Einwohnern. In den letzten Jahrzehnten wurde das Stadtzentrum im Zuge vulkanischer Unruhephasen um etwa vier Meter angehoben, was zur wiederholten Evakuierung von 40.000 Menschen und schlussendlich auch zur permanenten Umsiedlung von etwa 20.000 ehemaligen Bewohnern der einsturzgefährdeten Altstadt führte. Um das Gefahrenpotenzial möglichst zuverlässig abschätzen zu können, suchen Wissenschaftler weltweit nach den Auslösern dieser besorgniserregenden Unruhephasen. Dabei deuten einige Studien auf eine rein magmatische Ursache, wie beispielsweise einen erneuten Aufstieg von Magma, hin und prophezeien dabei einen bevorstehenden Ausbruch. Andere wiederum sehen den Ursprung eher in einem komplexen Zusammenspiel aus hydrothermalen Vorgängen, sprich Veränderungen der Flüssigkeiten und Gasen im Untergrund, und tiefliegenden magmatischen Prozessen, wobei eine baldige Eruption weniger wahrscheinlich wäre.

Diese Bilder zeigen Eindrücke des vor ungefähr 4.000 Jahren entstandenen Solfatara Kraters, einen der vielen Vulkane, die heute die Landschaft der Phlegräischen Felder formen. Seine vulkanische Aktivität, die durch stinkenden Rauchschwachen, blubbernden Schlammlöchern und farbenfrohen Schwefelablagerungen bekundet wird, ist jedoch einzigartig in den Phlegräischen Feldern und auf jeden Fall einen Besuch wert (© Lena Steinmann).

Auf Grund der dichten Bebauung sind flächendeckende Untersuchungen des Vulkankomplexes an Land mühsam und mit vielen Hürden verbunden. Der von Wasser bedeckte Teil der Caldera eignet sich jedoch umso besser für eine detaillierte und großangelegte Studie der vulkanischen Struktur. Deshalb hat sich ein Team, bestehend aus Forschern des Fachbereichs Geowissenschaften der Universität Bremen und des Instituts für Küstenforschung in Neapel, bereits 2008 und erneut 2016 für mehrere Wochen auf ein Forschungsschiff begeben, um die Campi Flegrei Caldera dreidimensional zu vermessen. Mit Hilfe von akustischen geophysikalischen Messmethoden wurden dabei Lagen im Untergrund von bis zu einer Tiefe von zwei Kilometern abgebildet. Vereinfacht gesagt, kann man sich das so vorstellen, als ob der Vulkan wie eine Torte angeschnitten wird, wodurch vorher verborgenen Schichten sichtbar und einzigartige Einblicke in Untergrundstrukturen gewährt werden. Somit konnten beispielsweise mögliche strukturelle Schwachstellen wie Störungszonen, die eventuell den Aufstieg von Magma ermöglichen und potenzielle Ausbruchstellen darstellen könnten, erfasst werden. Die Ergebnisse dieser Expeditionen haben außerdem gezeigt, dass der unter Wasser liegende Teil der Caldera eine wichtigere Rolle als bisher angenommen für hydrothermale Vorgänge spielt und damit auch indirekt Auswirkungen auf die Unruhephasen haben könnte. Beispielsweise wurde auf einer Fläche, die fast dreimal so groß wie der Bremer Bürgerpark ist, oberflächennahes Gas im Untergrund entdeckt. Dieses hat seinen Ursprung wahrscheinlich in mehreren Kilometern Tiefe und steigt entlang von Störungen auf. Erkenntnisse dieser Art werden dringend benötigt, um Vorhersagen zukünftiger Ausbrüche zu verbessern.

Die Geophysiker der Universität Bremen sind außerdem maßgeblich an der Planung eines wissenschaftlichen Bohrprojekts beteiligt. Ihre Beobachtungen liefern dabei die Grundlage um geeignete Bohrlokationen festzumachen. Die Bohrungen werden einzigartige Einblicke in die Tiefen des Vulkansystems liefern, sprich in den Ort an dem die Unruhephasen entstehen, und somit grundsätzlich zum Verständnis ihrer Entstehung beitragen und dabei die Risikobewertung wesentlich verbessern.

Solche Erkenntnisse sind von großer Wichtigkeit um die Alarmzeichen des Vulkanriesens richtig deuten zu können und die Sicherheit in der Region zu gewährleisten. Selbst eine kleine Eruption würde bereits erheblichen Schaden für die 370.000 Bewohner der Caldera anrichten. Ein Ereignis wie vor 39.000 Jahren hätte nicht nur in Italien schwerwiegende Folgen, sondern wäre auch weltweit durch rasante Klimaveränderungen aber auch Einschränkungen im Luftverkehr zu spüren. Deshalb sind zukunftsweisende Forschungsprojekte, wie das geplante Bohrprojekt, entscheidend um beurteilen zu können ob und wann der schlafende Riese aus seinem Dämmerschlaf erwacht.

Zum Weiterlesen

Referenzen und Links zu den resultierenden Artikeln, der Dissertation und zum Bohrprojekts:

Bohrprojekt:

https://sites.google.com/site/cfddpprojecten/

https://www.icdp-online.org/projects/world/europe/campi-flegrei-italy/details/