Diese alten bunten Hefte mit dem Buchstabenstreifen, der dich aus dem Regal anschaut. Das billige Design schmerzt bei Anbetracht und beim Herausnehmen des Reiseführers fliegt einem dermaßen viel Staub entgegen, dass man eher eine Reise zum Arzt unternimmt, als um den Globus. Kaum schlägt man das Reiseheftchen auf, so werden einem gleich die „Top-Ten“ vorgeschlagen. All der Touri-kram den jede*r sehen „muss“. Natürlich gibt es auch sehenswerte Orte, die leider Opfer dieser billigen Reiseführerverlagstexte und Touristenströme wurden, doch kann ich nicht bestreiten, dass diese Weise zu Reisen, für mich zumindest, einen Großteil des Reizes umherzukommen, pulverisiert.

Nun frage ich mich: Gäbe es nicht auch eine immersivere Art zu reisen, eine zielgerichtete Reise, eine Art Schnitzeljagd nach dem Gedankengut Europas. Somit startet hier also mein Versuch eines ersten Teils einer Reiseskizze mit drei Zielen. Um diese literarische Reise durch Europa zu unternehmen, müssen wir zuerst einmal eine Liste von Städten zusammenstellen, die nicht nur Zeugen des Verlaufs der Zeit waren, sondern auch die Kreativität einiger der berühmtesten Autoren der Welt beherbergt haben. Also lasst uns gemeinsam auf eine ausgedehnte literarische Odyssee aufbrechen, die hoffentlich auch die ein oder andere Leseinspiration oder die nächste Urlaubsidee mit sich bringt. Ach, wieso eigentlich nicht beides?

Dublin, Irland – James Joyce’s Ulysses und darüber hinaus

Dublin, die lebhafte Hauptstadt Irlands, ist eine Stadt mit einer reichen Literaturgeschichte. James Joyces „Ulysses“ spielt in denselben Straßen und Kneipen, die auch heute noch voller Leben sind.

Ulysses ist ein modernistischer Roman, der erstmals 1922 veröffentlicht wurde. Er gilt als eines der wichtigsten Werke der Literatur des 20. Jahrhunderts. Dargestellt werden die Ereignisse eines einzigen Tages, des 16. Juni 1904, in Dublin und die drei Hauptfiguren:

Stephen Dedalus – ein junger Schriftsteller und Intellektueller; Leopold Bloom – Ein Werbefachmann, der eine moderne Parallele zu Odysseus aus Homers Odyssee sein soll und Molly Bloom – Leopolds Frau, die eine Parallele zu Penelope, ebenfalls aus der Odyssee, darstellt. Die Erzählung ist um die Ereignisse von Blooms Tagen herum aufgebaut, die lose die Reise des Odysseus widerspiegeln.

Der Roman ist bekannt für seinen experimentellen Stil, der unter anderem die Gedanken und Gefühle der Figuren in Form einer Erzählung im „Stream of Consciousness“ wiedergibt. Bei seiner Erstveröffentlichung war Ulysses wegen seiner freimütigen Darstellungen von Sexualität und Körperfunktionen höchst umstritten. In den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich war das Werk über ein Jahrzehnt lang sogar verboten. Heute gilt es jedoch weithin als literarisches Meisterwerk und als Meilenstein der modernen Belletristik.

Neben „Ulysses“ können wir auch Joyces „Dubliners“ vor der Kulisse der verschiedenen Stadtviertel entdecken. Ein weiteres Highlight wäre das James Joyce Centre, quasi als Fundgrube für Artefakte und Veranstaltungen, sowie Rundgänge, die die Schritte von Joyce und seinen fiktiven Figuren anschaulich nachzeichnen.

Falls ihr euch an dieser Stelle fragt: „Und wieso sollte ich das jetzt lesen? Ich habe doch noch so viele andere Bücher auf meiner Liste.“ Dann kann ich euch nur empfehlen, diesem Link zu folgen: https://www.youtube.com/watch?v=X7FobPxu27M 

Edinburgh, Schottland – Sir Walter Scotts romantisches Reich

Und wenn wir jetzt schon im Norden sind, dann schlage ich noch Schottland vor. Genauer: Edinburgh, diese majestätische Hauptstadt trägt ihr literarisches Erbe mit Stolz. Sir Walter Scott, ein literarischer Gigant, verfasste Romane wie „Waverley“, die eng mit der Geschichte der Stadt verbunden sind.

Waverley ist der erste Roman der Waverley-Reihe des schottischen Schriftstellers, der 1814 veröffentlicht wurde. Er gilt als einer der ersten historischen Romane in der westlichen Tradition. Der Roman erzählt die Geschichte von Edward Waverley, einem jungen englischen Gentleman, der kurz vor dem Jakobitenaufstand von 1745 in ein schottisches Regiment eingezogen wird.

Waverley ist hin- und hergerissen zwischen seiner Loyalität gegenüber der Krone und seiner Bewunderung für die romantische Sache der Jakobiten. Durch seine Interaktionen mit verschiedenen Personen auf beiden Seiten des Konflikts navigiert Waverley durch die prekäre politische Situation. Der Roman gilt als wegweisendes Werk, das den historischen Roman als neue Literaturgattung etablierte.

Obendrauf bieten das Scott-Denkmal und Scott’s View atemberaubende Panoramen und geben uns die Möglichkeit, gedankenverloren in die Zeit der Romantik einzutauchen. Hinzu kommt das im Lady Stair’s House untergebrachte Writers‘ Museum, welches die Essenz des literarischen Erbes Schottlands zusammenfasst und Persönlichkeiten wie Robert Burns und Robert Louis Stevenson ehrt.

PS: Wusstet ihr, dass ihr von Bremen für durchschnittliche 20€, oft sogar weniger, nach London Stansted fliegen könnt? Anschlussflüge dürften von dort auch nicht viel mehr kosten!

Prag, Tschechische Republik – Franz Kafkas surrealer Einfluss

Auf meiner Liste darf Prag natürlich nicht fehlen. Wie ihr bestimmt mitbekommen habt, jährt sich am 3. Juni 2024 zum 100. Mal der Todestag von Franz Kafka (hier empfiehlt sich auch die derzeitige Jubiläumsausgabe der Zeitschrift: Philosophie). Gelesen haben wir ihn beinahe alle, meist in entfernter Erinnerung aus der Schulzeit, oft aber auch als treuen Begleiter darüber hinaus.

 

Die gotische Architektur und die verwinkelten Gassen Prags bieten eine unwirkliche Kulisse für Franz Kafkas surreale Erzählungen. Nach einem Besuch des Franz-Kafka-Museums, das unter anderem mit originalen Dokumenten, einen faszinierenden Einblick in das Leben und Werk des Autors bietet, solltet ihr auch das historische jüdische Viertel besichtigen. Hier erwacht die Mystik von Werken wie „Der Prozess“ und „Das Schloss“ förmlich zum Leben.

Meinen Artikel zum jüdischen Viertel findet ihr HIER.

Ebenfalls besonders sehenswert ist das goldene Gässchen, eine malerische kleine Straße innerhalb der Prager Burg, in der Kafka selbst einst wohnte und schrieb. Die Burg selbst, mit ihren imposanten Türmen und einer riesigen gotischen Kirche, war eine der literarischen Musen des Autors und findet sich in vielen seiner Werke wieder.

Neben den Orten, die direkt mit Kafka verbunden sind, bietet Prag auch eine Vielzahl an weiteren Sehenswürdigkeiten, die den Geist der Stadt einfangen. Dazu gehören der altertümliche Astronomische Uhrturm am Altstädter Ring, die Karlsbrücke über die Moldau sowie die Kirchen und Paläste der Kleinseite.

Prag ist aber nicht nur eine Stadt voller Literaturgeschichte über Kafka, sondern auch ein Zentrum der tschechischen Kultur mit lebendigen Cafés, Museen und Galerien. Auch die Spuren anderer Autoren wie Jaroslav Hašek oder Milan Kundera sind in den verwinkelten Straßen zu entdecken.

By the way: Dieses Jahr findet das Festival KAFKA 2024 statt. Ein Ganzjähriges Festival mit Ausstellungen, Konzerten, Diskussionen, Theater, Filmen, Lesungen und Vorträgen rund um Kafka, und dies in vielen Städten weltweit (darunter: Paris, Prag, München, Berlin und vielen mehr). 

Das war mein Vorschlag für die ersten drei Reiseziele. Hinterlasst gerne einen Kommentar, ob euch diese Orte interessieren würden, oder ihr sie schon besucht habt und welche Orte mit welchen Autor*innen ihr hier vermisst habt. Gerne nehme ich diese dann im zweiten Artikel mit auf.