Vor ein paar Wochen bin ich durch die östliche Vorstadt Bremens spaziert und meine Aufmerksamkeit hat sich auf den Boden gerichtet. Ganze 5 Stolpersteine befinden sich vor einer Altbauwohnung in der Feldstraße. Als ich zuhause angekommen bin, hat mich der Moment nicht losgelassen und ich habe im Internet nach den Namen gesucht. Alle fünf Personen wurden nach Minsk deportiert und ermordet. Ich debattiere mit mir selbst, ob die Platzierung der Steine den Betroffenen vom Holocaust gerecht ist und möchte mit euch meine Gedanken teilen. Aber vorab- eine kurze Erklärung, wie Stolpersteine überhaupt entstanden sind:
Ursprünglich hat der deutsche Künstler Gunter Demnig die Stolpersteine in den 1990er ins Leben gerufen. Die Idee ist als Teil seines Kunstprojektes entstanden und soll an die jüdischen Opfer des Holocausts erinnern. Die ersten Stolpersteine wurden im Jahr 1992 in Köln verlegt. Seitdem hat sich das Projekt über ganz Deutschland und auch andere Länder Europas ausgebreitet. Jeder Stolperstein trägt den Namen, das Geburtsdatum, das Datum der Deportation und oft auch das Todesdatum des Opfers.
Die Bezeichnung „Stolpersteine“ kommt daher, dass die die Steine die Passanten zum „Stolpern“ bringen sollen – nicht körperlich, sondern im übertragenen Sinne, indem sie zum Innehalten und zur Reflexion über die Geschichte und das Schicksal der Opfer anregen.
Doch tun wir das alle? Die Platzierung am Boden wirkt rein logisch betrachtet suboptimal. Menschen laufen hektisch durch die Stadt, Kinder rennen chaotisch umher und Dreck sammelt sich auf dem Boden. Eine merkwürdige Wahl für eine Gedenkstätte. Klar, sind die Steine sichtbar, aber auch nur mit viel Aufmerksamkeit. Der Fakt, dass auf die Stolpersteine getreten wird, galt für mich schon immer als unmoralisch. In der modernen Welt mit Großstädten und riesigen Einkaufsmeilen, scheint ein Stolperstein fehl am Platz zu sein. Es verdient mehr Wertschätzung und Sichtbarkeit. Als ich durch Bremen und andere Großstädte gelaufen bin, wirkten Stolpersteine auf mich schon fast verloren. Müssten die Gedenkstätten nicht lieber aufrecht stehen, damit die vorbeilaufenden Menschen sich auf Augenhöhe damit auseinandersetzen können? Zumindest sei diese Option doch ehrwürdiger und respektvoller. Ein Boden scheint nicht der adäquate Ort für Denkmäler zu sein. Warum hat man also trotzdem beschlossen so viele Stolpersteine auf den Boden zu platzieren?
Nach meiner Meinung muss der Boden hier wie eine Metapher verstanden werden- ein Boden, der von hastigen Schritten geprägt ist, gebaut und zerstört wurde und unser Grund ist, warum wir laufen können, trägt Erinnerungen und Geschichte mit sich. Die Wahl des Bodens als Träger klingt paradox, aber gerade in seiner Allgegenwärtigkeit schafft er eine Nähe, die sich kaum leugnen lässt. Es fordert die Leute förmlich auf, auf den Boden zu schauen und für einen kurzen Moment Ruhe zu bewahren, mitten im städtischen Trubel. Deswegen scheint der Boden doch keine schlechte Wahl für Stolpersteine zu sein. Gerade in dieser Bodenständigkeit liegt die Stärke, weil die Steine durch ihre Platzierung im Boden eine Verbindung zur Realität und zur unmittelbaren Umgebung herstellen. Sie sind buchstäblich im Alltag von Menschen verankert und erinnern daran, dass die Opfer des Holocausts einst ganz normale Bürgerinnen und Bürger waren, die in den gleichen Straßen und Vierteln lebten wie wir heute. Wenn wir uns bücken, um ihre Inschriften zu lesen, erkennen wir, dass diese Erinnerungen Teil unseres täglichen Lebens sind, eingebettet in den Stoff unserer Stadt. Es soll uns erinnern, wie schnell das Gewöhnliche ins Unvorstellbare übergehen kann. Um die Sichtbarkeit zu erhöhen, könnte man als kreative Ergänzung die Steine farbig umranden oder beleuchten, damit ein Stolperstein nicht nur ein flüchtiger Gedanke bleibt.
Ich hoffe mein Gedankengang zu dem Thema hat dazu beigetragen, dass ihr nicht nur über Stolpersteine stolpert, sondern, dass ihr euch stets daran erinnert, aufrecht zu gehen- mit Respekt vor der Vergangenheit und Verantwortung für die Zukunft.
Lasst mich gerne eure Meinung zu dem Thema hören und bis zum nächsten Mal!