Was assoziieren wir eigentlich mit dem Thema Philosophie? Die meisten von uns „Europäern/Europäerinnen“ denken jetzt vermutlich an altgriechische Philosophen wie Plato, Sokrates oder Aristoteles. Gefragt habe ich mich hierbei, weshalb innerhalb des europäischen Philosophiediskurses solch eine geografische Selektivität herrscht. Dabei recherchierte ich folgend über unterschiedliche Strömungen der Philosophie, deren Grundsteine in anderen Ländern und Kontinenten gelegt wurden, und deren Gedankengut auch das der europäischen Philosophie prägte und bis heute noch prägt.

Wie schon erwähnt wird die Philosophie oft mit den intellektuellen Traditionen des antiken Griechenlands und den nachfolgenden europäischen philosophischen Bewegungen in Verbindung gebracht. Bei der Erforschung der Ursprünge der Philosophie ist es jedoch wichtig und äußert interessant für den/die Europäischen/Europäische Leser/in, mehrere philosophische Traditionen zu berücksichtigen, die außerhalb Europas entstanden sind. Diese Traditionen haben sich unabhängig voneinander in verschiedenen Regionen der Welt entwickelt und wurden oft durch einzigartige kulturelle und soziale Kontexte geprägt.

Eine der philosophischen Traditionen, die den meisten europäischen philosophischen Traditionen vorausgeht, ist die afrikanische Philosophie, die nie wirklich den gleichen Grad an Aufmerksamkeit und Anerkennung erhalten hat. Obwohl ein Großteil des historischen Materials über die afrikanische Philosophie aufgrund ihrer mündlichen Überlieferung verloren gegangen ist, zeigen schriftliche Aufzeichnungen aus frühen Reichen wie den Ägyptern, Nubiern und Kuschiten ein reiches philosophisches Spektrum. Das Konzept der Maat, das für Wahrheit, Gerechtigkeit und Moral steht, war beispielsweise ein Leitprinzip vieler afrikanischer Gesellschaften. Darüber hinaus war die Idee der Gemeinschaftlichkeit, die dem kollektiven Wohl der Gesellschaft Vorrang vor dem Individualismus einräumt, ein wesentlicher Bestandteil vieler afrikanischer philosophischer Systeme. Noch heute betont die Ubuntu-Philosophie der Bantu-Völker im südlichen Afrika die Verbundenheit der Menschen untereinander. (Hier könnt ihr mehr dazu lesen)

Auch die philosophischen Traditionen des alten Indiens, bekannt als Dharma, gehören zu den ältesten überlieferten philosophischen Systemen der Menschheitsgeschichte. Die Veden, alte religiöse Skripte, enthalten viele philosophische Ideen, darunter das Konzept des Karmas und den Kreislauf der Reinkarnation. Die Upanishaden, philosophische Texte aus der Zeit um 800 v. Chr., erläutern diese Ideen und führen Konzepte wie den Atman – die individuelle Seele – und Brahman – die letztendliche Realität – ein. Weiterführend stoßen wir damit auch auf die buddhistische Philosophie, die um das 6. Jahrhundert v. Chr. in Indien entstand, mit Wurzeln in den indischen philosophischen Traditionen. Die Vier Edlen Wahrheiten und der Achtfache Pfad sind einige der Schlüsselkonzepte der buddhistischen Philosophie, die die Relativität der Existenz und die Bedeutung des mittleren Weges betont, dessen Ausführung an dieser Stelle den Rahmen sprengen würde. Ich kann aber nur betonen, dass es eine Recherche wert ist!

Verweilen wir in den philosophischen Traditionen Ostasiens, lassen sich auch der Konfuzianismus und der Taoismus betrachten. Die sich gegenseitig beeinflussenden Strömungen reichen ebenfalls mehrere Jahrtausende zurück. Der Konfuzianismus legt den Schwerpunkt auf Sozialethik, Ordnung und Harmonie, während der Taoismus die Harmonie mit der Natur und dem Universum betont. Beide Traditionen haben die chinesische Kultur und Politik seit Jahrhunderten beeinflusst und somit die Entwicklung der ostasiatischen Gesellschaften nachhaltig geprägt.

All dies ist nur ein kleiner Ausschnitt der außereuropäischen Philosophie. Es ist von äußerster Wichtigkeit, den Reichtum dieser philosophischen Traditionen anzuerkennen und zu würdigen und sie in Diskussionen und Untersuchungen der Philosophie als Ganzes einzubeziehen. Oft vergisst man im Westen, dass diese philosophischen Traditionen nicht isoliert waren sondern in einem dynamischen Austausch miteinander standen. Gelehrte aus dem alten Griechenland, wie Pythagoras und Platon, hatten Kontakt zu indischen und ägyptischen Philosophen, die ihr eigenes Denken beeinflussten. Ein gutes Beispiel ist hier die Seidenstraße, ein Netz von Handelswegen, das Asien mit Europa und Afrika verband, und den Austausch von Ideen erleichterte, darunter eben auch philosophische Ideen.

Die Ursprünge der Philosophie sind also nicht auf eine bestimmte geografische Region oder kulturelle Gruppe beschränkt, sondern sind das Ergebnis eines internationalen dynamischen Austauschs von Ideen und Traditionen, der sich über den gesamten Globus erstreckte. Und das Kennenlernen außereuropäischer philosophischer Traditionen ist von entscheidender Bedeutung, um unser Denken und unser Verständnis der menschlichen Existenz zu erweitern. Es hilft uns dabei zu erkennen, dass die Philosophie kein Produkt einer bestimmten Region oder Kultur ist, sondern ein universelles menschliches Phänomen umschreibt. Jene Traditionen bieten einzigartige Perspektiven auf Themen wie die menschliche Moral, soziale Ordnung und den Sinn des Lebens und erweitern den Horizont der Philosophie über den westlichen Kanon hinaus. Wenn wir diese Traditionen zusammen mit der europäischen Philosophie anerkennen und erforschen, können wir wie bereits erwähnt zu einem differenzierteren und umfassenderen Verständnis der menschlichen Erfahrung gelangen, und zusätzlich aus dem Narrativ Europa heraustreten und eine weltlichere Sicht auf die Säulen des menschlichen Denkens erlangen.

 

 

 

Quellen:

Achebe, C. (1975). Morgen schon am Tag der Schöpfung: Essays. Anchor Books.

Gyekye, K. (1987). Ein Essay über afrikanisches philosophisches Denken: The akan conceptual scheme. Cambridge University Press.

Nair, R. (2008). Indische Philosophie: Eine Einführung in das hinduistische und buddhistische Denken. Edinburgh University Press.

Shin, I. (2014). Der Konfuzianismus als Weltphilosophie: A Korean perspective. Ewha Journal of Philosophy and Gender, 9, 67-85.

Stanford Encyclopedia of Philosophy. (n.d.). Buddhistische Philosophie. Abgerufen von https://plato.stanford.edu/entries/buddhist-philosophy/

Wiredu, K. (1996). Kulturelle Universalien und Partikularitäten: Eine afrikanische Perspektive. Indiana University Press.