Photo by Near East Relief.

Am 24. April 1915 begann auf Befehl der türkischen Diktatoren die Deportation der Armenier*innen aus Istanbul, Alexandretta und Adana. In den folgenden drei Jahren starben mehr als eineinhalb Millionen Armenier*innen, während andere in die Wüsten Mesopotamiens, des Libanon und Syriens flohen oder vertrieben wurden, wo die meisten von ihnen an Hunger und Krankheiten starben. Mehr als eine Million armenische Flüchtlinge verstreuten sich über die ganze Welt. Als Hauptverantwortliche für den Völkermord gelten die Jungtürkenführer Talaat Pascha, Cemal Pascha und Enver Pascha sowie der Leiter der Sonderorganisation, Behaeddin Shakir.  

Die armenische Volksgruppe entstand zwischen dem 4. und 2. Jahrhundert v. Chr. auf dem Gebiet der heutigen Osttürkei und Armeniens, in der Region um den Berg Ararat und den Van-See. Das größte Gebiet Armeniens stand unter der Herrschaft von König Tigranes II. dem Großen, dessen Reich sich vom Euphrat und dem Mittelmeer bis zum Kaspischen Meer erstreckte. Im frühen 4. Jahrhundert n. Chr. war Armenien das erste Land, das offiziell das Christentum als Staatsreligion annahm. Dies wurde zu einem entscheidenden Faktor, der die armenische Volksgruppe nach dem Verlust der Staatlichkeit im 6. Jahrhundert einte.

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war der größte Teil des historischen Armeniens Teil des Osmanischen Reiches. Neben Armenier*innen und Türk*innen gab es auch viele Kurd*innen, Araber*innen, Griech*innen, Bulgar*innen und Jud*innen. Araber*innen spielten eine wichtige Rolle in den Reihen des osmanischen Offizierskorps und Armenier*innen hatten führende Positionen in den gebildetsten Schichten der Gesellschaft und im Handels- und Industriebürgertum. Als Nicht-Muslime waren die Armenier*innen jedoch Bürger*innen zweiter Klasse: Sie durften keine Waffen tragen, nicht vor Gericht aussagen und mussten höhere Steuern zahlen. Die Feindseligkeit gegenüber Armenier*innen wurde durch den großen Zustrom muslimischer Flüchtlinge aus dem Kaukasus nach den russisch-türkischen Kriegen und aus den neu gegründeten Balkanstaaten noch verstärkt.

All dies führte zu zahlreichen Konflikten, die in den Jahren 1894-1896 in Samsun, Trabzon und Istanbul zu ethnischen Massentötungen führten, denen etwa 100 000 Armenier*innen zum Opfer fielen.

Im Jahr 1908 übernahm die Partei der Jungtürken die Macht im Osmanischen Reich, deren offizielle Ideologie der Pantürkismus war und deren Ziel die Schaffung eines türkischen Reiches vom Balkan bis zum Altai-Gebirge war. Westarmenien, das die Türkei vom türkischsprachigen Aserbaidschan trennte, war in ihren Augen ein Hindernis auf diesem Weg.

Mit dem Eintritt der Türkei in den Ersten Weltkrieg im August 1914 sahen die Jungtürken eine “einmalige Gelegenheit”, die “armenische Frage”, das heißt die vollständige Ausrottung des armenischen Volkes, endgültig zu lösen. Unter Kriegsrecht wurden die Armenier*innen aus den östlichen Provinzen der Türkei ins Landesinnere vertrieben und jegliche Proteste brutal unterdrückt. Mit der Expansion der Türkei nach Russland und Persien wurden die Repressionen gegen die Armenier*innen ausgeweitet. Zwischen November 1914 und April 1915 wurden 27.000 Menschen getötet.

Die türkische Führung machte die Armenier, die in der osmanischen Armee gedient hatten, für die Niederlage der türkischen Armee im Winterkrieg 1915 (ein Nebenkriegsschauplatz im Ersten Weltkrieg zwischen den Osmanischen und Russischen Reichen) verantwortlich; im Februar wurden etwa 100 000 Menschen entwaffnet und die meisten von ihnen brutal ermordet, indem man ihnen die Köpfe abschnitt oder sie lebendig begrub. Die Entwaffnung der Zivilbevölkerung ging auch mit Folterungen und Tötungen einher. Die Armenier wurden massenhaft nicht nur aus den Grenzgebieten, sondern auch aus den osmanischen Großstädten in die Wüstengebiete vertrieben.

Als die Franzosen am 24. April 1915 eine Offensive in den Dardanellen starteten, wurden 235 Mitglieder der armenischen Elite in Istanbul verhaftet. Ähnliche Maßnahmen wurden in Edirne, Alexandretta und Adana ergriffen. Am nächsten Tag wurden 600 Armenier*innen in Istanbul verhaftet, dann weitere fünftausend. Die meisten von ihnen wurden in den Außenbezirken der Stadt getötet.

Im Mai 1915 verabschiedete die türkische Majlis ein Gesetz über Zwangsumsiedlungen, das die Vertreibung aller Armenier*innen ohne Ausnahme aus den Siedlungen in allen türkischen Provinzen legalisierte. In den neuen Siedlungen durften die Armenier*innen nicht mehr als 10 % der muslimischen Bevölkerung ausmachen. Es war ihnen untersagt, in andere Siedlungen umzuziehen oder eigene Schulen zu eröffnen. In der Provinz Van, der einzigen Provinz, in der die Armenier*innen die Mehrheit der Bevölkerung stellten, ging die Zwangsräumung mit einem Massaker an Zehntausenden von Armenier*innen einher, die nach Ansicht der Regierung eine potenzielle Bedrohung für die Türkei darstellten. Die Hauptakteure bei der Ermordung der Armenier*innen war eine starke „Sonderorganisation“ aus 34.000 Männern, die hauptsächlich aus ehemaligen Häftlingen bestand.

Ein von Gendarmen bewachter Konvoi von deportierten Armenier*innen im Dorf Harput

Bis zum Ende des Sommers 1915 war ein großer Teil der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reiches ausgelöscht worden: In drei Jahren starben über 1,5 Millionen Menschen; die Hungersnot von 1918/19 forderte das Leben weiterer 200.000 Armenier*Innen.

Nach der Niederlage des Osmanischen Reiches im Jahr 1918 verlangten die Siegermächte, dass die Türkei die Verantwortlichen für die Verbrechen an Kriegsgefangenen und Armenier*Innen bestrafen sollte; im Dezember 1918 wurde ein spezielles Militärtribunal eingerichtet, das bis 1920 tätig war. Dieses Tribunal entschied, dass die Deportation der Armenier*Innen als Beweis dafür gelten sollte, dass die Deportationen nicht aus militärischer Notwendigkeit oder aus disziplinarischen Gründen erfolgten, weil dir Armenier*Innen keine Bedrohung für das Osmanische Reich darstellten, sondern vom Zentralkomitee der Jungtürkenpartei entwickelt worden waren. Sie machte diese für die organisierte Ermordung der Armenier*Innen verantwortlich. Noch bevor das Tribunal seine Arbeit aufnahm, flohen die wichtigsten Führer der Jungtürken aus der Türkei. Fast alle von ihnen und die direkten Anführer der Strafaktion (41 Personen) wurden bis 1922 in verschiedenen europäischen Städten von Aktivisten der armenischen Partei Daschnaktsutyun ermordet.

In einer Gemeinsamen Erklärung vom 24. Mai 1915 erkannten die Alliierten (Großbritannien, Frankreich und das Russische Reich) die Ermordung der Armenier*Innen erstmals als Verbrechen gegen die Menschlichkeit an. Der Völkermord an den Armenier*Innen wurde auch vom Europarat (1998, 2001), vom Europäischen Parlament (1987, 2000, 2002, 2005) und von der UN-Unterkommission zur Verhinderung von Diskriminierung und zum Schutz von Minderheiten anerkannt. Das Parlament von Uruguay war das Erste, das den Völkermord an den Armenier*Innen offiziell verurteilte. Inzwischen haben 21 Länder, 43 US-Bundesstaaten, Katalonien, das Baskenland, Schottland, Wales und Nordirland den Völkermord an den Armenier*Innen offiziell anerkannt. Am 23. April 2015 bezeichnete Bundespräsident Joachim Gauck, als erster Bundespräsident überhaupt, die Massaker an den Armenier*Innen als Völkermord.

Die heutige Haltung der türkischen Regierung hat sich nicht geändert, sie erkennt den Völkermord an den Armenier*Innen nach wie vor nicht an und verurteilt darüber hinaus die Anerkennung der Massaker an den Armenier*Innen im Osmanischen Reich von 1915 durch US-Präsident Joe Biden als Völkermord. „Wir weisen die Erklärung des US-Präsidenten zu den Ereignissen von 1915, die auf Druck radikaler armenischer Kreise und antitürkischer Gruppen abgegeben wurde, entschieden zurück und verurteilen sie. Diese Erklärung entbehrt jeder wissenschaftlichen oder rechtlichen Grundlage und wird durch keinerlei Beweise gestützt. Der Charakter der Ereignisse von 1915 ändert sich nicht aufgrund aktueller politischer Motive oder innenpolitischer Erwägungen. Eine solche Haltung dient nur dazu, die Geschichte grob zu verzerren“, so schrieb das türkische Außenministerium in einer Erklärung.