Kunst als integraler Bestandteil menschlicher Zivilisationen wird in den meisten Fällen mit Respekt und Bewunderung behandelt. Bestimmte Formen der Kunst sind jedoch im Laufe der Geschichte auf Widerstand und Zensur gestoßen. Ein solches Beispiel ist die Denunziation der modernen Kunst durch die Nazis und deren Bemühungen, sie auszurotten. Dieser Blogbeitrag wird sich mit einem von den Nazis geprägten Begriff befassen: „Entartete Kunst“. Untersucht wird folgend die Rolle der Nazis bei der Zerstörung primär jüdischer Kunst während des Zweiten Weltkriegs, wie sich die Maßnahmen der Nazis auf Künstler/innen und Ihre Werke ausgewirkt haben und wie fruchtvoll Bemühungen nach dem Zweiten Weltkrieg waren, die von den Nazis geraubte Kunst wiederzuerlangen.
Was verstand man damals unter „entarteter Kunst“? Jede Kunstform, die sich nicht an traditionelle, realistische Stile hielt oder keine arischen Ideale feierte wurde unter diesem Begriff als „korrumpiert und undeutsch“ oder sogar als „kommunistische“ Propaganda gebrandmarkt. Die Vorstellung der Nationalsozialisten, wie Kunst auszusehen hatte, basierte auf der klassischen Tradition, die vorschrieb, dass Kunst realistisch sein und die Schönheit der natürlichen Welt darstellen sollte. Definitiv nicht dazu gehörten moderne Kunstströmungen wie der Expressionismus, der Surrealismus oder der Kubismus. Oft waren diese Stile von jüdischen Künstler/innen geprägt. Hier sah man in den Kunstbewegungen auch ein Mittel zur Verbreitung des jüdischen Einflusses auf die deutsche Kultur. Die Nazis waren der perversen Ansicht, dass diese Kunstformen den moralischen Verfall der Gesellschaft widerspiegelten und für die Schwächung der deutschen Kultur verantwortlich waren. Ihre Verachtung für moderne Kunstformen war so tiefgreifend, dass sie relativ früh nach Ihrer Machtergreifung einen landesweiten Angriff gegen diese starteten. Resultat war die Beschlagnahmung von Kunstwerken aus Museen, öffentlichen Einrichtungen und Privatsammlungen sowie die zwangsweise Entfernung moderner Kunst aus Galerien und Ausstellungen. Darüber hinaus wurde eine beträchtliche Anzahl von Künstler/innen verfolgt, was viele zur Auswanderung zwang, während ihre Werke zerstört oder beschlagnahmt wurden (Wenn sie das Glück hatten vor ihrer Festnahme fliehen zu können). Viele Künstler, die in der modernen Kunstbewegung eine wichtige Rolle spielten, wie Marc Chagall und Piet Mondrian, mussten aus Europa fliehen. Sie siedelten in die Vereinigten Staaten über, wo sie bis zu ihrem Tod weiter Kunst schufen.
Die aus Kunstinstitutionen, Galerien, von jüdischen Kunsthändlern oder Sammlern, sowie privaten Sammlungen jüdischer Familien geraubten Kunstwerke nutzten die Nazis als Mittel zur Finanzierung ihres Krieges und zur eigenen Bereicherung. Sie betrachteten die Kunst auch als Trophäe und als Mittel zur Sicherung ihrer Macht und ihres kulturellen Erbes auf Kosten der Opfer. Zu den geraubten Kunstwerken gehörten Gemälde, Skulpturen, Möbel, Schmuck und andere Wertgegenstände.
Ein Beispiel für diese Machtausübung ist die Ausstellung „Entartete Kunst“, die 1937 in München stattfand und den Höhepunkt der Angriffe der Nationalsozialisten auf die moderne Kunst bildete. Die beschlagnahmten Kunstwerke, vor allem aus deutschen Museen, sollten dazu dienen, die „entarteten“ Werke der Öffentlichkeit vorzuführen und als lächerlich darzustellen. Es handelte sich hierbei um ca. 650 Kunstwerke aus 32 deutschen öffentlichen Einrichtungen und die Besucherzahlen der Ausstellung bewegten sich im Millionenrahmen. In der chaotischen Ausstellung wurden die Kunstwerke wahllos und ohne Rücksicht auf ihre korrekte Präsentation aufeinandergestapelt. Ebenso wurden sie spöttisch mit verletzenden Bezeichnungen versehen, und die Künstler/innen, die dahinterstanden, wurden oft als geisteskrank bezeichnet. Zu den Künstler/innen, die als entartet bezeichnet wurden, gehörten Namen wie Pablo Picasso, Wassily Kandinsky, Paul Klee und andere, die dafür bekannt waren, dass sie ihre persönlichen Ansichten und Überzeugungen in ihrer Kunst zum Ausdruck brachten. Solch eine öffentliche Missachtung der ausgestellten Werke, eine der dunkelsten Perioden der Kunstgeschichte, hatte auch eine tiefgreifende Wirkung auf das Selbstwertgefühl und die Karriere vieler dieser Künstler/innen
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden internationale Anstrengungen unternommen, um gestohlene Kunst wiederzufinden. Es wurden mehrere Organisationen gegründet, um Informationen zu sammeln und Kunstwerke wiederzufinden, die während des Krieges verloren gegangen waren. Eine der bekanntesten Bemühungen war die Gründung der „Monuments Men“, einer Gruppe von Kunstexperten, die eng mit dem Militär zusammenarbeiteten, um gestohlene Kunstwerke aufzuspüren und zu bergen. Trotz dieser Bemühungen ist ein Großteil der gestohlenen Kunstwerke verloren gegangen. Einige Kunstwerke wurden zerstört, während andere noch nicht gefunden wurden. In der Betrachtung kulturellen Kunstverlusts während des Zweiten Weltkrieges nicht zu unterschätzen sind die Auswirkungen der Bombardierungen von Städten mit bedeutendem kulturellem Erbe. Leider gingen einige der wertvollsten Meisterwerke bei Bombardierungen von Städten wie Dresden und Berlin verloren.
Viele der beschlagnahmten Kunstwerke wurden aber auch an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben oder an Museen gespendet, wo sie heute noch bewundert und studiert werden. Dennoch dauert der Prozess der Wiederbeschaffung gestohlener Kunstwerke bis heute an, und es gibt weltweit laufende Bemühungen, diese verlorenen Schätze zu finden und zurückzugeben. Die Absicht des NS-Regimes bestand zwar darin, die deutsche Kultur von dem zu befreien, was sie als untaugliche und entartete Kunst ansahen, doch der „unglücklich“ glückliche Nebeneffekt war, dass die Werke dieser Künstler weltweit ins Rampenlicht gerückt wurden. Trotzdem trug die damalige Politik der Nazis, Kunstwerke zu stehlen und jüdische Künstler ins Visier zu nehmen, wesentlich zum Verlust einiger der bedeutendsten Kunstwerke der Geschichte bei. Obwohl internationale Anstrengungen unternommen wurden, um einige dieser verlorenen Schätze wiederzufinden, sind viele von ihnen nach wie vor verschollen oder zerstört.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Nazis die moderne Kunst als Bedrohung ansahen, da sie sie als Produkt des moralischen Verfalls und des jüdischen Einflusses auf die deutsche Kultur betrachteten. Die Kampagne der Nazis gegen die moderne Kunst führte zur Zerstörung zahlreicher Kunstwerke, zur Verfolgung von Künstlern und zur Beschlagnahmung wertvoller Kunstwerke aus öffentlichen Einrichtungen und privaten Sammlungen, was zu einem erheblichen Verlust an menschlichem Kulturerbe führte.
Trotz der Abscheulichkeiten des Naziregimes erinnert das Vermächtnis der entarteten Kunst und der Münchener Ausstellung an eine der dunkelsten Perioden der Kunstwelt. Vor allem verdeutlicht sie hier die Notwendigkeit der freien Meinungsäußerung im künstlerischen Schaffen und die Gefahren, die entstehen, wenn Ideen und kreativer Ausdruck zensiert werden oder strikten Vorgaben folgen müssen. Die Ausstellung demonstrierte die einzigartige Kraft der Kunst, die vorherrschende Ideologie der Zeit herauszufordern, sie schuf eine Plattform für den Dialog, die verschiedene visuelle Formen der Kunst anbot und die persönlichen Erfahrungen des Künstlers/ der Künstlerin in den Vordergrund rückte. Heute steht der Begriff „Entartete Kunst“ für eine bittere Erinnerung daran, wie weit die Menschheit gehen kann, um Menschen ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung vorzuenthalten.
Links zu Bildern und zum Weiterlesen
https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/141166/vor-80-jahren-ausstellung-entartete-kunst/
https://www.akg-images.de/Package/2UMEBMKN0MT3
http://www.suedwestgalerie.de/kunstlexikon/kunstgeschichte/entartete-kunst#kunstgeschichte
Quellen:
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