Was wäre Europa ohne Erinnerungen?

Ich kann mir keine sinnvolle Antwort ausmalen.  Umso wichtiger ist es, die Vergangenheit stets zu reflektieren, auf die Gegenwart zu beziehen, und neue Wege mit altem Wissen zu bestreiten, um neue Erkenntnisse zu erlangen und eine Zukunft zu formen, die die Vergangenheit integriert, sowie bis zu einem gewissen Grad verarbeitet hat.

„Arbeiten an Europa“ – so bezeichnen die Leiter unseres Seminars Simon Strauß und Max Stange ihre Berufung.  Als relativ junges Projekt, was erst vor kurzem fertiggestellt wurde, dient das European Archive of Voices keinem konkreten Ziel. Zeitgenossinnen interviewen wiederum Zeitzeugen der Vergangenheit, um Europa verstehen zu lernen und dieses Verständnis an all jene weiterzugeben, die in Zukunft das kulturelle Erbe weitertragen. Es geht um einen Raum für Begegnungen und Austausch. In Letzterem finden wir uns im Seminar wieder, welches uns zu Beginn des Jahres 2022 in die tiefe Welt der Erinnerungen mitnahm. Genauer: der Hoffnungen, der existenziellen Kämpfe um Fragen der Identität, der ideologischen und politischen Prägung unterschiedlichster kultureller Räume und der Bedeutung Europas, für die Generation, die in der ersten Hälfte des 20. Jhd. geboren ist. Darunter befanden sich Schriftstellerinnen, Wissenschaftler, Politikerinnen sowie Künstler und eine Menge mehr an brillanten Geistern.

Zu Beginn näherten wir uns dem Thema der Oral History und welche Methoden genutzt werden können, um das kommunikative Gedächtnis/das kollektive Gedächtnis (einzelner Gruppen, Nationen etc.) auf sehr persönliche und subjektive Art und Weise festzuhalten (Interviews, mehrtägige Einzelgespräche etc.). Als Vorbereitung auf das gut strukturierte Seminar konnten wir uns ein Interview aus dem Archiv aussuchen und dieses anhand unterschiedlicher Analysekriterien im Detail betrachten. Dazu bekamen wir noch zusätzliche Literatur über Geschichte und Methoden der Oral History. Zu Beginn der Klausurenvorbereitungsphase war dies eine ziemliche Herausforderung, deren Resultat es, im Nachhinein betrachtet wert war.  Die Ergebnisse unserer individuellen Vorbereitung besprachen wir anschließend in Kleingruppen. Mit Unterstützung der Leiter des Seminars bereiteten wir uns auf eine kleine Präsentation der Ergebnisse und Erkenntnisse sowie unser Leseeindrücke vor.

Um dem Workload auch eine entsprechende Entspannung entgegenzustellen, gab es am zweiten Tag des Seminars ein kleines Abendprogramm. Nora Bossong, eine deutsche Schriftstellerin, las etwas aus ihrem neuen Roman mit Europabezug vor. Anschließend hielt Iryna Kashtalian einen Kurzvortrag über die aktuelle Lage in Belarus und ihr Interview mit Stanislav Shushkevich (ehemaliges Staatsoberhaupt), welches im Rahmen des European Archive of Voices durchgeführt wurde.

Es war eine sehr angenehme Atmosphäre, es gab immer jemanden, den man bei Fragen adressieren konnte und das Samstagabend-Programm war eine schöne Abwechslung und Erweiterung des begonnenen Themas.

Zu Ende des Abends gab es eine kleine Fazitrunde, jedem stand es frei etwas zu ergänzen oder loszuwerden, was ihm auf dem Herzen lag. Die abschließende Frage lautete:

Wie stellen Sie sich Europa in 50 Jahren vor? Unsere Antworten waren ein wilder Mix aus Hoffnung und Pessimismus, wobei ich nicht mehr verraten werde, da ich gern Eure Meinung in den Kommentaren hören würde.

Hier kommt ihr zur Website des European Archive of Voices:

https://arbeitaneuropa.com/european-archive-of-voices/