Im Seminar “Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens” wird normalerweise über Dinge wie Quellensuche, Zitiertechniken oder Formatierung gesprochen. Doch am Donnerstag den 20. Oktober gibt es überraschend Besuch – aus Belarus. Glafira Zhuk ist Aktivistin. Sie kämpft gegen das autoritäre Regime von Staatschef Alexander Lukaschenko und für ein demokratisches Belarus. Der Deutsche Journalistenverband hat sie eingeladen, während eines Monats in Bremen über ihre Erlebnisse in Belarus zu berichten. Ihr heutiges Publikum sind die Studierenden der Integrierten Europastudien an der Universität Bremen.

Glafira Zhuk arbeitet als Journalistin, sie schreibt über aktivistische Arbeit in Belarus. Dass sie heute in Bremen ist und nicht zu Hause, in Minsk, sei keine freiwillige Entscheidung, erzählt Glafira. Eine Rückkehr zu ihrer Familie sei momentan keine Option, da das Regime Lukaschenko heimkehrenden Belaruss:innen unterstellt, Spionagetätigkeiten im Auftrag der EU nachzugehen. “Auf Basis welcher Beweislage?”, fragen sich womöglich einige. Doch das Regime Lukaschenko setzt nicht auf Beweise. Glafira wurde bereits einmal inhaftiert, unter dem Vorwand, vor dem Gerichtsgebäude protestiert zu haben, was verboten ist. Tatsächlich war sie dort, um über Gerichtsprozesse zu berichten. Der Europablog hat Glafira Zhuk im Anschluss der Veranstaltung zu ihrem einmonatigen Gefängnisaufenthalt befragt. Das gesamte Interview ist hier nachzulesen.

Glafira hat eine Präsentation vorbereitet, mit der sie die Studierenden über das politische Geschehen in Belarus informieren möchte. Zunächst zeigt sie, wo auf der Weltkarte sich Belarus befindet, nämlich angrenzend an Russland, Litauen, Polen und die Ukraine. Belarus gehört zu den postsowjetischen Staaten und wurde erst 1991 unabhängig, nachdem die Sowjetunion endgültig kollabiert war, erzählt Glafira. Die Zeit zwischen 1991 und 1994 nennt sie die demokratische Blütezeit Belarus’. Der heute autoritär regierende, heftig umstrittene Staatschef Alexander Lukaschenko gelangte 1994 über demokratische Wahlen (sowohl von EU als auch UN anerkannt) in sein Amt. Eine von ihm veranlasste Verfassungsänderung 1996 ebnete den Weg für eine zeitlich unbegrenzte Amtszeit. Daraufhin verschlechterten sich die Beziehungen zur EU, während Lukaschenkos politische Loyalität fortan Russland beziehungsweise Wladimir Putin galt. In diesem Zuge wurden auch Medien zunehmend reglementiert, erzählt sie weiter. So gelingt Glafira die Überleitung zum Jetzt. Sie als Journalistin sei unter anderem aus Belarus geflohen, da sie dort nicht mehr ihrer Arbeit nachgehen könne, ohne fürchten zu müssen, erneut verhaftet zu werden. Unabhängige Journalist:innen vor Ort gebe es kaum noch, da immer mehr Personen spontan und ohne rechtskräftige Gründe verhaftet würden. Generell sei es schwierig geworden, untereinander zu kommunizieren. Wie Glafira erzählt, müssen Kolleg:innen ständig umziehen, sodass Behörden sie nicht finden und womöglich verhaften können.

Am 17. November 2019 fanden in Belarus Parlamentswahlen statt. Es war bereits bekannt, dass Machthaber Lukaschenko seine schwindende Macht wohl kaum einem neuen oder einer neuen Regierungschef:in überlassen würde. Wie erwartet inszenierte sich Lukaschenko schließlich als Sieger der Wahlen. Obwohl Belaruss:innen über massiven Wahlbetrug klagten – die Stimmabgabe sei weder frei, noch gleich, noch geheim abgelaufen – hielt Lukaschenko an seinem Amt fest. Im Ausland reagierte man mit Skepsis. Viele Staaten verweigern Lukaschenko die Anerkennung als rechtmäßigen Staatschef. Nach den Wahlen formierte sich Widerstand in Belarus. Es folgten Massenkundgebungen, organisiert von einer (vermutlich) gesellschaftlichen Mehrheit, die Lukaschenko als ihren Präsidenten klar ablehnt und demokratische Neuwahlen verlangt. Das Regime erwiderte diese Forderungen mit massivem Polizeiaufgebot und Gewalt gegen Demonstrant:innen. Viele wurden und werden verhaftet, interniert, teils verprügelt. Lukaschenko setzt auf Abschreckung.

Glafira zeigt Bilder, die während der Proteste in Minsk entstanden sind. Aus urheberrechtlichen Gründen dürfen diese leider nicht hier angezeigt werden. Das folgende Bild ist auch während der Proteste in Belarus entstanden und darf lizenzfrei genutzt werden (siehe unten: Bildquellen). Es vermittelt eine ganz andere Atmosphäre, im Gegensatz zu Glafiras Bildern, auf denen Momente der Gewalt eingefangen wurden. Auf ihren Bildern zu sehen sind Polizisten und Demonstrierende. Die einen schwer bewaffnet, die anderen schwer verletzt.

Im Anschluss an Glafiras Präsentation haben die Studierenden die Möglichkeit, ihr Fragen zu stellen. Die meisten wissen vom politischen Zustand Belarus’, haben die Nachrichten verfolgt. Es wird gefragt, für wie realistisch sie es hält, dass Lukaschenko bald abtreten wird. Glafira meint, dass die Strategie, wie sie Lukaschenko momentan fährt, sehr teuer ist. Insbesondere die Ausgaben für Polizei und Militär seien mit den Protesten gewachsen. Polizisten verdienen mitunter doppelt so viel wie Wissenschaftler:innen, sagt Glafira. Auf Dauer könne sich dieses System nicht finanzieren. Lukaschenkos politische Zukunft hinge größtenteils an Geldgeber Russland. Eine weitere Frage betrifft die Unterstützung Lukaschenkos innerhalb der belarussischen Bevölkerung. Mit welcher Rechtfertigung beteiligten sich beispielsweise Polizisten an den staatlichen Repressionen, fragt ein Student. Glafira erwidert, dass ein Großteil des Polizeiapparats Lukaschenko unterstützt. Es seien insbesondere Polizisten, die von der Situation momentan am meisten profitieren, aufgrund steigender Löhne. Dadurch entstehe auch eine finanzielle Abhängigkeit, meint Glafira. Die Lebensumstände derjenigen, die auf dem Land leben, seien besonders prekär, weshalb viele die Proteste als Destabilisierung der ohnehin angespannten Lage sehen. Zuletzt die Frage, wie man Belaruss:innen momentan helfen könne. Da holt Glafira Postkarten hervor. Wer möchte, kann einer/einem inhaftierten Belaruss:in eine Karte schreiben, die Glafira später verschicken wird.

Zum Ende der Veranstaltung bedanken sich die Studierenden für Glafiras Besuch an der Universität Bremen. Viele von ihnen sind beeindruckt von ihr und sprachlos über das, was sie in Belarus erfahren musste. Es bleibt ein gemeinsames Foto.

 

Bildquellen: Unsplash – Andrew Keymaster (1), Karina Maslina (2)