„Mit einem Programm aus Lesung, Diskussion und Musik feiert das Bremer Solidaritätskomitee Belarus den ersten Tag der belarussischen Kultur in Bremen. Die Autorin Olga Shparaga stellt dem Bremer Publikum ihr bei Suhrkamp erschienenes Buch über Belarus vor. Die belarussische Schauspielerin Viktoria Biran wird singen und aus dem Buch vorlesen. Darüber hinaus präsentiert die belarussische Fotojournalistin Violetta Savchits einige ihrer bekannten Fotos. Gemeinsam mit Akteur:innen des Komitees kommen die Künstler:innen über ihre Arbeit und die gegenwärtige Situation in Belarus ins Gespräch.“ So kündigte das Theater am Goetheplatz die Veranstaltung an, die am 17. Juli bei strahlendem Sonnenschein auf dem Goetheplatz stattfand. Ohne Anmeldung, aber mit Registrierung über QR-Code oder in Papierform fanden sich etwa 30 Menschen ein und hörten vor allem politische Statements zur Situation in Belarus und dazu, wie sich EU und Menschen in Deutschland und konkret in Bremen dazu verhalten sollten, dass Belarus’ Präsident Alexander Lukaschenko mit Deckung aus Russland Proteste niederknüppeln lässt, Menschenrechte missachtet und die belarussische Zivilgesellschaft zu zerstören trachtet.

Unterstützt wurde die Veranstaltung vom Verein Razam e.V., vom Europa Punkt Bremen und vom Institut für Europastudien der Universität Bremen. Auf die Eröffnung durch Libuše Cerná, in der sie an die derzeit über 500 politischen Gefangenen in belarussischen Gefängnissen erinnerte, verwies Thomas Röwekamp (CDU, MdBB) darauf, dass sich am 9. August zum ersten Mal die Wahlen jährten, deren Ergebnis von Alexander Lukaschenko 2020 „in eklatanter Weise“ gefälscht wurden. Doris Achelwilm (Die Linke, MdB) forderte „mehr diplomatischen Druck“ auf Belarus. Henrike Müller (Grüne, MdBB) prangerte aktuelle Entwicklungen an; aktuell stünde die belarussische Studierendenvertretung vor Gericht, gegen die Beteiligten würden mehrjährige Haftstrafen verhängt. Sie zeigte sich aber optimistisch, was das Durchhaltevermögen der protestierenden Frauen angeht: „Sie werden einen langen Atem haben“. Drei Mitglieder des Bremer Solidaritätskomitees Belarus wandten sich mit Appellen an die Zuhörerinnen und Zuhörer, die mit Abstand auf Klappstühlen vor der Bühne saßen. Iryna Shyla beklagte, Belarus führe „Säuberungen“ durch. Außenminister Wladimir Makej habe die Zerstörung der Zivilgesellschaft angekündigt. „Durchsuchungen“ bei regimekritischen Menschen werden als „Akte von Vandalismus“ durchgeführt, um die Menschen von weiterem Engagement abzuschrecken. Aber: „Wir wollen kein Nordkorea in der Mitte von Europa!“ Frank Hoffer plädierte für „ökonomische und politische Sanktionen“ gegen Lukaschenko, der Angst vor friedlichen Massenstreiks habe. Helga Trüpel erklärte, Belarus halte sich durch die Unterstützung Russlands: „das heutige Russland unter Putin ist für die EU kein Partner, sondern ein ideologischer Gegner.“

Victoria Biran liest aus Olga Shparagas Buch “Die Revolution hat ein weibliches Gesicht” (Berlin 2021). 

Die belarussische Schauspielerin und Sängerin Victoria Biran sang ein Volkslied über ein Dorfmädchen, das seinen Schlüssel verloren hat. Im Anschluss las sie aus dem Buch von Olga Shparaga „Die Revolution hat ein weibliches Gesicht“ die Beschreibungen von Frauendemonstrationen in Minsk. Shparaga hatte mit einem Plakat mit der Aufschrift „Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit“ teilgenommen. Im anschließenden Interview mit Libuše Cerná erklärte Olga Shparaga, die inzwischen im litauischen Vilnius lebt, ganz unterschiedliche Frauen hätten bei den Protesten zusammengefunden und sich in ihren jeweiligen Rollen präsentiert, sei es als Feministinnen, als Hausfrauen oder als Teil der LGBTQ+-Community. Der Wunsch nach demokratischer Veränderung habe sie alle geeint. Es sei eine „Revolution in progress“. Die Gesellschaft wolle nicht mehr zurück. Ihr Buch habe sie in nur drei Monaten geschrieben, die „revolutionäre Energie“ habe sie dazu befähigt.

In der Podiumsdiskussion, dem letzten Programmpunkt der Veranstaltung, erklärte Simon Lewis, Professor am Institut für Europastudien, er fühle geradezu einen „Zwang, die Revolution zu analysieren“. Grund dafür sei die Kreativität der Proteste, deren Lieder und Lyrik er in einem Aufsatz untersucht hat. Belarus sei international von der Wissenschaft marginalisiert. „Jetzt gibt es die Gelegenheit, etwas zu machen.“ Die Energie der Proteste komme wie in Hongkong von der Kultur und sei „eine wichtige Komponente“.

Simon Lewis neben Olga Shparaga und Libuše Cerná.

Die junge Frau auf Violetta Savchits’ Foto heißt Anja, sie ging immer wieder im Brautkleid ihrer Mutter zu Demonstrationen in Minsk. Deswegen wurde sie von der Universität geworfen. Sie musste nach Polen auswandern. Dort studiert sie – erst einmal die polnische Sprache, bevor sie ein neues Fachstudium aufnehmen kann.

zu Die Fotojournalistin Violetta Savchits sagte über ihre Arbeiten, die als Poster auf Stellwänden hinter der Bühne hingen, es falle ihr jetzt schwer, die Bilder anzusehen, es sei eine „schwarze Zeit“. Vier ihrer Kolleginnen seien gerade festgenommen worden. Ihr Aufruf ans Publikum: Spenden für die Menschen in Gefahr. Olga Shparagas Antwort auf die Frage, was die Menschen in Belarus bräuchten: Die Regelungen, ein Schengenvisum zu bekommen, müssten für die Protestierenden erleichtert werden. Auch der akademische und künstlerische Austausch sei wichtig, außerdem materielle Unterstützung, z. B. Computer. Vor allem solle man mit den Menschen in Belarus sprechen: die sagten einem dann schon, was sie bräuchten. Am Ende der Wortbeiträge steht eine Frau im Publikum auf und ruft “Zhyve Belarus!”

Insgesamt war es ein etwas merkwürdiger Nachmittag, der wenig mit einem Kulturfest und viel mit einer Partei- oder Wahlkampfversammlung zu tun hatte. Die Zeiten, in denen Belarus als Aufregerthema auch in Deutschland große Menschenmengen bewegte, sind anscheinend schon wieder vorbei. Von den Passanten, die es am Goetheplatz durchaus gibt, ließ sich durch Aufrufe und Interviews niemand zum Stehenbleiben und Zuhören verleiten. 

Ich nehme von der Veranstaltung die Geschichte von Anja im Brautkleid und einen gewaltigen Sonnenbrand auf Nase und Füßen mit. Zwei Stunden in der prallen Sonne an einem wolkenlosen Julitag bringen auch ihre Gefahren mit sich.