von Vivienne Vent
Essbar, ungenießbar, tödlich. Winzig klein und riesengroß. Kaum eine Lebensform ist so vielfältig wie die der Pilze. Nicht ohne Grund ordnet man sie weder Tieren noch Pflanzen zu, sie bilden ein ganz eigenes Taxon unter den Lebewesen. Obwohl sie seit jeher einen großen Teil unserer Ernährung ausmachen, wissen nur wenige wie komplex diese Organismen tatsächlich sind. Wusstest du zum Beispiel, dass das größte Lebewesen des Planeten ein Pilz ist? Oder dass Pilze aufgrund von Symbiosen eine Vielzahl von Lebensformen auf der Erde erst möglich gemacht haben? Erfahre hier mehr über die treibende Kraft der Pilze!
Echte Pilze, die (Fungi)
Die Systematik (Einordnung in den Stammbaum) der Pilze ist sehr kompliziert und je nach Quelle ein wenig unterschiedlich. Wenn wir im Alltag über Pilze sprechen, dann meinen wir zumeist die Echten Pilze (Fungi). Neben diesen Echten Pilzen existieren jedoch auch sogenannte pilzähnliche Protisten (Protoctista, s. unten), auf die in diesem Artikel jedoch nicht weiter eingegangen wird.
Side Fact: Was sind Protisten (Protoctista)?
Unter Protisten fasst man einzellige Lebewesen zusammen. Diese einzelligen Lebewesen kann man aufgrund ihrer Morphologie (äußere Erscheinung) oder Genetik weder den Tieren, Pflanzen, noch den Echten Pilzen zuordnen. Zu ihnen gehören nicht nur Pilze, sondern z.B. auch manche Algenarten.
Beginnen wir mit ein paar hard facts:
- Pilze bilden ein eigenes Taxon innerhalb der Eukaryoten (Lebewesen, deren Zellen einen echten Zellkernhaben) und werden somit von den Tieren (Animalia) und Pflanzen (Plantae) abgegrenzt.
- Warum? Pilze sind nicht zur Photosynthese fähig wie Pflanzen und ernähren sich daher heterotroph wie Tiere, d.h. sie nehmen ihre Nährstoffe aus der Umgebung auf. Oft werden Pilze für Pflanzen gehalten, weil sie sessil (sesshaft) sind, doch sind sie genetisch eigentlich näher mit den Tieren verwandt. Von diesen unterscheiden sie sich z.B. insofern, dass sie Zellwände ausbilden können; eine Eigenschaft, die zumeist den Pflanzen zugeordnet wird.
- Es ist nur ein Bruchteil aller Pilzarten bekannt. Manche Forschende gehen davon aus, dass es sogar über 1 Mio. Pilzarten gibt; es bleibt also noch viel zu erforschen!
- Das, was wir zumeist an der Oberfläche von Pilzen sehen, ist nur der Fruchtkörper des Pilzes, genauer gesagt der Fruchtkörper einiger Pilzarten, nämlich die der Ständerpilze (Abb. 2). Der größte Teil des Organismus´, das Myzel, liegt weit unter der Erde verzweigt. Über das Myzel nehmen die Pilze Nährstoffe auf, verbrauchen diese selbst oder geben sie an Symbiosepartner ab. Die einzelnen Verästelungen des Myzels (Hyphen) können sich über mehrere Kilometer ausbreiten und richten sich immer nach den Orten mit hoher Nährstoffkonzentration in der Umgebung.
Fun Fact:
Wusstest du, dass das größte Lebewesen der Erde ein Pilz ist? Das Myzel einiger Hallimascharten (Gattung Armillaria) erstreckt sich über fast 9 km2, eine Größe, neben der der Blauwal mit seinen 35 m Länge ziemlich klein aussieht.
Um in der Natur unter meist extremen Bedingungen (Kälte, Hitze) überleben zu können, interagieren Pilze mit anderen Organismen. Diese Interaktionen sind meist energetisch günstiger für die Pilze und ergänzen ihre limitierte Nährstoffproduktion. Eine solche Interaktion wird in der Biologie als „Symbiose“ bezeichnet.
Mi casa es su casa, aber eben auch nur manchmal
Symbiosen sind eine der größten Treiber der Evolution. Nicht nur erweitern sie die Möglichkeit zum Nahrungserwerb und zur Fortpflanzung eines Individuums weit über dessen eigene Fähigkeiten hinaus. Sie führten auch zu hochspezifischen Anpassungen an diese Lebensweisen, sei es in Form eines Abwehrmechanismus´ oder eines neuartigen Organs, um die „Zusammenarbeit“ zu erleichtern.
Symbiosen bestehen quasi in jedem Taxon, zwischen Insekten und Pflanzen (z.B. Honigbienen und Echtem Lavendel), Insekten und Bakterien (z.B. Europäischer Bienenwolf und Streptomyces) und eben auch zwischen Insekten und Pilzen oder Pilzen und Bakterien.
Symbiose (nach Biedermann & Rohlfs 2017)
Eine Symbiose ist eine Interaktion zwischen zwei unterschiedlichen Arten (z.B. Insekten-Pilze, Insekten-Bakterien, Pilze-Pflanzen). Anders als häufig angenommen kann sie nicht nur positive Auswirkungen (mutualistisch, kommensalistisch) haben, sondern sich auch negativ auf mind. einen der Symbiosepartner auswirken (antagonistisch) (Abb. 3).
Meist sind Symbiosen langfristige Beziehungen, die sogar mehrere Generationen andauern können.
Der Ursprung aller Symbiosen liegt – Überraschung – bei den Pilzen. Mit dem Beginn der terrestrischen Vegetation in Form von Grünalgen ergaben sich neue Herausforderungen: die Suche nach Wasser und Nährstoffen. Aufgrund dieses Umstandes entwickelten sich Interaktionen (Symbiosen) mit Pilzen. Die Grünalgen boten ihnen Glucose und erhielten im Gegenzug sowohl Schutz vor Austrocknung und bakteriellen Angriffen (Krespach et al. 2020), als auch die benötigten Nährstoffe, die sie selbst nicht herstellen konnten.
Dies ist nun mehrere hundert Millionen Jahre her. Seitdem hat sich die terrestrische Vegetation immer weiter ausgebreitet und mit ihr die Pilze. Wälder z.B. sind ohne das Netzwerk, das Pilze mit ihrem Myzel bilden, undenkbar. Sie bauen in ihrer Funktion als Destruenten nicht nur totes organisches Material ab und schleusen es anschließend in Form von Nährstoffen wieder in den lebenden Kreislauf ein. Forschende nehmen heutzutage an, dass Bäume sogar über dieses Netzwerk miteinander kommunizieren können. Deshalb wird dieses Netzwerk auch „Wood Wide Web“ genannt.
Symbiosen mit Pilzen sind wichtig für viele Lebewesen des Planeten. Doch wie genau sehen diese Symbiosen aus? Welche Mechanismen liegen ihnen zugrunde?
Von den Insekten und den Pilzen
Diese Frage stellen sich auch Forschende um Prof. Dr. Marko Rohlfs in der AG für Chemische Ökologie an der Universität Bremen. Sie erforschen die Rolle von Chemikalien in Insekten-Pilz Interaktionen. Ein Verständnis der chemischen Vorgänge in Symbiosen könne dazu führen, dass sich etwaige Mechanismen zu Nutze gemacht werden können, z.B. in der Biotechnologie.
Allgemeinhin sind Pilze nicht nur als Nahrungsmittel oder -zusatz bekannt, sondern auch als Pathogene (Schädlinge). So hat manch eine*r wahrscheinlich schon einmal eine dicke grau-grüne Fellschicht auf einem vergessenen Apfel oder Brot entdeckt. Und vielleicht ist dem einen oder anderen bereits der Begriff „Mykose“, Pilzinfektion, über den Weg gelaufen. Mykosen können oberflächlich und harmlos sein, wie z.B. ein Nagel- oder Fußpilz. Befällt der Pilz jedoch innere Organe (systemische Mykose), kann dies ohne Therapie zum Tod führen.
Eine solche Situation bezeichnet man in der Biologie als „Antagonismus“ bzw. „Parasitismus“, d.h. die Interaktion ist nur für einen Symbiosepartner effektiv; in diesem Fall der pathogene Pilz. Der andere Partner dient dem Pilz als Wirt und verliert an ihn (lebens-)wichtige Nährstoffe.
Symbiotische Beziehungen zwischen Pilzen und bspw. Insekten können jedoch auch mutualistisch sein. In diesem Falle beziehen beide Symbiosepartner einen Nutzen aus der Interaktion, indem sie sich z.B. gegenseitig mit Nährstoffen versorgen, die der eigene Organismus nicht produzieren kann. Auch die Forschenden der AG für Chemische Ökologie sind davon überzeugt, dass chemische Stoffe treibende Kräfte von Insekten-Pilz Interaktionen sind. Aber wie genau können chemische Stoffe Symbiosen beeinflussen?
Zwei Unterscheidungen sind hier wichtig: Chemische Stoffe, die sich unabhängig von der Insekten-Pilz Interaktion evolviert haben, aber trotzdem eine Rolle in dieser einnehmen und solche, die sich aufgrund der Interaktion entwickelt haben (Biedermann et al. 2019).
Stellen wir uns eine Beispielsituation vor: In einer mutualistischen Interaktion zwischen einem Pilz und einem Insekt muss zunächst der Kontakt zwischen beiden Symbiosepartnern hergestellt werden. Dabei kann entweder der Pilz oder das Insekt derjenige Partner sein, welcher den jeweils anderen wählt. In einer direkten Interaktion können Pilze chemische Stoffe produzieren, die auf das Insekt der Begierde anziehend wirken. Ist der Kontakt hergestellt, werden zwischen den Symbiosepartnern vor allem Ressourcen ausgetauscht (Biedermann et al. 2019).
Wie auch wir Menschen sind andere heterotrophe Organismen auf die Nährstoffaufnahme aus der Umgebung angewiesen, da die Nährstoffproduktion limitiert ist. Pilze bieten Insekten wichtige Metabolite an, die diese nicht selbst produzieren können (z.B. Nährstoffe und Enzyme). Die Insekten hingegen bieten dem Pilz ein Habitat, in oder auf dem er wachsen kann sowie auch eine Möglichkeit, sich räumlich zu verbreiten, da Pilze selbst sessile Organismen sind (Biedermann et al. 2019).
In einer indirekten Interaktion heften Pilzsporen mittels klebender Substanzen an den Körper des Insekts an und werden so an andere Orte weitergetragen. Zusätzlich können Insekten dem Pilz chemischen Schutz vor anderen Pathogenen und Konkurrenten bieten (Biedermann et al. 2019).
In einer antagonistischen Interaktion, in der der Pilz das Insekt parasitiert, können chemische Stoffe einen ganz anderen Nutzen haben: Sie ermöglichen dem Pilz den Zugang zum Inneren des Insekts, indem sie bspw. die antimykotische Immunabwehr (=„Anti-Pilz-Abwehr“) des Wirts durchbrechen. Ebenso können Pilze Abwehrstoffe gegen Insekten produzieren, die sich von Pilzen ernähren (Biedermann et al. 2019).
Die Mechanismen einer Symbiose, d.h. die chemischen Stoffe oder der Ablauf einer mutualistischen/antagonistischen Beziehung, sind stark abhängig von den jeweiligen Interaktionspartnern. Daraus ergibt sich eine hohe Vielfalt an hochspezifischen Insekten-Pilz Symbiosen, die teils seit mehreren Jahrtausenden bestehen. Wie aber überdauern diese spezifischen Beziehungen mehrere Generationen? In manchen Symbiosen werden Pilze von den Insekten mittels vertikaler Transmission an die nachfolgende Generation weitergegeben (Biedermann et al. 2019). In anderen wiederum, muss der Pilz jede Generation aufs Neue anlocken und die Beziehung neu aufbauen (Biedermann et al. 2019).
vertikale Transmission
Unter vertikaler Transmission versteht man die Weitergabe genetischen Materials durch asexuelle oder sexuelle Fortpflanzung.
Wie genau sich Metabolite in mutualistischen und antagonistischen Symbiosen evolviert haben, ist in der Evolutionsforschung noch nicht ausreichend erforscht. Wissenschaftler*innen gehen jedoch davon aus, dass man, sollten sie sich zu Beginn einer Symbiose entwickelt haben, den Entstehungszeitpunkt der Interaktion bestimmen kann (Biedermann et al. 2019). Ebenso könnten die genauen Verläufe der chemischen Insekten-Pilz Interaktionen dazu beitragen, gezielter gegen für die Gesundheit oder Landwirtschaft schädlichen Organismen vorzugehen.
Die Zukunft der Pilze
Obwohl Pilze wahre Überlebenskünstler sind und den Planeten sowohl nach der Eiszeit, als auch nach dem Meteoriteneinschlag wiederbevölkert haben, der die Dinosaurier auslöschte, wirkt sich der Klimawandel auch auf diese Organismen aus.
Die meisten Pilzstämme sind nachweislich an moderate Temperaturen in der Natur angepasst und unsere hohe Körpertemperatur schützt uns vor starken Infektionen. Sollte sich die Erderwärmung jedoch weiter fortsetzen, so würden sich auch die Pilze an höhere Umgebungstemperaturen anpassen. Eine solche Anpassung würde die Wahrscheinlichkeit einer systemischen Mykose bei Menschen ebenfalls erhöhen. Genauer gesagt: Der Mensch bleibt aufgrund seiner hohen Körpertemperatur weitgehend von inneren Pilzinfektionen verschont. Studien haben gezeigt, dass die meisten Pilzstämme bei Raumtemperatur (ca. 20°C) ideales Wachstum aufweisen. Erhöht man jedoch die Temperatur auf die menschliche Körpertemperatur (37°C), so setzen nur wenige Stämme ihr Wachstum fort.
Ein solcher Umstand zeigt einmal wieder, dass der Klimawandel nicht nur die Natur, sondern auch den Menschen unmittelbar betreffen wird (eine umfassende visuelle Darstellung bietet hier die ARTE-Dokumentation „Im Königreich der Pilze“).
Verweis auf Bremer Forschung
Die Arbeitsgruppe für Chemische Ökologie an der Universität Bremen untersucht unter anderem, welche Rolle Pilze bei der evolutionären Entwicklung des Sozialverhaltens von Insekten spielen. Der Schwerpunkt liegt hier auf dem Einfluss von Hefepilzen auf das Brutfürsorgeverhalten der Fruchtfliege (Drosophila melanogaster). Ein weiterer Forschungsansatz der AG bildet die Untersuchung von Pilzmetaboliten im Kontext der Kommunikation mit Insekten und als Abwehrmechanismus gegen ebendiese. Erkenntnisse aus diesem Ansatz bilden die Grundlage für die Entwicklung von Abwehrstoffen gegen schädliche Insekten z.B. in der Landwirtschaft.
Die Arbeitsgruppe für Molekulare Ökologie an der Uni Bremen hat sich vor allem auf marine Pilze, einem vergleichsweise kleinen Forschungsfeld, spezialisiert. Die Forschenden entwickeln unter anderem Tools für die Einordnung (Klassifizierung) mariner Pilzarten in den Stammbaum und untersuchen Pilz-Pilz Interaktionen. Darüber hinaus besteht ein interdisziplinäres Projekt, das untersucht, inwieweit auch marine Pilze organisches Material durch bspw. Enzyme zersetzen können.
Neugierig geworden? Die Links zu den Websites der Arbeitsgruppen findest du unter Referenzen und Empfehlungen.
Referenzen und Empfehlungen
Biedermann, P.H.W. et al. (2019). Evolutionary chemo-ecology of insect-fungus interactions: Still in its infancy but advancing. Fungal Ecology, https://doi.org/10.1016/j.funeco.2018.11.010
Biedermann, P.H.W., Rohlfs, M. (2017). Evolutionary feedbacks between insect sociality and microbial management. Current Opinion in Insect Science, Vol. 22, Pages 92-100, https://doi.org/10.1016/j.cois.2017.06.003.
Krespach MKC, García-Altares M, Flak M, Schoeler H, Scherlach K, Netzker T, Schmalzl A, Mattern DJ, Schroeckh V, Komor A, Mittag M, Hertweck C, Brakhage AA (2020) Lichen-like association of Chlamydomonas reinhardtii and Aspergillus nidulans protects algal cells from bacteria. ISME J 2020, doi:10.1038/s41396-020-0731-2.
Lexikon der Biologie. Pilze, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/pilze/51826# (zuletzt aufgerufen: 19.10.2021, 10:49 Uhr)
Lexikon der Biologie. Protista, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/protista/54231 (zuletzt aufgerufen: 29.10.2021, 15:03 Uhr)
Lexikon der Biologie. Vertikale Transmission, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/vertikale-transmission/69453 (zuletzt aufgerufen: 19.10.2021, 10:50 Uhr)
Mock, K. (09.09.2019). Das weltweit größte Lebewesen. Planet-wissen, https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/lebensmittel/gift_und_speisepilze/pwiedasweltgroesstelebewesen100.html (zuletzt aufgerufen: 19.10.2021, 10:40 Uhr)
Website der AG für Molekulare Ökologie an der Universität Bremen:
https://www.uni-bremen.de/molecol/forschung
Website der AG für Chemische Ökologie an der Universität Bremen:
https://www.uni-bremen.de/popecol/
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