Lerneinheit 10: Bremerhaven

Diese Lerneinheit war eigentlich als Exkursion zum Containerterminal und Historischen Museum in Bremerhaven geplant, um die Themen des Seminars vor Ort aufzuspüren. Wegen Corona geht das nun leider nicht. Wir widmen uns in dieser Woche daher von zuhause aus den Entwicklungen in Bremerhaven, einer ganz besonderen Stadt in der Bremischen Zweistädterepublik. Wie wirken sich die Dynamiken des Welthandels und der Schifffahrt auf die Stadtentwicklung und das Arbeiten in den Häfen Bremerhavens aus? Wie passen kontinuierliches Wachstum der Überseehäfen und sozioökonomischer Abstieg der Stadt zusammen? Welche Zukunftsperspektiven hat Bremerhaven?

Wenn wir über die Bremischen Häfen in der Gegenwart sprechen, meinen wir zwar zum Großteil die Häfen in Bremerhaven, die ja zum großen Teil stadtbremisches Territorium sind, fokussieren dann aber doch oft die Auswirkungen in der Stadt Bremen. Bremerhaven scheint geographisch, politisch und in Bezug auf unsere Aufmerksamkeit eher in der Peripherie zu liegen. Dabei verdient die Entwicklung von einem Vorhafen an der Wesermündung zu einer Großstadt mit großen sozioökonomischen Problemen deutlich mehr Aufmerksamkeit.

Die Siedlungsgeschichte an der Mündung der Geeste in die Weser bzw. am Übergang von Unterweser zur Außenweser ist sehr viel älter als die heutige Stadt Bremerhaven, die auf den Erwerb von Land durch die Hansestadt Bremen im Jahr 1827 zurückgeht. Seit dem hat sich die Stadt demografisch und ökonomisch enorm entwickelt. Im Grunde ist Bremerhaven das Produkt der schwierigen Bedingungen für die Schifffahrt auf der Unterweser (Heidbrink 2005: 133f.). Der Landkauf war sowohl politisch als auch finanziell ein großer Kraftakt, sollte sich in der Rückschau als sehr gutes Geschäft erweisen. Politisch standen die Bremer Ambitionen in einem kontinuierlichen Wettbewerb mit dem preußischen Hannover, das ebenfalls begann, Hafenanlagen auszubauen und zwar in Geestemünde, das sich schrittweise zu einem wichtigen Standort der Hochseefischerei, des Schiffbaus und des Petroleumimports entwickelte. 1924 fusionierten die beiden preußischen Gemeinden Lehe und Geestemünde und umschlossen als Wesermünde das Bremische Bremerhaven.  1947 wurden unter amerikanischer Besatzung Wesermünde und Bremerhaven fusioniert und dem neu zu gründenden Bundesland Bremen zugeschlagen.

Schon der erste Hafen in Bremerhaven, der heutige Alte Hafen, war durch eine Schleuse tidenunabhängig, eine Neuheit im Bremischen Hafenbau (Heidbrink 2005: 134). Schon weniger als 20 Jahre nach der Eröffnung des Hafens wurde 1847 mit den Bauarbeiten für den Neuen Hafen begonnen, die 1852 abgeschlossenen waren. Ähnlich wie in Bremen, ist auch die Hafengeschichte von Bremerhaven eine Geschichte ständiger Erweiterungen und Verlagerungen der Hafenaktivitäten aus dem Zentrum heraus, in diesem Fall in Richtung Norden (zunächst Kaiserhafen I-III, dann Nordhafen, Columbuskaje und ab 1974 Container-Terminals). Und genauso wie in Bremen (wenn auch in gerigerem Ausmaß) stellte sich damit immer auch die Frage der Konversion alter Hafenareale. Der Alte Hafen ist heute als Zentrum der Havenwelten v.a. ein touristischer Anziehungspunkt. Der Neue Hafen wurde 2007 als Lloyd Marina zum Domizil für Yachten und ist mittlerweile von hochpreisigen Wohnimmobilien umbaut.

Bremerhaven war zunächst weniger für den Güterumschlag wichtig, sondern spielte als Heimathafen des Norddeutschen Lloyd eine große Rolle im Transatlantikverkehr, v.a. im Passagiergeschäft. Das beeindruckende Auswandererhaus kundet heute von der diesem wichtigen Teil der Geschichte Bremerhavens. Nach dem 2. Weltkrieg erlebte die Hafenwirtshaft in Bremerhaven aber ähnlich wie in Bremen einem starken Boom. Mittlerweile sind die Bremerhavener Häfen wichtige Universalhäfen mit wichtigen Standbeinen im Container-, Automobil- und Fruchtumschlag (Färber 2014).

Die sozioökonomische, kulturelle und politische Entwicklung der Stadt ist von je her eng mit dem Schicksal der Häfen, des Schiffbaus und der Fischerei verbunden. So hinterließ die Strukturkrise der Krise der 1970er Jahre natürlich auch in Bremerhaven ihre Spuren (Barfuß 2016; Bescheid/Kube 2018). Die Containerisierung führte zunächst zu einer massiven Aufwertung Bremerhavens innerhalb der Bremischen Hafengruppe und prägte das Selbstbewusstsein der Stadt, die sich nun zunehmend als Seestadt vermarktete und ihre maritime Kultur u.a. mit der Sail zelebrierte. Die Stadt veränderte in den 1970er Jahren auch durch zahlreiche große Bauprojekte ihr Gesicht, allen voran das von der Neuen Heimat errichtete Columbus Center. Der Boom folgten aber Ende der 1970er und dann verstärkt in den 1980er Jahren große Einbrüche, Firmenschließungen und Massenentlassungen, v.a. im Schiffbau (u.a. Schließung der Rickmers Werft) und in der Hochseefischerei (Nidergang durch die Nationalisierung der Fischgründe). Auch die Passagierschifffahrt wurde durch die Konkurrenz des Flugzeugs immer unrentabler und viele Reedereien verließen Bremerhaven. In jüngerer Zeit gelang es aber mit dem Kreuzfahrtboom wieder etwas besser, an diese Tradition der Stadt anzuknüpfen, auch wenn die Perspektiven dieser Branche angesichts von Klimawandel und Coronakrise auch alles andere als gewiss sind.

Die Zukunftsperspektiven von Bremerhaven sind trotz der von Färber (2014: 33) gerühmten „situativen Fitness“ alles andere als gewiss. Zwei Bereiche stechen neben dem Container- und Autoumschlag hervor: Tourismus und Offshore Windenergie. Im Bereich des Tourismus hat sich in Bremerhaven mit der Entwicklung der Havenwelten und insb. der hochwertigen Museumslandschaft einiges getan. Die Offshore Windenergie galt lange Zeit als wichtigste Zukunftsbranche für die Stadt (Becker et al. 2013, Färber 2014, Meyer 2014). Die Schwierigkeiten mit dem geplanten Offshore Terminal (OTB) und die allgemeine Krise der Windenergiebranche lassen aber hier die Fragezeichen größer werden. An Bremerhaven kann man auf jeden Fall gut ablesen, dass Freihandel an den Orten des Warenumschlags nicht unbedingt nur mit kontinuierlich steigendem Wohlstand einhergeht.

Wer sich näher mit Bremerhaven beschäftigen möchte, kann auf vielfältige Forschungsdaten zurückgreifen. Für Frage zur historischen Entwicklung von Wirtschaft, Stadtgesellschaft und Politik bieten sich sowohl das Archiv des Historischen Museums Bremerhavens (das übrigens sehr sehenswert ist und kostenfrei besucht werden kann) als auch der Nordseezeitung an. Die Ausstellungskataloge zu Bremerhaven in den 1970er Jahren (Bescheid/Kube 2018) und 1980er Jahren (Bescheid/Kube 2019) liefern außerdem sehr anschauliches Bildmaterial. Darüber hinaus stellen das Statistische Landesamt und die Arbeitnehmerkammer Bremen regelmäßig Aggregatdaten zur sozioökonomischen Entwicklung bereit. Jetzt sind Sie dran: Welche Fragen haben Sie? Wie beurteilen Sie die Entwicklungschancen von Bremerhaven? Was waren besonders wichtige soziale, ökonomische oder politische Ereignisse oder Entwicklungen der letzten Jahrzehnte?

Bisherige Beiträge mit Bezug zu Bremerhaven

Blogbeiträge zu dieser Lerneinheit

Literatur

  • Barfuß, Karl Marten (2016): Strukturkrise, Arbeitslosigkeit und Staatsfinanzen in Bremen von Mitte der 1970er Jahre bis zur Jahrtausendwende. Bremisches Jahrbuch hrsg. in Verbindung mit der Historischen Gesellschaft Bremen vom Staatsarchiv Bremen, Band 95, S. 230-254.
  • Becker, Gabriele/Kellner-Stoll, Rita/Köpke, Ralf (2013): Eine Stadt im Aufwind. Mehr als 10 Jahre voller Energie: Wie Bremerhaven die Offshore-Windenergie vorantreibt. Bremen: NW Fachverlag.
  • Bescheid, Anja & Kube, Alfred (2019): Krisen, Protest und Punk. Bremerhaven in den 1980er Jahren. Bremerhaven: Historisches Museum Bremerhaven.
  • Bescheid, Anja & Kube, Alfred (2018): Eine Stadt im Umbruch. Bremerhaven in den 1970er Jahren. Bremerhaven: Historisches Museum Bremerhaven. Färber 2014
  • Heidbrink, Ingo (2005): Bremen und die Häfen. In: Konrad Elmshäuser (Hrsg.): Der Stadtstaat Bremen als Paradigma. Bremen: Hauschild, S. 129-154.
  • Meyer, Ronny (2014): Bremerhaven setzt auf Meer-Wind. In: Roder, Hartmut/Schwerdtfeger, Hartmut (Hrsg.): Die Zukunft der Bremischen Häfen. Rasch Verlag, S. 75-81.

2 Gedanken zu „Lerneinheit 10: Bremerhaven

  1. Die Entwicklungschancen Bremerhavens hängen meiner Meinung nach stark mit den bisherigen politischen oder ökonomischen Entwicklungen zusammen. So lässt sich möglicherweise die Verlagerung des Windkraftherstellers Siemens nach Cuxhaven auf den aktuellen Status des Offshore-Terminals zurückführen. Das Potenzial des OTB könnte jedoch als künftiger Schwerguthafen noch erfüllt werden.

    Das geplante nachhaltige Gewerbegebiet “Lune Delta” könnte eine Entwicklungschance für Bremerhaven darstellen, da mit diesem u.a. das Modellprojekt „Grüner Wasserstoff für Bremerhaven“ umgesetzt werden soll. Gerade Gewerbegebiete blicken angesichts der zukünftigen Energieversorgung auf die erneuerbaren Energien.

    Ebenso ist Bremerhaven mit den zahlreichen Forschungsinstituten als Forschungsstandort gut aufgestellt, wozu bereits mit der Gründung des AWI 1980 die Grundlagen gelegt worden sind.

    Quellen:
    https://www.weser-kurier.de/region/niedersachsen_artikel,-Siemens-baut-WindkraftFabrik-in-Cuxhaven-_arid,1181437.html
    https://taz.de/OTB-ohne-Windenergie-Anlagen/!5389900/

    Lune Delta – eine Vision für Bremerhavens neues Gewerbegebiet auf der Luneplate

    Projekt „Grüner Wasserstoff für Bremerhaven“ startet

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert