Ein Beitrag von Denise Wächter und Paul-Theodor Pricop

Abbildung 1: Das Rickmers-Tor heute (Radio Bremen 2016)
Schauplatz Bremerhaven – Wir befinden uns auf der Grimsbystraße in Richtung Autobahnzubringer Bremerhaven-Mitte. Inmitten des dichten Verkehrs können wir auf der rechten Seite auf einer unscheinbaren Wiese ein riesiges weißes Tor entdecken. Es befindet sich ein großer Durchgang aus schwarzen schmiedeeisernen Gittern in der Mitte sowie rechts und links zwei kleinere. Diese scheinen aber zu keinem Ziel zu führen. Oberhalb dieser kleineren Eingänge ist eine grün-rot-weiße Flagge zu erkennen, auf der der Buchstabe „R“ abgebildet ist. Zwischen den beiden Flaggen sind zwei Jahreszahlen eingraviert: 1834 und 1857. Über ihnen thront die Inschrift „R.C. Rickmers“. Es wird deutlich: dieses Tor steht an diesem Ort schon eine ganze Weile und hat eine interessante Geschichte zu erzählen. In diesem Blogbeitrag erzählen wir euch mehr über die Familie Rickmers und ihrer Unternehmensgeschichte. Dabei wird auch die Frage beantwortet, was die verschiedenen Symbole auf dem Tor zu bedeuten haben.
Von Helgoland nach Bremerhaven
Die Geschichte beginnt auf der Insel Helgoland, 83,73 km Luftlinie von Bremerhaven entfernt. 1807 wurde hier Rickmer Clasen Rickmers geboren. Dort ging er nach seinem Schulabschluss in die Lehre als Schiffzimmermanns. Mehr oder weniger die Liebe war es, die den Helgoländer in die Seestadt Bremerhaven brachte. 1831 hatte er seine Verlobte Margaretha Reimers geheiratet, jedoch ohne den Segen der Eltern. Ein Jahr später zog es die Eheleute nach Bremerhaven, der sich damals als neuer Hafen für Bremen etablierte. Zunächst fand er eine Anstellung als Vorarbeiter in der bereits seit 1821 bestehenden Bootswerft Cornelius Janssen Cornelius. (Bremerhaven o.A.; Dierks 1975: 53; Hamburg Journal 2018; Rickmers Reismühle GmbH o.A.)
Gründung und Aufstieg der Rickmers Werft
Nur zwei Jahre später, 1834, machte sich der ehrgeizige Rickmers selbstständig und eröffnete seine eigene Schiffbauwerkstatt. Er wurde Pächter eines Grundstücks am rechten Rand des nordwestlichen Geesteufers und baute fortan von dort aus sein Werftunternehmen auf. 1840 folgte bereits der erste Auftrag für einen größeren Schiffsneubau einer bremischen Reederei. Ein Jahrzehnt später gehörte die Rickmers Werft zu den führenden Werften entlang der deutschen Küste. Bereits zu diesem Zeitpunkt beschäftige Rickmers mehr als 100 Mitarbeiter und bekam immer häufiger auch internationale Aufträge. Daher bestand 1857 Erweiterungsbedarf, weshalb ein Zweigbetrieb auf dem heutigen Gelände des Arbeitsamtes und im Bereich des Kapitänsviertels eingerichtet wurde. Die Werft zeichnete sich insbesondere durch den Bau von Holzseglern aus. In diesem Jahr entstand auch das Tor zur Rickmers Werft, das heutzutage noch dort steht. Die Firmenflagge zeigt die Verbundenheit Rickmers zu seiner Heimat. Sie trägt die Farben der helgoländischen Flagge. Später, Anfang der 70er Jahre, wurde der Zweigbetrieb zum Hauptsitz des Unternehmens erklärt und der einstige Originalstandort am Geestufer aufgegeben. (Bremerhaven o.A.; Hamburg Journal 2018; Rickmers Reismühle GmbH o.A.)

Abbildung 2: Rickmer Clasen Rickmers um 1850 (Hamburg Journal 2018)
Erweiterung durch eine Reederei und einer Reismühle
Andere Bremerhavener Werften zu dieser Zeit nutzen Reparaturdocks als Absicherung in Krisenzeiten. Rickmers allerdings schlug aus diesem Grund einen anderen Weg ein. Er entdeckte das rentable Geschäft mit dem Auswanderertransport für sich. Mitte des 19. Jahrhunderts verließen zahlreiche Europäer den Kontinent in Richtung Amerika, in die neue Welt. Aufgrund dessen stieg Rickmers in den Reedereibetrieb ein und transportierte 1848 erstmals Menschen mit einem Schiff unter eigener Flagge nach Amerika. Zurück kam dieses voll beladen mit Gütern. Spätestens ab 1859 generierte die Reederei enormen Umsatz, sodass bis zum Eintritt des ersten Weltkrieges nun vorwiegend in der eigenen Werft Schiffe für den Eigenbedarf gefertigt wurden. (Bremerhaven o.A.; Dierks 1975: 54; Hamburg Journal 2018)
Mithilfe der eigenen Flotte wurde Kohle aus England nach Amerika, Weizen aus Australien und aus China befördert und von Südostasien schließlich Reis nach Bremerhaven importiert. Diese Handelsrouten waren damals üblich. Rickmers erkannte das Potential des Handels mit Reis, sodass er 1872 zunächst sich an einer Reismühle in Bremen beteiligte und später schließlich Eigentümer wurde. Die eigenen Holzschiffe ermöglichten einen Transport unter besten Bedingungen, da durch die entstehende Wärme sich kein Kondenswasser bildet, was andernfalls zu einem Verderben der Reiskörner führen würde. In der eigenen Reismühle wurden die importierten Reiskörner für den Verkauf weiterverarbeitet. (Dierks 1975: 54; Hamburg Journal 2018)
Tod von Rickmers und Fortführung der Unternehmen durch Andreas Rickmers
Im November 1886 verstarb Rickmer Clasen Rickmers in einem Alter von fast 80 Jahren. Doch die Geschichte der durch ihn aufgebauten Unternehmen endet hier nicht. Rickmers hinterlässt seinen drei Söhnen Andreas Clasen, Peter und Wilhelm Heinrich ein Firmenimperium. Zunächst fusionierten die drei die einzelnen Unternehmen zu der Rickmers Reismühlen, Rhederei & Schiffbau AG und gründeten den Firmensitz in Bremen. Nach dem Tod von Wilhelm Heinrich führen die beiden anderen Brüder das Unternehmen alleine weiter und stellen den Schiffsbau von Segelschiffen auf Dampfschiffe um. 1902 stirbt auch Peter, sodass Andreas fortan das Unternehmen allein leitet. (Bremerhaven o.A.; Hamburg Journal 2018)

Abbildung 3: Andreas Rickmers (Hamburg Journal 2018)
Dabei gliedert er Peters Söhne – Paul und Robert – mit ins Familienunternehmen ein. Zwischen Paul und Andreas kommt es allerdings zu Streitigkeiten, da Paul das Geschäft zwischen Japan und China vorantreiben möchte, Andreas jedoch die Linienschifffahrt in Asien aufgibt. Daraufhin verlässt Paul Rickmers 1904 das Unternehmen, baut sich jedoch mit einem Teilhaber das Handelshaus Rickmers und Co. in Hamburg auf. Seine Mutter unterstützt ihm dabei durch die Übertragung der Unternehmensaktien von ihrem verstorbenen Mann Peter. Nachdem Paul seinem Onkel Unstimmigkeiten in der Buchführung nachweisen konnten, überließ Andreas schließlich ihm die Firma und verkaufte seine Aktien. (Hamburg Journal 2018)
Übernahme durch Paul Rickmers und ein dunkles Kapitel in der Firmengeschichte
1912 änderte Paul den Namen zu „Rickmers Rhederei und Schiffbau AG“ und verlagerte den Unternehmenssitz nach Hamburg. Infolge des ersten Weltkrieges verkaufen alle übrigen Aktionäre ihre Anteile am Unternehmen. Paul kauft diese später auf und wird damit Alleininhaber. Die Werft erhält unterdessen lukrative Aufträge der Marine. Nach Ende des Krieges muss die Werft allerdings zunächst geschlossen werden. Der Transport von Waffen nach Asien hilft allerdings Rickmers durch die Krise. (Hamburg Journal 2018)
Nach der Machtergreifung durch Adolf Hitler ist Paul Rickmers bekennender Befürworter Hitlers und der Naziideologie. Das brachte ihm zahlreiche Aufträge von der Kriegsmarine ein. Vor allem Minensuchboote sollten gebaut werden. Da es an Arbeitern fehlte, da diese an der Kriegsfront eingesetzt wurden, übernahmen die Frauen die dortigen Aufgaben in der Werft. Zusätzlich band Rickmers Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter ein. Das bedeutete für die Gefangenen: 10 Stunden harte Arbeit ohne Pause, kein Mittagessen. Hinzu kamen harte Bestrafungen. So soll ein 12-jähriger Junge hingerichtet worden sein. (Hamburg Journal 2018; Lee 2014: 376)
Nachkriegszeit und Ende der Werft
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sich die Werft behaupten. Obwohl man in ganz Deutschland unter Baubeschränkungen litt, bekam die Rickmers Werft Aufträge von der United States Navy. Auch andere Aufträge aus dem Ausland vermehrten sich. Der Standort an der engen Geeste war jedoch 1968 nicht mehr zeitgemäß, so dass ein neues Gelände im Fischereihafen erworben wurde.
Der Niedergang von Rickmers begann mit dem Anfang der 70er Jahren. Die ganze Branche sah sich unter Druck gesetzt: die Ölpreiskrise, die internationale Konkurrenz und steigende Stundenlöhne bereiteten finanziellen Schwierigkeiten der Werft. Dazu kam noch für Rickmers, dass die Fischereischutzzonen ausgeweitet wurden. Somit musste die Werft ihr Schwerpunkt von Fischereifahrzeugen zu Fracht- und Passagierschiefe verlagern. Nichtdestotrotz sank die Zahl der Beschäftigten von 1106 bis zu 633 am Ende des Jahrzehnts. Die Situation zwang Rickmers auch dazu, Aufträge mit Verlustrechnung anzunehmen. Um der Werft entgegenzukommen, unterstütze der Senat ab 1974 mit Bürgschaften.
Eine Affinität für Bremerhaven entwickelte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt. Sein Einfluss setze er 1979 zugunsten Bremerhaven ein, wo das Alfred-Wegener-Institut für Polarforschung gegründet wurde. Mit dem Anfang der 1980er Jahre verschärfte sich weiterhin die Krise. Altbundeskanzler Helmut Schmidt verwies 1984 bei dem 150. Jubiläum der Rickmers Werft erneut auf den Druck der Niedriglohnländer in Fernost und warb weiterhin für das Unternehmen. Den letzten Schlag erlitt Rickmers 1985: die Bundesregierung beschloss die Kürzung der Schiffbauzuschüsse. Darauf schlossen sich die Tore 1986 für immer und 950 Beschäftigten verloren ihren Arbeitsplatz (Bescheid/Kube 2018; Bescheid/Kube 2019). Heute ist das berühmte Tor von Rickmers, vor der Agentur für Arbeit Bremerhaven stehend, nur noch eine Erinnerung.
Literatur:
- Bescheid, Anja & Kube, Alfred (2018): Eine Stadt im Umbruch. Bremerhaven in den 1970er Jahren. Bremerhaven: Historisches Museum Bremerhaven.
- Bescheid, Anja & Kube, Alfred (2019): Krisen, Protest und Punk. Bremerhaven in den 1980er Jahren. Bremerhaven: Historisches Museum Bremerhaven.
- Bremerhaven (o.A.): Rickmers Werft. Einsehbar unter: https://www.bremerhaven.de/de/tourismus/architektur-denkmaeler/stadtgeschichte/fischereihafen/rickmers-werft.47614.html
- Dierks, A. (1975): Aus der Geschichte der Bremerhavener Wirtschaft. Deutsches Schifffahrtsarchiv, 1, 47-66.
- Hamburger Journal (2018): Rickmers. Ein Leben für die Schifffahrt. Einsehbar unter: https://www.ndr.de/geschichte/Rickmers-ein-Leben-fuer-die-Schifffahrt,rickmers104.html
- Lee, R. (2014): Schiffahrt und Schiffbau in einer Hand. Die Firmen der Familie Rickmers 1918-2000. The Mariner´s Mirror, 100:3, 375-377.
- Radio Bremen (o.A.): Das Rickmers-Tor in Bremerhaven. Einsehbar unter: https://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/schauplatz-nordwest/rickmerstor-bremerhaven100.html
- Rickmers Reismühle GmbH (o.A.): Meilensteine. Einsehbar unter: https://www.rickmers.eu/unternehmen/meilensteine
Spannend wie sich in dieser einen Unternehmensgeschichte so viele zentrale Entwicklungsdynamiken der Bremischen Hafengeschichte wiederfinden (Entstehung maritimer Großunternehmen, Auswanderergeschäft, koloniale Produkte, Aufstieg des Schiffbaus an der Weser, Kriegsmarine & Nationalsozialismus, US Navy, Strukturkrise, begrenzter Gestaltungsspielraum politischer Akteure).
Welche Parallelen gibt es eigentlich zum Werftensterben in Gröpelingen, und Bremen-Nord?