Lerneinheit 7: Hafen & Stadt(teil)entwicklung

Wie wir bereits gesehen haben, ist die Bremische Siedlungsgeschichte schon seit ihren Anfängen zugleich auch Hafengeschichte. Damit ist die Frage nach den Auswirkungen von Hafenwentwicklung auf das Leben in den benachbarten Stadtteilen im Kern auch keine neue, aber trotzdem eine hochaktuelle Frage. Gerade weil die historische Entwicklung der Bremischen Häfen durch eine kontinuierliche Erweiterung und Verlagerung der Hafenareale im Wettlauf mit den Schiffsgrößen gekennzeichnet ist, hat Bremen auch eine lange Erfahrung mit Fragen der Nachnutzung (Heidbrink 2005: 150f.). Ein Blick über den Tellerrand und in humangeographische und stadtsoziologische Literatur zeigt aber zugleich, dass es seit einigen Jahrzehnten einen neuen globalen Trend zur Waterfront Revitalisierung gibt, mit dem sich Hafenstädte nach der zunehmenden Entflechtung von Hafen- und anderen Stadtfunktionen neu erfinden (Schubert 2008, Warsewa 2017). In dieser Lerneinheit wollen wir daher unsere Aufmerksamkeit sowohl auf diese jüngeren Veränderungen der Beziehung zwischen Stadt und Hafen als auch auf die historischen Auswirkungen der Hafenentwicklung auf das Stadtleben richten.

Wandbild zur leeren A.G. Weser in der Bauhüttenstraße Foto: Archiv der Geschichtswerkstatt Gröpelingen

Genauso wie die Stadt in vielerlei Hinsicht vom Hafen abhängig ist, braucht ein Hafen immer auch die Stadt. Dennoch ist ihr Verhältnis oft konfliktreich und widersprüchlich. Hafenstädte sind oft in besonderem Maße von den Bedürfnissen des Handels und der Schifffahrt geprägt (Hein 2011, Schubert 2008). Das Credo „the ship designs the port“ bringt dieses Verhältnis gut auf den Punkt. Ausbau, Verlagerung und Konversion von Hafenflächen erfolgen dabei in einem oft konflikthaften Aushandlungsprozess zwischen oft widersprüchlichen transnationalen ökonomischen Anforderungen und lokalen sozioökonomische Bedingungen. Hafenstädte sind in Besonderem Maße von dieser Spannung zwischen dem Globalen und dem Lokalen betroffen (Hein 2011: 5) und die gebaute Umwelt kann aus geographischer und soziologischer Perspektive als Ausdruck eines bestimmten Kräfteverhältnisses zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und ihren Ansprüchen zum Zeitpunkt ihres Entstehens interpretiert werden. Das wirft Fragen nach politischen, ökonomischen und sozialen Machtverhältnissen auf, die bei einer romantisierenden Perspektive auf die Hafenstadt oft ausgeblendet werden (siehe meine Anmerkungen zu Hafennarrativen im Blogpost zur Lerneinheit 2).

Geographische Perspektiven auf Hafenstädten fragen u.a. nach der räumlichen Verteilung von Hafenfunktionen in der Stadt und unterscheiden dabei verschiedene sich z.T. überlappende Zonen: den Hafen (port), den Hafenbezirk (port district), die Hafenstadt als Gesamtheit (port city) und überlokale Unterstützungstrukturen der Hafenstadt (port city support structures), wie z.B. Finanzierung, Eigentum, Regulierung und politische Entscheidungsfindung (Hein 2011). Das Verhältnis dieser Zonen kann von Hafenstadt zu Hafenstadt variieren und unterliegt einem starken historischen Wandel. Häfen haben einen besonderen Einfluss auf die Sozialstruktur einer Stadt. So kann gibt es oft eine recht polarisierte sozialräumliche Struktur mit ärmeren und engen Arbeiter*innenvierteln, migrantischen Vierteln (z.B. Chinatowns), Vergnügungs- und Aufenthaltsbereiche für Seeleute und Passagiere und bürgerliche Viertel in denen Reeder*innen und Kaufleute leben (Hein 2011, Schubert 2008). Die port districts (auch sailertowns) genannt, waren oft durch eine besondere Internationalität und die Aufweichung herrschender Normen und Moralvortsellungen bekannt (Schubert 2008: 27).

Aus einer Netzwerkperspektive betrachtet, die Carola Hein (2011) vorschlägt, sind Hafenstädte sowohl zentrale Knotenpunkte globaler Handelsnetzwerke (und als solche auf besondere Weise mit fernen Hafenstädten verbunden) als auch selbst eigene Netzwerke verschiedener Akteure (siehe Lerneinheit Hafengovernance). “Global networks link each port with other ports, transmitting cultural practices, ideas, and architectural and urban form” (Hein 2011: 19). Durch solche Netzwerkstrukturen werden Hafenstädte zu „farway mirrors of each other“ (Hein 2011: 11). Aus einer solchen Perspektive (und aus der harmonisierenden Wirkung universeller infrastruktureller Anforderungen der Schifffahrt an die Häfen) erklärt sich die Tatsache, dass sich Hafenstädte in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich sind. Auch der Trend zur zunhemenden Entflechtung von Hafen und Stadt durch die Verlagerung des Umschlags an Orte mit Tiefwasserzugang ist ein nahezu universeller, wie wir schon in der Lerneinheit zum Container gesehen haben.

Bei der Umgestaltung aufgegebener Hafenareale (waterfront revitalization) gibt es ebenfalls auffällige Parallelen in vielen Städten, die für ein Wandern von Ideen und Planungskonzepten innerhalb des Netzwerkes von Hafenstädten sprechen (Hein 2011). Vielerorts hat sich eine spezifische Mischung aus hochwertiger Wohnbebauung, Büroflächen für start ups und Medienunternehmen, Freizeit- und Kulturangeboten und touristischer Aufwertung etabliert. Prägende Vorbilder waren z.B. Baltimore, die London Docklands und Bilbao. In Deutschland sind die Hamburger HafenCity und die Bremer Überseestadt die größten maritimen Stadtentwicklungsprojekte. Anders als Hein (2011) betont Schubert den Einfluss unterschiedlicher Planungskulturen in Nordamerika, Europa und Asien und damit eher die Diversität. Abgesehen von der Frage, wie stark sich verschiedene Projekte ähneln, gibt es aber natürlich auch bei der Neugestaltung alter Hafenareale ein dichtes Netz verschiedener Interessen und Konflikte, das mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Forschung sichtbar gemacht werden kann. Aus einer politökonomischen Perspektive sind hier v.a. Eigentumsverhältnisse, die Wertentwicklung von Boden und Immobilien, Finanzströme und das Zusammenwirkung öffentlicher und privater Akteure interessant.

Ein weiterer wichtiger Aspekt im Verhältnis von Stadt und Hafen ist die maritime Kultur als kollektive lokale Identität und Bindeglied zwischen der Hafengeschichte und der postmodernen Hafenstadt der Gegenwart (Warsewa 2017). Wie Günter Warsewa in seinem Gastbeitrag auf diesem Blog zeigt, können Hafenmuseen und insbesondere Hafenkneipen wichtige Träger*innen der Neudeifinition einer lokalen maritimen Kultur sein, die genauso zum Wandel der Hafenstadt gehört, wie die bauliche Umgestaltung und Umnutzung alter Hafenareale. Auch in dieser Perspektive wird die eigenständige Bedeutung des Lokalen hervorgehoben.

All diese Fragen und Themen sind natürlich auch für Bremen relevant und werden in den kommenden Wochen in einigen Blogbeiträgen und in den Inputs von Karin Pfitzner-Brauer (Geschichtswerkstatt Gröpelingen) und Cecilie Eckler-von Gleich (Kulturhaus Walle) diskutiert. Daher sollen hier nur kursorisch einige Entwicklungen in den Bremischen Hafenstadtteilen benannt werden. Am unmittelbarsten vom Auf- und Abstieg der Bremischen Handelshäfen (Europahafen, Überseehafen, Holz- & Fabrikenhafen) waren und sind die unmittelbar nördlich bzw. westlich anschließenden Stadtteile Walle und Gröpelingen. Walle entwickelte sich mit dem Umzug des Hafenbetriebs von der Schlachte in die Handelshäfen 1888 in wenigen Jahrzehnten von einem Ausflugsort außerhalb der Stadt zu einem Hafenviertel (Eckler-von Gleich 2019). Zunächst wurden aber viele Waller Landwirte durch den Verkauf ihres Landes für den Hafenbau reich. Das spiegelte sich bald durch den Bau vieler Villen auch in der gebauten Umwelt wider (einige davon gibt es heute noch, auch wenn sie mittlerweile ins urbane Stadtbild integriert sind). Schnell veränderten große Industriebetriebe, Wohngebiete und zugezogene Arbeiter*innen den Charakter von Walle.

Walle & Handelshäfen 1897 (Quelle: Archiv des Kulturhaus Walle)

Walle & Handelshäfen 1927 (Quelle: Archiv des Kulturhaus Walle)

Mit dem schrittweisen Bedeutungsverlust der Handelshäfen ab den 1970er Jahren war Walle dann mit einer neuen Frage konfrontiert: Wie geht ein Stadtteil, der so stark vom Hafen geprägt ist (und im Grunde erst mit ihm zum Stadtteil wurde) mit dem Wegbrechen von Arbeitsplätzen und freiwerden Hafenflächen um? Die entstehende Überseestadt ist eine Antwort auf diese Frage, bei sehr sich Schwierigkeiten und Interessensgegensätze bei der Waterfront Revitatlisierung vor Ort gut erforschen lassen (Eckler-von Gleich 2014, 2019). Zur Überseestadt gibt es eine sehenswerte Doku in der Reihe „Nordstory“, in der auch das Nebeneinenader von Hafen und Stadt im entstehenden Stadtteil beleuchtet wird.

Auch Gröpelingen entwickelte sich aus einem außerhalb der Stadt gelegenen kleinen beschaulichen Ort zu einem dicht besiedelten Stadtteil. Anders als in Walle wurde es aber schnell zu einem reinen Arbeiter*innenviertel und damit auch zu einem Schwerpunkt der Bremer Arbeiter*innenbewegung („das rote Gröpelingen“). Ökonomische Zentren Gröpelingens waren die Industriehäfen und (bis 1983) die A.G. Weser. Seit jäh her zog Gröpelingen  besonders viele Menschen aus aller Welt an, die in den Industriebetrieben und in den Häfen Arbeit fanden. Die Schließung der Werft war eine Zäsur für den Stadtteil und der Entwicklung des ehemaligen Werftengeländes zunächst von Mißerfolgen geprägt. Heute ist hier mit der „Waterfront“ ein großes Einkaufszentrum beheimatet. Von Aufbruch ist hier an vielen Stellen weniger zu spüren als in Walle.

Weniger in der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen Woltmershausen und Bremen-Nord, deren Entwicklung auch eng mit der Hafenentwicklung verbunden ist. Woltmershausen befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Hohentorshafen, Neustädter Hafen und zum Güterverkehrszentrum und war von der Strukturkrise u.a. durch den Verkauf und die spätere Schließung der Brinkmann Zigarettenfabrik betroffen. In Bremen-Nord veränderten die Pleiten des Bremer Vulkan und der Baumwollkämmerei die soziale Lage der Stadtteile. In beiden Teilen Bremens gibt es aktuell neue Entwicklungsprojekte, deren langfristige Nutzen für die unmittelbaren Anwphner*innen aber ungewiss sind.

Schließlich ist auch Bremerhaven, als eine Stadt, die mit dem Hafen entstand, in besonderem Maße vom Wandel des Stadt-Hafen-Verhältnisses betroffen (Bescheid/Kube 2018; 2019). Mit Bremerhaven beschäftigen wir uns aber in einer gesonderten Lerneinheit. Für die Erforschung der Hafenstadtteile steht eine große Bandbreite an Forschungsdaten zur Verfügung. Für die Stadtteilgeschichte kann auf umfangreiche Sammlungen und Archive u.a. im Kulturhaus Walle und der Geschichtswerkstatt Gröpelingen zugegriffen werden. Das Hafenarchiv bietet einen reichen Schatz an Fotos, mit historischen Adressbüchern kann der sozioökonomische Wandel in Stadtteilen nachvollzogen werden und das digitale Heimatmuseum hat zeithistorische Bild- und Audiodaten aufbereitet. Um die Transformations- und Planungsprozesse der Stadtentwicklung zu rekonstruieren bieten sich z.B. offizielle Pläne und andere Planungsdokumente sowie Protokolle politischer Gremien an.

Links zu Stadtentwicklungsprojekten & Stadtteilinitiativen:

Habe ich wen oder was vergessen?

Blogbeiträge zu dieser Lerneinheit:

Literatur

  • Bescheid, Anja & Kube, Alfred (2019): Krisen, Protest und Punk. Bremerhaven in den 1980er Jahren. Bremerhaven: Historisches Museum Bremerhaven.
  • Bescheid, Anja & Kube, Alfred (2018): Eine Stadt im Umbruch. Bremerhaven in den 1970er Jahren. Bremerhaven: Historisches Museum Bremerhaven.
  • Eckler-von Gleich, Cecilie (2019): Vom Freihafen zur Überseestadt. Bremen: Edition Temmen.
  • Eckler-von Gleich, Cecilie (2014): Die Überseestadt. Vom Hafenviertel zum städtischen Quartier am Hafen. In: Roder, Hartmut/Schwerdtfeger, Hartmut (Hrsg.): Die Zukunft der Bremischen Häfen. Rasch Verlag, S. 160-171.
  • Heidbrink, Ingo (2005): Bremen und die Häfen. In: Konrad Elmshäuser (Hrsg.): Der Stadtstaat Bremen als Paradigma. Bremen: Hauschild, S. 129-154.
  • Hein, Carola (2011): Port Cityscapes. A networked analysis of the built environment. In: Dies. (Hrsg.): Port Cities. London: Routledge, S. 1-23.
  • Schubert, Dirk (2008): Transformation Processes on Waterfronts in Seaport Cities – Causes and Trends between Divergence and Convergence. In: W. Kokot et al. (Hrsg.): Port Cities as Areas of Transition. Ethnographic Perspectives, S. 25-46.
  • Warsewa, Günther (2017): The Transformation of Port Cities: Local Culture and the Post-Industrial Maritime City. In: Rodriguez, G. R. & Brebbia, C.A. (Hrsg.): Coastal Cities and their Sustainable Future II. Southampton: WIT Press, S. 149-159.

2 Gedanken zu „Lerneinheit 7: Hafen & Stadt(teil)entwicklung

  1. Bezüglich Stadtentwicklung und Hafen sind die Themen des Klimawandels und der Gentrifizierung meiner Meinung nach ebenfalls von Bedeutung.
    In Bremen ist beispielsweise die Überseestadt eine der teureren Wohngebiete, wobei die anliegenden Viertel Walle und Gröpelingen (noch) nicht so gefragt sind und früher als Viertel der Hafenarbeiter günstiger waren. So ist der hohe Preis auch bei anderen Neubauprojekten ein Thema, welche am Wasser entstehen. In Boston finden zahlreiche Entwicklungen an den Ufern statt, welche in Hinblick auf den ansteigenden Meeresspiegel mit kostspieligen Hochwasserschutzmaßnahmen geplant und gebaut werden und die ursprünglichen/anliegenden Anwohner preislich verdrängen (https://www.theguardian.com/environment/2020/apr/20/climate-change-waterfront-living-wealthy-boston).
    Interessant sind zudem die städtebaulichen Projekte in Songdo in Südkorea (https://www.theguardian.com/cities/ng-interactive/2019/jul/09/cities-from-scratch-100-and-counting-new-cities-rise-from-the-desert-jungle-and-sea) und in Kopenhagen (https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/kopenhagen-daenemark-setzt-auf-inselloesung-fuer-neue-industrie-a-1246760.html), welche direkt am Meer stattfinden.

  2. Unter folgendem Link ist der Bremer Ortsteilatlas des statistischen Landesamtes zu finden: https://www.statistik.bremen.de/ortsteilatlas

    Wie bereits im Zoom-Meeting kurz erläutert, lassen sich hier schön unterschiede sozioökonomische sowie demografische Unterschiede zwischen den einzelnen Ortteilen erkennen. Auch interessant ist es sich die Daten zu der neu entwicklenten Überseestadt sowie den angrenzenden Ortsteilen (z. B. Gröpelingen anzuschauen.

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