Seit ein paar Tagen (stand 14.01.2023) sind die Medien voll von Schlagzeilen zur Räumung des Dorfes Lützerath: „Luisa Neubauer von Polizei weggetragen“, „Klimaaktivist*innen verschanzen sich in Tunneln“, „Steine und Pyrotechnik auf Einsatzkräfte geworfen“ und seit gestern (13.01.2023) ist auch Klimaaktivistin Greta Thunberg vor Ort.

Seit Mittwoch, dem 11. Januar 2023, räumt die Polizei das von Klimaaktivist*innen besetzte Dorf Lützerath am Rande des rheinischen Braunkohletagebau Garzweiler II in NRW. Die Aktivist*innen hatten die Siedlung besetzt, um den Abriss und den Abbau der darunter liegenden Braunkohle durch den Energiekonzern zu verhindern.
Aber warum? Warum ist gerade Lützerath für die Klimabewegung so wichtig?

Im Oktober 2022 hat RWE in einem Kompromiss mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (die Grünen) und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (die Grünen) die Erlaubnis erhalten die Kohle unter Lützerath abzubauen. Im Gegenzug dazu hat RWE sich verpflichtet den Braunkohleabbau in NRW schon 2030 zu beenden, nicht wie ursprünglich geplant erst 2038.
Der frühere Ausstieg sorgt dafür, dass laut RWE und dem Bundeswirtschaftsministerium 280 Millionen Tonnen Kohle nicht abgebaut werden und fünf weitere Dörfer, die ursprünglich ebenfalls weichen sollten, erhalten bleiben. RWE betont, dass die Kohle unter Lützerath benötigt wird, um die Versorgung in der Energiekrise sicherzustellen.

Wie viel Braunkohle letztendlich für die Herstellung von Strom gebraucht wird hängt maßgeblich davon ab, wie der Ausbau von erneuerbaren Energien vorangeht, daher kommen unterschiedliche Studien auch zu unterschiedlichen Ergebnissen. Jedoch reiche laut der Organisation Aurora Energy Research die Kohle im Tagebau Garzweiler II ohne die Kohle unter Lützerath auf jeden Fall aus um den Strombedarf zu decken. Dies bestätigt auch eine Studie der Europa-Uni Flensburg, der TU Berlin und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, auf die sich auch die Klimaaktivist*innen beziehen.
Zusätzlich wird die Braunkohle für die Veredelung, zum Beispiel zur Herstellung von Brennstoffen wie Benzin, benötigt. Laut den Berechnungen kann die Braunkohle auch dafür ziemlich genau reichen.
Das heißt, um den Bedarf an Braunkohle zu decken, müsste Lützerath nicht abgebaggert werden.

2015 haben sich 195 Staaten im Pariser Klimaabkommen dazu verpflichtete, die Erderwärmung auf 1,5°C im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu beschränken. Laut den Klimaaktivist*innen werde dieses Ziel verfehlt, wenn Lützerath abgebaggert wird – davon zeugen auch Banner im Dorf mit der Aufschrift „1,5°C heißt: Lützerath bleibt!“.
Um das 1,5°C Ziel des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, müssten massiv Emissionen eingespart werden. Zurzeit verfehlt die deutsche Klimapolitik diese Ziele. Wäre Lützerath das Zünglein an der Waage, um die Ziele einzuhalten?

Die EU hat eine Obergrenze für den Ausstoß von CO2 festgelegt: Konzerne müssen von der EU Berechtigungen für die Herstellung von Strom aus Braunkohle kaufen. Wenn Lützerath stehen bleibt, würde RWE weniger CO2 produzieren und der Konzern müsste weniger dieser Berechtigungen kaufen.
Die Berechtigungen würden aber weiterhin im Markt verbleiben und könnten von anderen Energieerzeugern gekauft werden. Das heißt die Emissionen, die mit Lützerath eingespart werden, würden vermutlich an anderer Stelle in die Atmosphäre gelangen.
Es kommt also weniger explizit auf die Kohle unter Lützerath an, sondern vielmehr darauf ob insgesamt mehr CO2 in Europa eingespart wird oder nicht.

Rational betrachtet ist die Rettung von Lützerath unwahrscheinlich: Die rechtliche Lage ist eindeutig, die Räumungen verlaufen scheinbar erfolgreich. Um die wissenschaftlichen Aspekte richtig gegeneinander abzuwägen, fehlt mir die Expertise, aber nach meinen Recherchen wird die Kohle unter Lützerath nicht gebraucht um den Energiebedarf zu decken. Bleibt Lützerath stehen wird aber vermutlich auch nicht weniger CO2 in Europa produziert.
Trotzdem ist Lützerath zum Symbol für die Klimabewegung geworden. Die Klimaaktivist*innen machen damit auf ein Problem aufmerksam, das nicht warten kann. Wir müssen jetzt anfangen erneuerbare Energien auszubauen und weniger Strom aus Braunkohle herzustellen. Mit der deutschen Klimapolitik ist die Einhaltung der 1,5 Grad Grenze zurzeit nicht möglich und der Kampf um Lützerath rüttelt hoffentlich endlich wach.   

Nachtrag (25.01.2023): Das Dorf Lützerath ist inzwischen vollständig geräumt und abgebaggert worden. Aber die Proteste gehen weiter: Im Internet und auf der Straße versuchen die Klimaaktivist*innen Lützerath im Gedächtnis der Menschen zu lassen und weiter für eine gerechte Klimapolitik zu kämpfen.