Europametropole, belgische Hauptstadt, Lebensraum – auf Erkundungstour durch Brüssel!

Ein ganz normaler Morgen in Brüssel: Anzugträger:innen laufen hektisch durch die Gegend, E-Bikes tummeln sich auf den breiten Fahrradstraßen, in der Luft ein Hauch von Filterkaffee und Sonnenschein. Langsam füllen sich die Bürotürme mit Leben. Menschen switchen mühelos von einer Sprache zur anderen, es ist ein Wirrwarr aus hello, bonjour, buongiorno, buenos dias, goedemorgen, dobro juto, GUTEN MORGEN und und und… Da geht mir jetzt schon die Puste aus!

Meiner Phantasie nach geht es in Brüssel – der Europametropole – genau so zu. Falsch gedacht! Zumindest größtenteils. Wie ich lernen musste, ist Brüssel keineswegs die hypermoderne Robotermenschen-Stadt, wie ich sie mir vorgestellt habe. Tatsächlich eher so das Gegenteil davon. Es gibt Menschen, die nicht dreisprachig aufwachsen, es gibt Menschen, die keine generelle Neugier gegenüber Politik verspüren und es gibt mit Sicherheit Menschen, die von der EU noch nie etwas gehört haben. Es gibt aber auch jene, die alle genannten Fähigkeiten und Interessen in sich vereinen.

Brüssel umschreibt einerseits eine Stadt, andererseits einen autonomen Verwaltungsbezirk Belgiens. Südlich von Brüssel Hauptstadt befindet sich Wallonien, das von hauptsächlich französischsprachiger Bevölkerung bewohnt wird und an Frankreich grenzt. Nördlich von Brüssel Hauptstadt befindet sich Flandern, das Gebiet, in dem hauptsächlich Flämisch (dem Niederländischen ähnlich) gesprochen wird und welches an die Niederlande grenzt. Bereits hier offenbart sich ein Konflikt, in diesem Fall zwischen Wallonen und Flamen, welcher durch die zwei doch sehr unterschiedlichen Sprachen Ausdruck findet. In Brüssel wird hauptsächlich französisch gesprochen, dennoch gibt es auch hier flämischsprachige Gemeinschaften. Im Osten Belgiens, an der deutschen Grenze, findet sich auch eine deutschsprachige Minderheit. Ihr gesellschaftlicher als auch politischer Einfluss ist jedoch eher gering.

Ein ganz schöner Sprachen-Cocktail. Aber keine Sorge, die Lautsprecherdurchsagen an den Brüsseler Bahnhöfen laufen gleich auf allen vier Sprachen! Erst Flämisch, dann Französisch, später Englisch, schließlich Deutsch. 

Im Gegensatz zu Hamburg beispielsweise, ist das tatsächliche Stadtgebiet Brüssels recht klein. Vieles ist zu Fuß zu erreichen, mit dem Fahrrad braucht man gut eine Stunde, um an das andere Ende Brüssels zu gelangen – wäre da nicht der Verkehr. Täglich staut es sich in und um Brüssel. Verschiedenste Fahrzeuge drängen sich auf den teils engen Fahrbahnen. Autos, Straßenbahnen, Fahrräder und – natürlich – E-Scooter. Neben kleinen, verwinkelten Gassen existieren auch große, mehrspurige “avenues” und “boulevards”. Es macht wirklich wenig Freude hier mit dem Auto unterwegs zu sein, wie in jeder anderen Großstadt auch. Obwohl vielerorts Fahrradwege ausgewiesen sind, muss man damit rechnen, zahlreichen Hindernissen auszuweichen, die auf dem Radweg abgestellt wurden. Diese Hindernisse sollen mich heute jedoch nicht davon abhalten, auf Stadterkundung zu gehen! 

Meine heutige Route führt mich zu den klassischen Sehenswürdigkeiten Brüssels.

Ich starte in Schaerbeek, dem flächenmäßig größten Stadtteil im Nordosten Brüssels. Die Gegend ist vorwiegend Wohngebiet. Schmale Häuser reihen sich aneinander, alle unterschiedlich hoch. Zumeist sind auch die Fassaden von Haus zu Haus unterschiedlich. Auf den ersten Blick mag das ein wenig chaotisch wirken, mir gefallen jedoch die vielfältigen Formen, Farben und Materialien, die verwendet wurden. Es macht das Stadtbild lebendig. Als Heimatstadt des Architekten Victor Horta, welcher den Jugendstil mit prägte, finden sich vereinzelt prächtige Bauten im Stil des Art-nouveau, damals vom Krieg verschont.

Mein Weg führt mich über den Boulevard Lambermont, eine der Schnellstraßen, zum Parc Josaphat. Bei gutem Wetter tummeln sich hier die Menschenmengen. Brüssel hat einige schöne Parks, die zumeist gut besucht sind. An der Ecke gibt es hervorragende Eiscreme beim “Glacier Cocozza”, meine Lieblingssorte ist Speculoos. Speculoos sind nicht etwa Spekulatiuskekse, wie man sie bei uns zu Weihnachten isst, sie sind eine belgische Spezialität und schmecken wirklich hervorragend, ob nun in ihrer Urform, als Keks, im Eis oder als Brotaufstrich.

Vom Park aus laufe ich in das Europaviertel. Hier haben zahlreiche namhafte europäische Institutionen ihren Sitz. Zuerst erblicke ich das Gebäude der Europäischen Kommission. Eine Reihe von Europaflaggen bildet die perfekte Kulisse für umherlaufende Reporter:innen auf der Suche nach einem Hintergrund für ihren nächsten Fernsehbeitrag. Gut, das ist vielleicht übertrieben, in Wirklichkeit sehe ich genau ein Kamerateam. Die Passant:innen werfen kaum ein Auge auf das Gebäude. Eine gewisse Gleichgültigkeit überkommt auch mich, wenn ich hier stehe, vor der Europäischen Kommission – ist halt auch nur ein Gebäude. Ich laufe weiter durch die EU-Landschaft und stehe vor dem Gebäude des Europäischen Rates. Nur ein paar Straßen weiter befindet sich der Plenarsaal des Europäischen Parlaments. Dieses Gebäude kenne ich aus zahlreichen Nachrichtenbeiträgen, insbesondere die gläserne Brücke mit dem Parlamentslogo. Ich entschließe mich, zum offiziellen Eingang zu fahren. Hier ist nicht viel los. Ein paar skatende Kids nutzen die Fläche samt der steinernen Stufen und Bänke, um Tricks zu üben. Da muss ich ein wenig schmunzeln, dass diese Jugendlichen diesen Ort vielmehr aufgrund seiner Eignung zum Skaten aufsuchen als aus Interesse an europäischer Politik. Aber bereits hier muss ich mich unterbrechen. Vielleicht stimmt das gar nicht und auf den wackligen Rollbrettern vor mir stehen zukünftige EU-Spitzenpolitiker:innen.

Vor der Europäischen Kommission

Ich verlasse das Europaviertel. Weiter geht es in Richtung Ixelles, zum Flagey, einem großen Platz nahe einem der Ausgehviertel Brüssels. Hier kann man sehr gute belgische Fritten genießen! Für mich sind die ein echtes highlight. Jedes Mal, wenn ich in Brüssel bin, freue ich mich darauf, diese Leckerei zu verspeisen. Anders als in Deutschland sind Fritten nichts Verpöntes, das man den Imbissbuden überlässt, sondern eine Art Delikatesse. Man findet sie auf nahezu jeder Speisekarte und in jeder Preisklasse.

Neben dem Platz befindet sich das Flagey-Gebäude, eine Konzertstätte für unterschiedlichste Künstler:innen.

Mit vollem Magen laufe ich erneut nordwärts, dem Palais de Justice (Justizpalast) entgegen. Dieses imposante Gebäude wurde 1883 fertiggestellt und gilt als das bedeutendste Gerichtsgebäude Belgiens. Auch heute noch werden hier Verfahren geführt. Der Justizpalast liegt auf dem so genannten “Galgenberg”. Man kann sich denken, warum. Hier fanden früher Exekutionen statt. Unmittelbar neben dem Palast befindet sich heute eine Art Terrasse, von der aus man einen großen Teil Brüssels überblicken kann. Zu Fuß oder mit dem Fahrstuhl kommt man nun in den darunter gelegenen Stadtteil Les Marolles. Dort drängen sich die Antiquitätenhändler, Vintage Boutiquen und kleinere Cafés. Ich komme her, um den täglich stattfindenden Flohmarkt auf dem Place du jeu de Balle zu besuchen. Man findet zahlreiche Obskuritäten, von alten beschriebenen Postkarten über Reichsmünzen bis hin zu antiken Schubladenknäufen. Ich kaufe nichts, aber es macht Spaß, sich durch alte Schallplattensammlungen und Kleiderberge zu wühlen!

Vorerst genug geshoppt, führt mich mein Weg zum Mont des Arts, dem Museumshügel. Auch von hier aus hat man einen schönen Blick über die Innenstadt. Ringsum befinden sich, wie der Name bereits verrät, zahlreiche Museen, darunter das Bozar, das Musikinstrumentenmuseum sowie das Museum der Belgischen Nationalbank. Besucht habe ich nur ersteres, dort gab es eine prima Ausstellung zu Keith Haring.

Auch ein Gang durch den hier gelegenen Garten lohnt sich!

Einige 100 Meter weiter erreiche ich nun das wahre Stadtzentrum Brüssels, rund um den berühmten Grand-Place. Dieser Platz ist auf nahezu jeder Postkarte zu finden und Wahrzeichen Brüssels. Ursprünglich wurde der Platz als Marktplatz genutzt, daher auf niederländisch auch Grote Markt. Der Platz wirkt sehr bunt, jede Fassade ist anders geschmückt, überall finden sich kleine Skulpturen. Auch das heutige Rathaus steht hier. Allerdings drängen sich gerade dort die Touristenmassen. Ich habe Glück, da sich die Touristenzahlen während der Pandemie in Grenzen halten.

Die Innenstadt Brüssels ist nett, es finden sich Läden jeglicher Sorte, viele Restaurants und selbstverständlich Bars, in denen frisch gezapftes belgisches Bier serviert wird – eine weitere kulinarische Delikatesse! Wer Freude an craft beer und sonstigen Brau-Kreationen hat, der dürfte in Brüssel fündig werden. Generell sind die Bars in Brüssel immer belebt. Es herrscht eine angenehme, lockere Atmosphäre und das Bier schmeckt wirklich lecker!

Nach dem Zwischenstopp beim “Roi des Belges” flaniere ich in Richtung Dansaert, eines der Szeneviertel Brüssels. Hier finden sich weitere Vintage Boutiquen, in denen man erstaunlich preiswert second-hand Klamotten erstehen kann. Die Vintage Szene in Brüssel brummt. Junge Leute sehen aus wie aus anderen, fernen Jahrzehnten, stets stilbewusst. Von dort aus gelange ich zum Place Sainte-Catherine. Dieser Platz eignet sich, um in der Sonne am Springbrunnen zu sitzen und einfach nur Leuten zuzuschauen, wie sich durch die Gegend spazieren. Meine Tour neigt sich dem Ende zu. Empfehlenswert ist ein Abstecher zum MIMA, einem eher kleinen Museum, in dem regelmäßig Ausstellungen zeitgenössischer Kunst junger Künstler:innen stattfinden. Hierzu quere ich den Kanal. Auf der anderen Seite des Gewässers angelangt, steuere ich das Atomium an, welches mich zurück in den Brüsseler Norden führt. Das Atomium liegt in einer riesigen Parkanlage. Das Gebilde steht symbolisch für das Zeitalter der Kernenergie, errichtet wurde es 1958 im Rahmen der Ausstellung “Expo 58”.

Mein Spaziergang endet am “Schaerbeek Gare”, einem alten Bahnhofsgebäude. Von hier aus wird es mich zurück nach Bremen führen.

Wie bereits eingangs erwähnt, hat sich Brüssel für mich als sehr anders entpuppt, als ich es mir vorgestellt hatte. Meine regelmäßigen Besuche, auch dank online-Lehre, haben mich der Stadt auf andere Weise näher gebracht, als es vielleicht mein Studium tut. Abseits von all dem politischen Glamour, welcher die Stadt möglicherweise umgibt, leben in Brüssel halt einfach nur Menschen. Und ohne jegliches europapatriotisches Pathos kann ich sagen: Ich mag es, Französisch zu hören, Englisch zu sprechen und auf Deutsch zu denken.