Im Juli 2022 kam es zu einem recht ungewöhnlichen Ereignis: Polen und Südkorea unterschrieben den größten Rüstungsvertrag in der Geschichte des ostasiatischen Landes. In dem Vertrag wurde vereinbart, dass Polen unter anderem knapp 1000 Panzer und mehrere hundert Panzerhaubitzen (Artillerie auf einem fahrbaren Chassis) kaufen wollte. Im Juli 2024 verkündete Rumänien ebenfalls, dass 54 K9 Haubitzen, neben Unterstützungsfahrzeugen, aus südkoreanischer Produktion beschaffen zu wollen. Damit würde es sich in eine Reihe mit Norwegen, Estland, Polen und Finnland stellen. Wie jedoch ist es zu erklären, dass ein Markt, der vorher von europäischen und US-amerikanischen Firmen beherrscht wurde, nun von südkoreanischen aufgemischt wird?
Wie bei vielen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Fragen seit dem 24. Februar 2022 hängt es auch hier mit der Invasion Russlands in der Ukraine zusammen. Nachdem diese, entgegen der Prognose vieler Experten, nicht innerhalb kurzer Zeit zusammengebrochen war, begann ein bis heute andauernder Abnutzungskrieg, indem die Ukraine über 4200 und Russland knapp 12300 gepanzerte Kampffahrzeuge verloren haben (Oryx, Stand 25.03.2025). Jeden Tag werden tausende Artilleriegranaten verschossen. Während Russland diese Verluste und verschossene Munition durch seit Jahrzehnten eingelagertes, und teilweise sehr altes Material aus Sowjetzeiten, sowie Lieferungen von Verbündeten wie dem Iran und Nordkorea, auszugleichen versucht, ist die Ukraine jedoch vor allem auf Unterstützung aus dem Westen angewiesen. Der Westen stand und steht jedoch vor dem Problem, dass nach relativ langer Zeit des Friedens in Europa und dem Ende des Kalten Krieges, in vielen Staaten die Kapazitäten der Rüstungsindustrie massiv abgebaut wurden, wenn man die USA einmal außen vor lässt.
Jene Einsparungen bei Verteidigungsausgaben konnten dann anderen Bereichen zugutekommen, stellen die Länder jetzt jedoch vor große Herausforderungen. Im Gegensatz dazu hatte Südkorea diese „Friedensdividende“ nie. Nach dem Ende des Koreakriegs 1953 wurde zwischen Nord- und Südkorea nie ein Friedensvertrag geschlossen. Im Angesicht der Bedrohung durch die kommunistische Diktatur im Norden rüstete sich Südkorea für einen weiteren Krieg. Ein solcher kam (bisher) nicht, hinterlässt dort aber eine starke Rüstungsindustrie. Diese ist dem Ansturm der Regierungen der Welt scheinbar auch gewappnet. So sollen bspw. ab April 2024 pro Jahr 240 der bereits genannten Haubitzen gebaut werden.
Die schnelle Verfügbarkeit ist aber auch für ein Land wie Polen sehr wichtig. Nachdem das mitteleuropäische Land jahrelang vor einem expansionistischen Russland gewarnt hatte, wurden diese Befürchtungen durch die russische Invasion bestätigt. So wurde Polen versprochen, die knapp 1000 Kampfpanzer innerhalb von fünf Jahren liefern zu können, während Rheinmetall (aktuell) nur einen Bruchteil dieser Menge an Leopard 2 produzieren kann. Dieser wird neben dem K2, dem amerikanischen M1 Abrams und einer polnischen Weiterentwicklung des T-72Ms, dem PT-91, nämlich auch noch benutzt.
Die Beschaffung neuen Materials ist auch dringend notwendig, da Polen seit 2022 mehr als 300 Panzer und 400 Schützenpanzer, dutzende Panzerhaubitzen sowie etlichem anderen Material an die Ukraine abgegeben hat.
Langsam berappelt sich jedoch auch die europäische Rüstungsindustrie und gewinnt an Aufträgen dazu. Um nur einige Beispiele zu nennen; so haben Norwegen und Schweden neue Leopard 2 bestellt, um ihre Bestände zu erweitern und auch Litauen hat erstmals den deutschen Panzer bestellt. Und Italien hat mit einer Bestellung über bis zu 1050 Lynx Schützenpanzer und bis zu 380 KF51 Panther Kampfpanzer eine große Bestellung aufgegeben. Außerdem haben Spanien und Italien neue Kampfflugzeuge des Typs Eurofighter Typhoon in Auftrag gegeben und Deutschland plant neue zu bestellen.
Zu diesem Zeitpunkt ist es noch nicht abzusehen, welche Rolle südkoreanische Rüstungsunternehmen in der europäischen Verteidigungspolitik einnehmen werden, da europäische Länder ein starkes Interesse daran haben werden, ihr Material in relativer Nähe produzieren zu lassen, um ihre und die europäische Wirtschaft zu stärken. Auch um eventuelle Verbote der Weitergabe zu vermeiden, wie es beispielsweise mit der 35 mm Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard passiert ist, als die Schweiz sich erst weigerte, diese für die Ukraine freizugeben.
Die Rolle der Vereinigten Staaten für die Verteidigungspolitik Europas – immerhin stammen 55 % der Waffenimporte aus den USA – ist derzeit sehr groß. Inwieweit dieses Verhältnis in Zukunft weiter bestehen wird, gerade nachdem die USA in ihrer Rolle als Schutzmacht des freien Europas zumindest etwas zurücktreten, ist jedoch unklar. Dieses sich scheinbar ändernde Verhältnis könnte südkoreanischen Firmen erlauben, tiefer in den europäischen Markt vorzudringen.
https://www.derstandard.de/story/3000000211037/waffenimporte-nach-europa-haben-sich-fast-verdoppelt
https://www.janes.com/osint-insights/defence-news/land/update-denmark-and-sweden-order-cv90-mkiiics
https://www.oryxspioenkop.com/
https://www.army-technology.com/news/finland-procure-k9-howitzers/
https://defence24.com/defence-policy/what-military-equipment-has-poland-transferred-to-ukraine
https://www.sipri.org/sites/default/files/2024-03/fs_2403_at_2023.pdf