Die Europawahl steht vor der Tür. Ich habe das Gefühl, dass sich in Deutschland viele Menschen der Dringlichkeit und Wichtigkeit dieser Wahl bewusst sind. Vor allem auch in Bezug auf immer lauter werdende rechte Parteien und die Notwendigkeit einen Sieg dieser unbedingt zu stoppen. Dieses Jahr darf in Deutschland schon ab 16 Jahren gewählt werden, was meiner Meinung nach eine sehr wichtige Entscheidung ist, da ich denke, dass gerade junge Menschen die Wahl haben sollten, unser Europa mitzugestalten.

Ich habe mich jedoch gefragt, ob junge Menschen anderer europäischen Länder dies genauso sehen und ob die Europawahl dort auch als eine so wichtige Wahl angesehen wird und ob überhaupt viel zur Wahl aufgerufen wird. Um dies herauszufinden, habe ich einige Freunde aus meinem Auslandssemester in Finnland befragt. Dies sind alles junge Menschen im Alter von 20 bis 26 Jahren aus den unterschiedlichsten Ländern Europas.

(Die meisten Interviews wurden schriftlich auf Englisch durchgeführt und schließlich von mir so wortgetreu wie möglich übersetzt.)

 

Alle Interviewten haben folgende Fragen bekommen:

Frage 1:

Wirst du bei der Europawahl wählen gehen und falls ja warum und falls nein warum nicht?

 

Frage 2:

Wird in deinem Land viel Wahlwerbung bezüglich der Europawahl betrieben und wird viel zur Wahl aufgerufen?

Frage 3:

Momentan gibt es in einigen europäischen Ländern einen Rechtsruck. Hast du das Gefühl, dass deine einzelne Wahl eine Auswirkung auf diese Entwicklung haben kann?

Frage 4:

Welche Programme (z.B. Erasmus?) oder Vorteile der EU schätzt du und was würdest du dir jedoch noch im Hinblick auf die EU wünschen?

Luise, Deutschland:

F 1:

Ja, ich wähle bzw. habe bereits meine Wahlunterlagen per Briefwahl abgegeben. Ich gehe wählen, da mir wichtig ist für meine Werte und Ansichten einzustehen. Ich finde Wählen ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Verantwortung und sollte somit immer wahrgenommen werden.

F 2:

Ja, in meiner Stadt beispielsweise wurden überall Plakate mit Wahlwerbungen der verschiedenen Parteien verteilt. Zur Wahl aufgerufen wird auch. An meiner Universität beispielsweise hängen einige verschiedene Plakate, die zum Wählen aufrufen.

F 3:

Ja, für mich steht ganz fest klar: Jede einzelne Stimme zählt! Ich denke jede einzelne Wahl ist wichtig, das gilt grundsätzlich. Es ist vor allem noch wichtiger, um dem Rechtsdruck entgegenzuwirken.

F 4:

Es gibt einige Vorteile, welche die EU mit sich bringt. Einige die ich sehr schätze sind, die sozialen Vorteile, welche ermöglichen, in jedem Mitgliedstaat zu leben, zu arbeiten und zu studieren. Es gibt auch große wirtschaftliche Vorteile durch den Binnenmarkt und die gemeinsame Währung, sowie auch einige Sicherheitsvorteile. Auch Bildungsprogramme wie Erasmus schätze ich sehr. Von der EU würde ich mir allerdings noch mehr Förderung von Klimaschutz- und Umweltschutzmaßnahmen wünschen. Insgesamt wünsche ich mir mehr Maßnahmen die dazu beitragen eine nachhaltige und inklusive Zukunft zu gestalten.

Paula, Spanien:

F 1:

Auf jeden Fall werde ich am 9. Juni meine Stimme abgeben. Für mich ist die Teilnahme an der Europawahl mehr als nur ein Recht, es ist eine wichtige Verantwortung. Dies ist unsere Chance, den Weg der Europäischen Union zu gestalten und sicherzustellen, dass unsere Stimmen und Anliegen gehört und in der EU-Politik vertreten werden. Indem wir wählen, tragen wir zur Stärke und Einheit Europas bei. Schließlich betreffen die von der Europäischen Union ausgearbeiteten Rechtsvorschriften uns alle und ermöglichen es uns, globale Herausforderungen zu bewältigen, die unsere spanische Regierung nicht alleine bewältigen könnte.

F 2:

In Spanien hat die Teilnahme an der Europawahl aus zwei Gründen keine große Tradition: Erstens, weil viele Bürger*innen die Institutionen der Europäischen Union (EU) als weit entfernt wahrnehmen und zweitens wegen des Mangels an Information und Werbung in den Medien, wodurch die Menschen sich ihrer Bedeutung nicht bewusst sind. Ich habe weder im Fernsehen noch im Radio etwas über die Wahlen gehört, nur die Wahlkampagnen wurden speziell erwähnt.

F 3:

Ich glaube, dass wählen gehen immer eine Wirkung hat. Jede Stimme ist eine Stimme und kann in der Tat einen Unterschied in der Entwicklung des Rechts oder der Änderung des Kurses machen.

F 4:

Ich schätze verschiedene Programme und Vorteile, die von der EU angeboten werden, wie z. B. das Erasmus- Programm. Als ehemalige Erasmus Studentin denke ich, dass Erasmus ein fantastisches Programm ist, das den kulturellen Austausch und das Verständnis zwischen europäischen Ländern fördert. Es fördert Verbindungen zwischen Studierenden und Akademiker*innen über Grenzen hinweg und bereichert die Bildung und die persönlichen Erfahrungen gleichermaßen. Außerdem schätze ich das passfreie Reisen und die Freizügigkeit für EU-Bürger*innen (Schengen-Raum). Als Grundschullehrerin ist es für mich wichtig, dass die EU Initiativen zur Förderung der digitalen Kompetenz unterstützt. Projekte wie das SELFIE-Tool, das Schulen hilft, ihre digitale Bereitschaft zu bewerten und Aktionspläne für Verbesserungen zu entwickeln, sind wertvolle Ressourcen für den Unterricht.

Arthur, Frankreich:

F 1:

Ich werde an der Europawahl teilnehmen. Ich gehe immer zu allen Wahlen, da ich denke, dass es eine Bürgerpflicht ist und die einzige Möglichkeit, meine Ideen und Rechte zu verteidigen. Die Europawahl ist wichtig, um sicherzustellen, dass meine Werte im Europäischen Parlament vertreten werden, in welchem über wichtige politische Entscheidungen für die Gestaltung Europas debattiert wird.

F 2:

In Frankreich wird der Europawahlkampf von den wichtigsten Medien aufgegriffen. Doch die Themen handeln hauptsächlich von nationalen Themen und nicht von europäischen Zuständigkeiten. Diese Wahl wird von den großen politischen Parteien immer eher als eine Art große Umfrage für die nächste Präsidentschaftswahl genutzt. Es gibt wenig Aufklärung über die Zuständigkeiten der EU und darüber, dass diese Wahl für die Gestaltung unseres täglichen Lebens und unserer Zukunft entscheidend ist. Die Menschen in Frankreich fühlen sich im Allgemeinen nicht betroffen von dieser Wahl und es gibt nur wenig Werbung oder Aufrufe, um dieses Problem anzugehen.

F 3:

Mein Land ist ein perfektes Beispiel für diesen Rechtsextremismus. Die größte französische rechtsextreme Partei wird sicherlich einen großen Erfolg bei den kommenden Wahlen haben. Meine Stimme kann einen Einfluss auf diese Entwicklung haben, denn ich werde für eine Partei stimmen, die dieses Thema sehr ernst nimmt und den Aufstieg der rechtsextremen Parteien als eine ernsthafte Bedrohung für die Europäische Union betrachtet. Ich werde für eine Liste stimmen, die niemals mit rechtsextremen Politikern zusammenarbeitet, rechtes Gedankengut niemals verteidigt und es in der Europäischen Union so gut wie möglich bekämpfen wird.

F 4:

Ich schätze den freien Waren- und Personenverkehr im Schengen-Raum. Es ist sehr praktisch, keine Grenzen und eine einheitliche Währung zu haben. Auch wirtschaftlich ist es für uns alle von Vorteil. Ich wünsche mir jedoch eine weniger liberale EU. Die EU muss ihre Politik ändern, um die erste Sozial- und Umweltmacht der Welt werden zu können. Die kontinentale Ebene ist der einzig mögliche Weg, sich den Problemen die sich in Zukunft noch verschärfen werden, zu stellen. Ich wünsche mir strukturelle Veränderungen in den Institutionen der EU, in welchen dem Parlament mehr Macht zukommt und dem Europäischen Rat und der Kommission dafür weniger, um die Konsensregel abzuschaffen. Außerdem wünsche ich mir, dass die Europäische Union auch zu einer diplomatischen und militärischen Macht wird, die in der Lage ist, Europa zu schützen.

Floris, Niederlande:

F 1:

Ja, ich werde wählen gehen. Ich glaube, dass es wichtig ist, das Wahlrecht, das den Menschen gegeben wurde, zu nutzen, vor allem, weil die Mitglieder des EU-Parlaments Entscheidungen treffen, die das Leben aller Menschen in gewisser Weise beeinflussen werden.

F 2:

Ich habe ziemlich viel Werbung in und um größere Städte, in den sozialen Medien und sogar an Orten bemerkt, an denen ich es nicht erwarten würde. Ich glaube aber, dass es weniger ist als bei den nationalen Wahlen, ebenso wie die Aufrufe zur Wahl.

F 3:

Ja, das glaube ich schon. Jede Stimme zählt.

F 4:

Ich schätze die offenen Grenzen, die Möglichkeiten für Menschen im Ausland zu leben, zu arbeiten und zu studieren (z. B. Erasmus), aber auch die Verwendung der gleichen Währung. Das macht das Reisen sehr viel bequemer. Allerdings würde ich mir wünschen, dass die EU weniger Vorschriften zu Themen erlässt, die auch den lokalen Regierungen überlassen werden könnten, um sicherzustellen, dass die Länder ihre Entscheidungsgewalt nicht verlieren.

Alexandra, Griechenland:

F 1:

Ich bin mir nicht sicher, ob ich das tun werde, denn ich bin mir zwar bewusst, dass meine Stimme für das Gesamtergebnis und den Ausgang dieser Wahl sehr wichtig ist, aber es ist eigentlich ziemlich selten, dass griechische Jugendliche bei anderen Wahlen als den alle vier Jahre stattfindenden nationalen Parlamentswahlen ihre Stimme abgeben.

F 2:

Es gibt ein wenig Wahlwerbung, aber definitiv nicht so viel wie bei anderen Wahlen, die sich auf die Regierung konzentrieren. Es gibt jedoch viele Wahlplakate der politischen Parteien, vor allem im Zentrum von Athen.

F 3:

Da Griechenlands Regierung in den letzten 5 Jahren rechts war, habe ich das Gefühl, dass es, selbst wenn ich wollte, ziemlich schwierig wäre, dies mit meiner Stimme zu ändern.

F 4:

Ich schätze jedes Austauschprogramm, das in Europa durchgeführt wird (e-twinning, Erasmus+, usw.) und ich würde gerne immer mehr Möglichkeiten haben, im Ausland zu studieren und die Welt kennenzulernen, unterstützt von der EU.

Tijl, Belgien:

F 1:

Ja! Da wir das Privileg haben, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben, ist eine Beteiligung an der Demokratie unerlässlich. Als Eckpfeiler der modernen Demokratie ist die Stimmabgabe von entscheidender Bedeutung, um den Weg der Zukunft mitzubestimmen, insbesondere in dem derzeitigen turbulenten politischen Klima.
Da ich Belgier bin, besteht bei uns eine Wahlpflicht. Das bedeutet, dass man zum Wahllokal gehen muss (oder auf andere Weise wählen kann, z. B. durch eine Vollmacht oder durch Briefwahl), aber es ist nicht vorgeschrieben, in der Wahlkabine zu wählen. Man kann zum Beispiel auch leer wählen. (Zum Vergleich: Selbst in diesem System haben 17 Prozent der Belgier bei den Wahlen 2019 ungültig oder leer gewählt).

Wenn man nicht wählen geht, gibt man meiner Meinung nach die Macht der eigenen Stimme und die Macht der Veränderung auf. Wie demokratisch kann eine gewählte Regierung sein, wenn im Laufe der Zeit weniger als die Hälfte der Bevölkerung zur Wahl geht? Welches Recht auf Protest könnte man haben, wenn man mit der Politik nicht einverstanden ist, aber nicht gewählt hat?

F 2:

Ja, gibt es. Bis Mitte März war geplant, belgische Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren von der Wahlpflicht zu befreien (sie konnten also wählen, ob sie an den EU-Wahlen teilnehmen wollten), aber das belgische Verfassungsgericht hat diese Entscheidung aufgehoben. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es also reichlich Werbung, um diese Zielgruppe zur Wahlbeteiligung zu bewegen.

Wie bereits in Frage 1 erwähnt, ist die Teilnahme an den Wahlen obligatorisch, so dass die breite Öffentlichkeit im Allgemeinen keine zusätzlichen Aufrufe benötigt, um wählen zu gehen. Es gibt jedoch jede Menge Werbung der politischen Parteien, um die Belgier dazu zu bringen, für sie zu stimmen! Sie versuchen also, unentschlossene oder uninteressierte Wähler*innen auf diese Weise zur Stimmabgabe zu bewegen. Dies ist jedoch weniger auffällig als bei den nationalen und regionalen Wahlen, die zur gleichen Zeit stattfinden.

F 3:

Ja. Wie gesagt, die Abstimmung ist der Eckpfeiler der modernen Demokratien. Entscheidend ist, dass die Entwicklung in Richtung der Stimmen des Volkes geht, welche Richtung das auch immer sein mag. Gerade hier sehe ich jedoch große Konflikte zwischen den Menschen entstehen. Die Kluft zwischen links und rechts wird immer größer, und auf beiden Seiten gibt es mehr und mehr extreme Argumente und Ideologien. Das ist meiner Meinung nach ein besorgniserregender Trend, der zu einer starken Polarisierung innerhalb und zwischen Ländern führen kann. Große Gruppen von Menschen neigen dazu, sich ignoriert oder missverstanden zu fühlen, wenn ihre politischen Standpunkte oder Stimmen nicht an die Macht gelangen.
Es wird von entscheidender Bedeutung sein, dass ein gutes Verständnis der Demokratie und der Art und Weise, wie sie ausgedrückt und umgesetzt wird, (wieder) hergestellt wird, damit diese Polarisierung abnimmt und wir uns in Richtung Debatte, Kompromiss und tatsächlicher Demokratie bewegen können, ohne von einer Schwarz-Weiß-Mentalität geblendet zu sein.

F 4:

Die pädagogische und akademische Unterstützung für alle Arten von Mobilitäten ist das, was uns am Laufen hält und was vielen Studierenden und Akademikern lebensverändernde Erfahrungen ermöglicht. Als ehemaliger Erasmus-Student und -Praktikant kann ich mir nur wünschen, dass diese Erfahrungen für alle gesellschaftlichen Gruppen zugänglicher werden, auch für diejenigen, die weniger Möglichkeiten haben. Der Austausch darf nicht nur etwas für die Elite werden, denn das würde die neuen Sichtweisen, die man lernen könnte, ausschließen und im Grunde genommen schmälern, wie lebensverändernd diese internationalen Erfahrungen tatsächlich sein können.

Außerdem glaube ich, dass in einer Welt voller Veränderungen, Kriege, Konflikte und Ungewissheiten die internationale Zusammenarbeit an vielen Fronten ein Weg ist, um Europa als großen Akteur auf der Weltbühne zu erhalten. Die Möglichkeiten zur Innovation, zum Gedeihen, zur Überwindung und zur Zusammenarbeit auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt und Verständnis machen die EU als Ganzes zu einem lohnenden Projekt. Dies mag eine Utopie sein, die wir noch nicht ganz erreicht haben, aber es ist auch ein Ziel, ein Wunsch und ein Ehrgeiz, für den es sich auf lange Sicht zu kämpfen lohnt.

Antton, Finnland:

F 1:

Ich habe gewählt, da ich der Meinung bin, dass das Wählen eine Pflicht ist, um ein funktionierendes demokratisches System aufrecht zu erhalten.

F 2:

In den öffentlichen und sozialen Medien ist Werbung für die Kandidat*innen zu sehen, aber im Vergleich zu beispielsweise den finnischen Parlamentswahlen ist sie weniger sichtbar.

F 3:

Auch, wenn es sich so anfühlt, als ob meine Stimme nicht viel bringt, verstehe ich rational, dass jede Stimme zählt, um den Anstieg der rechtspopulistischen Politik zu bekämpfen. Es ist jedoch ehrlich gesagt schwer, optimistisch zu bleiben.

F 4:

Um ehrlich zu sein, kenne ich nicht einmal alle Aspekte, durch welche die Europäische Union mein Leben beeinflusst, so dass mir manchmal nicht klar ist, was die EU mit ihren Programmen eigentlich für mich tut. Doch natürlich schätze ich das Erasmus Programm, sowie die Möglichkeit, sich frei bewegen zu können sehr.

 

Ich fand es super spannend, die Erfahrungen und Meinungen meiner Freunde aus ganz Europa zu hören. Ich denke, viele von ihnen teilen meine Ansicht, wenn es darum geht, wie wichtig diese Wahl für die Gestaltung unserer Zukunft ist. Doch, wie sich auch in einigen Interviews zeigte, fehlt in vielen Ländern einfach die Aufklärung und somit natürlich auch teilweise das Wissen darüber, was genau eine Europawahl ist und wie bedeutend jede einzelne Stimme dafür ist. Ich hoffe also, dass in allen Ländern in Zukunft auch bei internationalen Wahlen, wie der Europawahl, mehr Aufklärung geleistet wird und nicht nur bei regionalen Wahlen der einzelnen Länder.