Giorgia Meloni in Italien, Marine Le Pen in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden. Europa durchfährt ein Rechtsruck. Seit Jahren gewinnen rechtspopulistische und EU-skeptische Parteien an Zustimmung. Bereits bei den letzten beiden Europawahlen 2014 und 2019 war ein Zuwachs rechter Kräfte zu verzeichnen. Umso entscheidender ist die diesjährige Europawahl, welche vom 6. bis 9. Juni stattfindet. Doch wie arbeitet das EU-Parlament? Was hat europäische Politik mit mir zu tun? Wie genau steht es um die rechten Fraktionen im Parlament? Und warum ist es wichtig, zur Wahl zu gehen? Im Folgenden findet ihr Antworten auf unter anderem diese Fragen.

Was macht das EU-Parlament eigentlich genau?

Die Europäische Union ist ein Bündnis aus 27 Mitgliedsstaaten. Die EU wird hauptsächlich von fünf Institutionen gelenkt: Europäische Kommission, Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union (auch: Ministerrat), Europäisches Parlament und Europäischer Gerichtshof. Im Folgenden soll vor allem das Europäische Parlament im Vordergrund stehen, da dieses vom 6. bis 9. Juni 2024 gewählt wird. Die EU ist das weltweit einzige Staatenbündnis, in welchem die Bürger*innen alle fünf Jahre durch eine direkte Stimmabgabe unmittelbar entscheiden können, wer ihre Interessen im Parlament vertritt.

EU-Parlament in Straßburg

Das EU-Parlament hat hauptsächlich drei Aufgaben. Es ist an der Gesetzgebung beteiligt und verabschiedet EU-Rechtsvorschriften. Dabei arbeitet es mit dem Ministerrat zusammen und gemeinsam beraten die beiden Organe über Vorschläge der EU-Kommission. Das Parlament entscheidet über internationale Abkommen sowie Erweiterungen der EU. Des Weiteren sind Parlament und Ministerrat für den Haushaltsplan der EU verantwortlich, sprich für die Finanzen. Darin werden alle Einnahmen und Ausgaben der EU für mehrere Jahre geplant. Als Drittes fungiert das Parlament als demokratische Kontrollinstanz gegenüber allen anderen EU-Organen und ist damit wichtiger Akteur der Gewaltenteilung. Es wählt den*die EU-Kommissionspräsident*in und muss der gesamten Besetzung der Kommission zustimmen. Alle Mitglieder werden vom Parlament angehört und das Parlament hat so die Möglichkeit, Personen abzulehnen. Das Parlament kann zudem einen Misstrauensantrag gegen die Kommission stellen und diese in letzter Konsequenz auflösen. Wie nationale Parlamente auch, verfügt das Europäische Parlament über einzelne Ausschüsse, die sich jeweils speziellen Themen widmen. So gibt es unter anderem einen Petitionsausschuss, an den sich die Bürger*innen direkt wenden können.

Die EU und ich

Umweltschutz, Verbraucherrechte, Sicherheit und Gesundheitsversorgung: Viele Regeln und Gegebenheiten, die uns im Alltag begegnen, gehen auf Verordnungen der EU zurück. Der wissenschaftliche Dienst der EU hat die multilinguale Plattform „What does Europe for me?“ erstellt, auf der ihr nachlesen könnt, in welchen Bereichen die EU Entscheidungen beeinflusst. Beispielsweise profitieren Studierende vom EU-Programm Erasmus+. Seit dessen Gründung 1987 haben über 13 Millionen Menschen Erfahrungen im Ausland gesammelt und dort gearbeitet, studiert oder eine Ausbildung absolviert. Hier könnt ihr mehr zum Projekt Erasmus+ und seiner Geschichte lesen. Ein europäisches Gesetz hat außerdem bewirkt, dass innerhalb der EU die Roaming-Gebühren 2017 abgeschafft wurden. Ebenfalls auf europäischer Ebene entstand die Regelung, dass sämtliche Handys und Tablets, die in der EU verkauft werden, bis Ende 2024 über den einheitlichen USB-C-Anschluss verfügen müssen. Auch auf lokaler Ebene finden sich Beispiele für das Wirken der EU. Hier in Bremen wurde mithilfe des Europäischen Sozialfonds das Projekt „Digitaler Engel“ ins Leben gerufen. Der Europäische Sozialfonds ist innerhalb der EU ein wichtiges Mittel zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Sozialpolitik. Im Umkehrschluss sollen soziale Ungleichheiten zwischen den Regionen in Europa verringert werden. „Digitaler Engel“ findet im medizinischen Bereich Anwendung und dient der Stärkung der Interaktionsarbeit zwischen Patient*innen und Pflegekräften mithilfe digitaler Assistenzsysteme.

Wie wird gewählt?

Plenarsaal EU-Parlament Brüssel

Am 9. Juni 2024 sind in Deutschland knapp 65 Millionen Menschen dazu aufgerufen, wählen zu gehen und so über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments abzustimmen. EU-weit sind rund 350 Millionen Menschen wahlberechtigt. In der Bundesrepublik dürfen bei dieser Wahl erstmals Personen ab 16 Jahren ihr Kreuz setzen. Das geht aus einem von der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP erarbeiteten Entwurf hervor, den der Bundestag im November 2022 beschloss. Das EU-Parlament zählt derzeit 705 Sitze. Ab Juni werden es ein paar mehr werden, da bei der Wahl insgesamt 720 Parlamentssitze zu vergeben sind. Grund dafür sind steigende Bevölkerungszahlen in einigen EU-Ländern, die bei der Gewichtung der Stimmen berücksichtigt werden. Wie in der Legislaturperiode zuvor auch, sendet Deutschland 96 Abgeordnete nach Brüssel beziehungsweise Straßburg, wo das Parlament abwechselnd tagt. Nach europäischem Recht darf das Parlament maximal 750 Sitze plus den Sitz des*der Parlamentspräsident*in haben.

Jede*r Wahlberechtigte hat in Deutschland genau eine Stimme, mit der eine Partei gewählt werden kann. Für die diesjährige Europawahl sind deutschlandweit insgesamt 35 Parteien zugelassen. Auf den Stimmzetteln sind allerdings nur 34 Parteien aufgelistet, da sowohl die CDU als auch die CSU zur Wahl zugelassen sind. Hingegen sind sie nicht gleichzeitig auf den Stimmzetteln vertreten. Während die CSU in Bayern aufgeführt ist, ist es die CDU in allen anderen Bundesländern.

Rechte Stimmen in Europa

Zwischen EU-Gegner*innen und der extremen Rechten zu differenzieren ist eine Herausforderung, da sich EU-feindliche und rechtsextreme Stimmen in vielen Fällen überschneiden. Beide Lager vereint eine nationalistische, fremdenfeindliche Haltung mit Ablehnung gegenüber der europäischen Integration. Einige befürworten den Austritt aus dem Euro-Raum oder das vollständige Ausscheiden aus der EU und manche fordern sogar, das Europäische Parlament abzuschaffen. Jedoch sind nicht alle Gegner*innen der Europäischen Union gleichzeitig Anhänger*innen einer rechtsextremen Weltanschauung. Eine Analyse der Kandidat*innen für Parteiämter offenbart, dass ihre Unterstützung vor allem aus den unter Druck stehenden mittleren Gesellschaftsschichten stammt. Besonders in Ländern mit einer traditionell hohen Zuwanderungsrate wie Frankreich oder den Niederlanden haben es populistische Bewegungen und Parteien in den letzten Wahlperioden geschafft, Immigration und „den Islam“ als Verursacher gesellschaftlicher Spannungen darzustellen.

Momentan sitzen im Europäischen Parlament zwei Fraktionen, die auf dem rechtspopulistischen bis rechtsextremen Spektrum einzuordnen sind: die „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR/ECR) und „Identität und Demokratie“ (ID). Die EKR gründete sich 2009 und ist ein konservativer bis rechtspopulistischer Zusammenschluss, der EU-kritische Politik betreibt. Dazu gehören beispielsweise Politiker*innen der polnischen PiS-Partei und der Fratelli d’Italia. Die Fraktion ID ist ein Bündnis aus rechtspopulistischen, nationalistischen und rechtsextremen Parteien. Seit der Europawahl 2019 bildet sie die Nachfolgerin der „Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit“. Teil des Parteienbündnis sind unter anderem Abgeordnete der italienischen Lega, des französischen Rassemblement National und der AfD. Dass es im EU Parlament zwei Fraktionen am rechten Rand gibt, lässt sich durch inhaltliche Differenzen erklären. So sind die Fraktionen verschieden radikal. Während die ID-Fraktion einen Austritt aus der EU fordert, steht die EKR-Fraktion für einen Umbau ein. Beide Fraktionen bedienen sich homophober, islamophober und rassistischer Rhetoriken, jedoch treten sie innerhalb der ID-Fraktion häufiger auf. Darüber hinaus variieren die Standpunkte bezüglich Russland und dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die AfD pflegt enge Verbindungen zu Moskau, ebenso wie die FPÖ und der Rassemblement National. Im Gegensatz dazu zählt die PiS-Partei in der EKR-Fraktion zu den vehementesten Kritikern einer engeren Zusammenarbeit mit Russland. Auch innerhalb der Fraktionen gibt es divergierende Ansichten wie beispielsweise beim Thema Migrationspolitik. Während alle europäischen Rechtsaußenparteien weniger Zuwanderung nach Europa befürworten, besteht Uneinigkeit über die konkreten Maßnahmen. Die italienische Regierung beabsichtigt, die ankommenden Migrant*innen nach einem festen Schlüssel auf die anderen Länder in Europa zu verteilen. Im Gegensatz dazu lehnen die ungarische Regierungspartei Fidesz und die polnische PiS die Aufnahme von Migrant*innen komplett ab.

Prognosen zufolge werden die beiden Fraktionen bei der kommenden Europawahl Sitze im Parlament hinzugewinnen. Es wird erwartet, dass sowohl die Fraktion der EKR als auch die ID an Stimmen gewinnen werden. Es besteht die Möglichkeit, dass die Fraktionen jeweils zwischen 80 und 90 Sitze erlangen. Somit könnten die zwei rechten Fraktionen gemeinsam etwa 180 der insgesamt 705 Sitze im EU Parlament erringen und etwa ein Viertel der Abgeordneten stellen.

Deine Stimme zählt!

Um den Rechten keinen Platz zu bieten und einen Rechtsruck im Parlament zu verhindern, ist es wichtig, dass wir alle wählen gehen. Durch Nichtteilnahme an der Wahl, überlassen wir anderen die Entscheidung darüber, wer uns repräsentiert. Aus Protest nicht zu wählen, ist daher wenig sinnvoll.

Mit der Wahlbenachrichtigung, die ihr per Post zugeschickt bekommen habt, könnt ihr entscheiden, ob ihr Briefwahl beantragt oder am 9. Juni in ein Wahllokal in eurer Nähe geht. Wenn ihr noch unschlüssig seid, welcher Partei ihr eure Stimme gebt, könnt ihr den Wahl-O-Mat als Orientierungshilfe nutzen.

Quellen:

Europäisches Parlament: Was macht das EP? erklärt – 2024 aktuelle Sitzverteilung – Aufgaben Mitglieder Fraktionen Abgeordnete Zusammensetzung – LpB BW (europaimunterricht.de)

Rechtsruck in Europa – (extreme) Rechte in Europa – Europawahl 2024 – Rechtspopulistische Parteien – Rechte Regierungen – Rechtsextreme Parteien – Parteien am rechten Rand (europawahl-bw.de)

Rechte Fraktionen im Europaparlament EKR und ID – Europawahl 2024 – Extreme rechte Parteien – Rechtspopulistische Parteien im Europäischen Parlament (europawahl-bw.de)

Die Europawahl 2024 einfach erklärt – SWR Aktuell