Am 17. Dezember 2023 fanden in Serbien Parlaments- und Kommunalwahlen statt – in einem Land, dessen politische Entwicklung auch hierzulande von besonderem Interesse sein sollte. Da ist zum einen die Frage des EU-Beitritts und der außenpolitischen Orientierung. Zudem bleibt der Konflikt mit dem Kosovo ungelöst, der erst im September 2023 wieder aufgeflammt war, als bei einem Terroranschlag serbischer Milizen ein kosovarischer Polizist getötet wurde. Und dann ist da noch die innenpolitische Dimension, in der wachsende Korruption und der Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Besorgnis erregen sollten.

Die Wahlen konnte die Regierungspartei des autoritären Präsidenten Aleksandar Vučić abermals deutlich für sich entscheiden und erlangte eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung.
Also alles wie immer? Nein, trotz des erneuten Wahlsiegs der Serbischen Fortschrittspartei SNS, scheint diesmal einiges anders zu sein.

Anders war schon der Wahlkampf: Außergewöhnlich polarisierend und hasserfüllt, selbst für serbische Verhältnisse, aber vor allem außergewöhnlich spannend. Denn die Tatsache, dass der Wahlsieg der SNS im Vorfeld überhaupt fraglich erschien und die liberale Opposition so sichtbar auf den Plan trat, war bis vor kurzem noch schwer vorstellbar. Zu schwach schienen die zivilgesellschaftlichen Kräfte, zu zersplittert die politische Opposition, in einem Land fest in den Klammern der regierenden Elite.

Doch zwei Amokläufe im Mai 2023 hatten die serbische Gesellschaft aufgewühlt, man könnte fast meinen aufgeweckt und die Menschen in Massen auf die Straßen getrieben. In Belgrad kam es zu den zahlenmäßig größten Protesten seit Jahrzehnten, bei denen Präsident Vučić für ein Klima der Verrohung und des Hasses verantwortlich gemacht wurde. Aufbauend auf der Protestkampagne „Serbien gegen Gewalt“ gelang es verschiedensten pro-europäischen Parteien erstmals seit Jahren sich zu vereinen und ein gleichnamiges, breites Wahlbündnis oppositioneller Kräfte zu schmieden.
In Reaktion auf den wachsenden Druck rief Präsident Vučić im September Neuwahlen aus. Ein beliebtes Instrument der Regierung, um in ständiger Wahlkampfmanier von hausgemachten Problemen abzulenken. So handelte es sich bereits um die dritten Wahlen in nur vier Jahren. Erst im April 2022 waren die rund 6,5 Millionen serbischen Wahlberechtigten aufgerufen gewesen an die Urnen zu treten.

Die Wahlliste „Serbien gegen Gewalt“ ist in erster Linie ein Zweckbündnis gegen Vučić, zusammengesetzt aus ideologisch unterschiedlichen Parteien, mit nur dünnem programmatischem Profil. In der „Kosovofrage“, einem dominantem Wahlkampfthema, zeigte sich das Bündnis gespalten. Doch die horrende Inflation und das wachsende Misstrauen in den Staat waren Themen, die dem Oppositionsbündnis Zulauf bescherten und so konnte es sich zu einer ernsthaften Herausforderung für die regierende Fortschrittspartei entwickeln.

Nach dem sich jüngst in Polen zugetragenen Machtwechsel hatten dann auch in Serbien leise Hoffnungen auf eine Ablösung der autoritären und nationalistischen Regierung bestanden. Diese erfüllten sich nicht, ein „Wahlwunder“ blieb aus. Von den 18 angetretenen Wahllisten schafften fünf den Sprung über die Drei-Prozent Hürde in die Nationalversammlung, dem Einkammerparlament des Landes. Neben der Serbischen Fortschrittspartei, die mit 46,7 % sogar einige Prozentpunkte hinzugewann und dem Oppositionsbündnis SPN, dass auf 23 % kam, sind dies die sozialistische Partei, der bisherige Koalitionspartner, sowie zwei rechte Wahllisten. Hinzu kommen noch Minderheitenparteien.
Auch bei den Kommunalwahlen in der Hauptstadt Belgrad, bei denen die Chance auf einen Sieg der Opposition so groß wie nie schien, setzte sich die SNS durch. Hier war es jedoch weitaus knapper. Dem bisherigen Ergebnis nach trennt die SNS nur vier Prozentpunkte vom Oppositionsbündnis. Ähnlich wie in der Türkei oder Ungarn bildet sich auch in der serbischen Metropole eine wachsende Zivilgesellschaft, die das Potenzial hat, ein liberales Gegengewicht zum Rest des Landes zu bilden.

Angesichts der knappen Umfragewerte und Erwartungen im Vorfeld mag das Abschneiden der Opposition eher als Enttäuschung wirken, besonders in Belgrad. Hinsichtlich der ungleichen Wahlkampfbedingungen kann es jedoch immer noch als Achtungserfolg gewertet werden und ist immerhin das beste Ergebnis liberaler Parteien seit Jahren. Mit Blick auf mutmaßlich vielfachen Wahlbetrug und Unregelmäßigkeiten ist es überhaupt mehr als zweifelhaft, ob tatsächlich jemals eine reale Möglichkeit für einen politischen Wandel bestand.

Von fairen und freien Wahlen kann kaum die Rede sein: Die serbischen Massenmedien agierten im Wahlkampf als Schoßhunde der Regierungspartei, die SNS missbrauchte staatliche Gelder und übte Druck auf Beschäftigte des öffentlichen Dienstes aus. Es gab Gewalt gegen Journalist*innen und Oppositionspolitiker*innen. Die Liste der Vorwürfe, welche die Opposition nach den Wahlen erhob, ist beträchtlich. Konkret geht es um Stimmenkauf, die Registrierung fiktiver Wähler*innen, die Teilnahme nicht an den Kommunalwahlen wahlberechtigter Serbinnen und Serben aus Bosnien-Herzegowina sowie die Behinderung unabhängiger Wahlbeobachter*innen. Vieles wird von der internationalen Wahlbeobachtungsmission der OSZE bestätigt und gibt Anlass, die Legitimität des Ergebnisses anzuzweifeln. Das „System Vučić“ hält sich an der Macht, mit allen Mitteln.

 

Der zweite Teil des Artikels blickt auf Vučić und seine Partei SNS sowie insbesondere auf die Reaktionen und Folgen der Wahlen.