Seit einigen Wochen protestieren Landwirt*innen in vielen Ländern Europas gegen politische Änderungen und um auf ihre wirtschaftliche Lage und Probleme in der aktuellen Landwirtschaft aufmerksam zu machen. Die Proteste erstrecken sich über Deutschland, Frankreich, Italien und andere europäische Länder. Schon seit Jahren wird die Existenzgrundlage vieler Bauernhöfe durch Überregulierung und immer größer werdende Bürokratie, steigende Betriebskosten und ungleich verteilte Subventionen bedroht. Die EU zahlt jährlich 55 Milliarden Euro an Subventionen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), von denen jedoch 75% abhängig von der Größe der bewirtschafteten Fläche eines Betriebes und die restlichen 25% für die Förderung ländlicher Regionen gezahlt werden, also gilt: je größer der Betrieb, desto mehr Geld gibt es. Ein weiteres Problem für die Landwirt*innen stellt die Umweltpolitik der EU und die damit einhergehenden Auflagen, die sie erfüllen müssen, dar. So müssen unter anderem Fruchtfolgen eingehalten und Zwischenfrüchte angebaut werden.
In Brüssel richtet sich die Wut direkt gegen die Europäische Union und mündet teilweise in gewaltsamen Aktionen. Am 26. Februar beratschlagten die EU-Agrarminister*innen über das Umgehen mit der Protestwelle, was die Landwirt*innen als Anlass nutzten, Straßen im EU-Viertel zu blockieren, Reifen in Brand zu setzen und Gülle auf die Straßen zu schütten. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein und errichtete Straßensperren, welche jedoch vereinzelt durchbrochen wurden.
Bei den Protesten in Polen spielt vor allem der russische Angriffskrieg eine Rolle. Ukrainische Landwirte exportieren ihre Agrarprodukte aktuell vermehrt über den Landweg nach Europa, da der Seeweg über das Schwarze Meer eingeschränkt ist. Das ukrainische Getreide ist billiger als das polnische Getreide und führt daher laut den polnischen Landwirten zu einem Preisverfall ihrer Agrarprodukte. Außerdem fühlen sie sich gegenüber ukrainischen Landwirten benachteiligt, da diese geringere Umweltstandards erfüllen müssen und in der EU verbotene Pestizide einsetzen dürfen. Am 26. Februar haben polnische und deutsche Landwirt*innen die A2 bei Frankfurt an der Oder blockiert und für erhebliche Verkehrsbehinderungen gesorgt. Einen Tag vorher wurden an der polnisch-ukrainischen Grenze mit Getreide geladene Eisenbahnwaggons, welche auf dem Weg zum Hafen in Danzig waren, geöffnet und ca. 160 Tonnen Getreide vernichtet. Dieser Vorfall ist nicht der erste Fall von Vandalismus an polnischen Bahnhöfen, der sich gegen Getreidetransporte richtet. Zudem werden schon seit mehreren Wochen polnische Grenzübergänge zur Ukraine blockiert.
Politische Erfolge wurden durch die Proteste schon erreicht. Am 13. Februar hat die EU-Kommission ohne Mehrheit der EU-Staaten eine Umweltauflage über brachliegende Ackerflächen, welche eigentlich ab dem 1. Januar 2024 galt, rückwirkend ausgesetzt. Außerdem sind weitere Zugeständnisse geplant, unter anderem die Rücknahme eines Gesetzesentwurfs zur Einschränkung von Pestiziden oder Vereinfachungen bei der Betriebsdokumentation. Abzuwarten ist, ob sich die Landwirt*innen mit dem Entgegenkommen der EU-Kommission zufriedenstellt oder die Proteste weitergehen werden. Eine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen Lage vieler Bauernhöfe wäre wahrscheinlich vor allem eine gerechtere Verteilung der Subventionen und ein besserer Schutz der EU-Landwirtschaft vor Agrarimporten aus Südamerika und Afrika.