Es ist so weit. Jetzt sitze ich im Bus und fahre nach Strasbourg, meiner Destination für das Erasmus-Auslandssemester, das im IES-Studiengang obligatorisch ist. Frankreich habe ich hauptsächlich gewählt, da ich mein Französisch endlich auf ein akzeptables Niveau bringen möchte und die Geschichte der Stadt auch sehr interessant klang. Das akademische Angebot gab mir dann den entscheidenden Ruck, mich in der Fakultät der Sozialwissenschaften in Strasbourg zu bewerben. Meine Gedanken überschneiden sich dennoch in einem Wechselspiel, als träten sie miteinander in einen Dialog. Herzliche Vorfreude auf neue Freundschaften, Erlebnisse und eine neue Universität sind unterlegt von grübelnden Gedanken an die zurückgelassene Wohnung, Freunde und Familie.
Erasmus: Das Programm, von dem Jede und Jeder so begeistert spricht und was innerhalb Studierendenkreisen in Europa als völlig normal angesehen wird. Heute ist Erasmus das weltweit größte Förderprogramm von Auslandsaufenthalten an Universitäten, innerhalb und sogar (mit Erasmus Mundus) außerhalb Europas. Seit 2014 ist Erasmus mit anderen EU-Programmen zusammengelegt worden und nennt sich jetzt „Erasmus+ für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport“ und fördert vielfältige Auslandsaufenthalte von Studien bis hin zu Praktika und Ausbildungen. So erhalten bis heute Millionen von jungen Menschen die Möglichkeit, sich innerhalb der EU weiterzubilden und neue Perspektiven und Kompetenzen zu erlangen. Aber seit wann ist das überhaupt möglich, seine sieben Sachen zu packen und für bis zu ein Jahr ins Ausland zu gehen? Wie kam es zu der Einführung dieses Programms, einer der heutigen „Säulen“ der EU? Diese und einige weitere Fragen möchte ich mit diesem Blog-Beitrag etwas näher betrachten.
Habt ihr schon einmal von Desiderius Erasmus von Rotterdam gehört? Vielleicht hat dieser Name peripher einmal meine Ohren gestreift, doch weitere Beachtung fand er von meiner Seite tatsächlich nicht. Es handelt sich hierbei um einen niederländischen Universalgelehrten; einen gebildeten Humanisten aus der Renaissance. Er wird oft mit der Namensgebung des Projektes in Verbindung gebracht, doch in Wirklichkeit ist der Name ein Akronym folgender Bezeichnung: „EuRopean Community Action Scheme for the Mobility of University Students“. Tatsächlich hat eine italienische Erziehungswissenschaftlerin namens Sofia Corradi diese Initiative am 15. Juni 1987 durch den Beschluss 87/327/EWG des Rats der Europäischen Union ins Leben gerufen. Somit lässt sich dort das Gründungsjahr des ersten Erasmusprogramms verorten.
Das Ziel hierbei war eine Europäisierung der Universitäten. Dieses erste Austauschprogramm für Hochschulstudierende umfasste ungefähr 3000 Studierende aus elf verschiedenen Ländern Europas, darunter beispielsweise auch Deutschland und Frankreich. Das vorgenommene Ziel einer Europäisierung, so empfinde ich, hat dieses Programm bis heute sehr gut umgesetzt. Denn die Mobilität der Studis bedeutet auch die persönliche Entwicklung von interkulturellen Kompetenzen und Verständnis, welche im späteren beruflichen Umfeld von großer Bedeutung sein werden.
Heute liegt der bürokratische Hauptfokus des Programms auf dem ECTS (European Credit Transfer System) und der finanziellen Unterstützung der Studierenden während ihres Aufenthaltes im Gastland. Das beträchtliche Budget des Programms stammt aus dem Haushalt der EU, der durch die Beiträge der Mitgliedsländer finanziert wird. Der individuelle Förderungsbeitrag pro Person für die jeweiligen Länder hängt vor allem von der Zahl der Erasmus-Studierenden des jeweiligen Jahres ab.
Ein kleiner Exkurs: Erasmus fördert die internationale Liebe?
Eine Studie aus dem Jahr 2014 besagt, dass viele Erasmus-Studierende im Ausland nicht nur ihre Bildung vorantreiben, sondern auch häufig Liebesbeziehungen eingehen, die oft sogar zur Eheschließung und gemeinsamen Nachwuchs führen. Doch Erasmus bietet nicht nur romantische Möglichkeiten. Untersuchungen des Arbeitsmarktes (Online-Umfragen in über 30 europäischen Ländern; mit über 75.000 Teilnehmer/innen) in Europa ergaben, dass Arbeitgeber Auslandserfahrungen wertschätzen, da sie mit Kompetenzen wie Toleranz, Selbstvertrauen und Entscheidungsfreudigkeit einhergehen würden, und somit zu besseren Arbeitschancen führen. Fünf Jahre nach dem Abschluss sei die Arbeitslosenquote bei Erasmus-Studierenden um 23% niedriger. Aber es bedarf wohl auch einer neueren Statistik als der von 2014, um heutzutage über solche Aussagen genauer zu urteilen.
Resümierend möchte ich noch einmal den Mehrwert des Programms betonen. Erasmus+ ist auch eine Reise durch die Geschichte und die Zukunft Europas. Durch das Leben in einem anderen Land lernt man zum einen seine Geschichte kennen, zum anderen die Zukunftsvisionen der Menschen, die dort leben. Kultur-, Sprach- und Wissensaustausch sind daher grundlegend für das Programm, das sich, 1987 ins Leben gerufen, zu einer der bedeutendsten Initiativen für die europäische Bildung und Mobilität entwickelt hat. Außerdem führt das Erasmus+ Programm nicht nur zu persönlichem Wachstum und neuen Freundschaften, sondern ermöglicht auch eine tiefere Verbindung zur europäischen Identität. Erasmus ist somit ein Wegbereiter für eine vernetzte und global orientierte Bildungsgesellschaft, die die Zukunft Europas gestaltet. Meiner Meinung ist es das beste Programm, was die EU je hervorgebracht hat. Und eines der Wenigen, die einigermaßen reibungslos verlaufen.
Was haltet ihr von dem Programm? Habt ihr Erfahrungen oder Fragen, die ihr in den Kommentaren teilen möchtet? Ich freue mich auf eure Beiträge.
Meine Auslandserfahrung, die ich allerdings nicht als Studentin sondern als Ehefrau eines Angestellten sammeln konnte, war rundherum positiv. Ich bekam mein zweites Kind dort und erlebte Kiga und Schule und eine positive Aufnahme in der Nachbarschaft. Ich würde jedem empfehlen, einmal im Leben in einem anderen Land gelebt zu haben. Es erweitert den Horizont, die Sprachkenntnisse und lässt Freundschaften über die Grenzen entstehen und einen Blick aufs eigene Herkunftsland von außen entstehen.
Auslandserfahrung für jeden Schüler würden die Angst vor Fremde, anders aussehende und andere Lebensformen nehmen, Verständnis entwickeln..
Ich kam vor 14 Jahren mit einem Erasmus-Stipendium nach Deutschland. Ich lernte meinen Ex-Mann kennen, der aus Brasilien stammte. Meine beiden Kinder wurden hier geboren. Ich komme aus einem kleinen Dorf in Spanien. Das Interessante an den Erasmus-Stipendien ist, dass …Europa sehr heterogen ist…es gibt nicht nur Europäer. Es gibt Menschen aus der ganzen Welt, und das öffnet unseren Geist. Ein offener Geist ist die beste Medizin gegen Unwissenheit. Abgesehen von meinem Spracherwerb bewundere ich, dass sowohl meine Kinder als auch ich eine Sichtweise mit unterschiedlichen Perspektiven auf die Welt haben, in der wir leben.