Mein Interesse für Sport geht gegen Null, weshalb ich bisher noch kein Stadion von innen gesehen habe. Nun finde ich mich aber in der Žalgirio Arena wieder. Žalgiris ist das Basketballteam der litauischen Stadt Kaunas, das an diesem Abend gegen das Team aus Lyon spielt. Wie bin ich denn hier gelandet? Der erfolgreichste Basketballverein in Litauen ist auch das Lieblingsteam meines Freundes. Zum Verständnis: Basketball hat in Litauen einen Stellenwert vergleichbar mit dem des Fußballs in Deutschland. Oder anders formuliert: Möchte man das Land näher kennenlernen, kommt man um diesen Sport nicht herum!
Der Name des 1944 nach dem Ende der deutschen Besatzung gegründeten Vereins ist historisch begründet. So bedeutet „Žalgiris“ übersetzt Grunwald. Hier soll 1410 die Schlacht bei Tannenberg stattgefunden haben, in welcher das Königreich Polen und das litauische Großfürstentum den Deutschen Orden besiegten, was dessen Niedergang und den Aufstieg Polen-Litauens zur europäischen Großmacht markierte. „Žalia-balta“ (Grün-weiß) sind daher auch die Farben des Vereins, die wir uns – als echte Fans – vor dem Eingang zum Stadion von Mitarbeiter*innen ins Gesicht malen lassen.
Dass Basketball in Litauen eine große gesellschaftliche Relevanz hat, davon war ich überzeugt, nachdem ich den litauisch-US-amerikanischen Dokumentationsfilm „The Other Dream Team“ gesehen hatte. So wurde auch ich vom Basketballfieber angesteckt. Der Dokumentarfilm erzählt die Geschichte der ersten Nationalmannschaft nach der Unabhängigkeit, welche neben dem US-amerikanischen „Dream Team“ 1992 in Barcelona zum ersten Mal an den olympischen Spielen teilnahm. Da es dem Team in den Wirren der Transitionszeit an Geld fehlte, erklärte sich die US-amerikanische Rockband „The Greatful Dead“ bereit, das Team zu sponsern, inklusive spektakulärer knallbunter Batik-Trikots, die in die Geschichte des Basketballs eingehen sollten (und in den 90er Jahren so kultig waren, dass man sie heute in Serien wie „Friends“ wiederfindet).
Der Regisseur Marius Markevicius wirft auch einen Blick zurück und zeichnet ein Bild des Unabhängigkeitskampfes aus Perspektive des Sportes. Litauische Basketballlegenden, unter anderem Arvydas Sabonis und Šarūnas Marciulionis, berichten von durch den KGB begleiteten Auslandsreisen in den Westen, bei denen sie als Russen eingeordnet wurden. Die beiden Spieler waren Teil der sogenannten „Goldenen Generation“, die zunächst in der UdSSR, später für Litauen große Erfolge erzielten. 1988 gewannen sie als Teil des sowjetischen Teams die olympischen Spiele; vier der fünf Spieler*innen der Startbesetzung stammten aus Litauen (damalige Litauische Sowjetrepublik). Im Film erklären sie, welche Bedeutung das erste eigene litauische Team für sie hatte und wie 1992 in Barcelona das Spiel gegen das „Unified Team“ um die Bronzemedaille zum entscheidenden Moment wurde. Das Unfied Team hatte sich aus Teilnehmer*innen aller ehemaligen Sowjetrepubliken außer den drei baltischen Staaten gebildet. Dieses Spiel hatte daher eine große symbolische Bedeutung inne. Wer wissen möchte, wie dieses ausging, findet den gesamten Film hier.
Am Ende kann das Team aus Kaunas das Spiel mit einem Punktestand von 85:67 für sich entscheiden. Die Zuschauer*innen rufen in Sprechchören „Aciū!“ (Danke) und verlassen gut gelaunt das Stadion. Für viele geht es sicherlich in die nächste Kneipe, im Stadion selbst herrscht nämlich Alkoholverbot. Ich habe das Gefühl, durch den Besuch des Basketballspiels eine Menge neue Erkenntnisse gewonnen zu haben. So weiß ich jetzt: litauischer Basketball ist politisch und Mitleid mit dem gegnerischen Team völlig unangebracht!