Es gibt unterschiedliche Medien, in denen das kulturelle Gedächtnis archiviert ist. Um auf dieses Speichergedächtnis zuzugreifen, kann man in Archive gehen, man kann Bücher und andere Texte lesen, man kann auch mit ZeitzeugInnen sprechen. Oder man kann spielen.

Die Welt der Spiele ist umfangreich, nicht zuletzt die der Computerspiele wächst täglich. Nun bin ich keine eingefleischte Zockerin. Weder Egoshooter noch Jump-and-Run-Spiele sind meins. Neben der einen oder anderen Patience zwischendurch gibt es ein paar Point-and-Click-Spiele, in deren ganz eigene Welt ich mich gelegentlich gern versenke. Die abgedrehten Sprüche von Guybrush Threepwood aus der „Monkey Island“-Reihe sind mir ähnlich positiv in Erinnerung wie der Hamster in der Zeitmaschine bei „Day of the Tentacles“. Auch in den Müllbergen von „Deponia“ hatte ich viel Spaß, ebenso bei den durchgeknallten Rätseln in „Harveys neue Augen“. All diesen Spielen ist über den schrägen Humor eins gemein: Mein Spielen diente keinem anderen Zweck als dem reinen Vergnügen.

Lässt sich dieser Spaßfaktor mit dem informativ-didaktischen Ziel des Erinnerns an problematische Ereignisse verbinden? Dieses Ziel hat sich das Entwicklerteam Charles Games gesetzt, das zusammen mit HistorikerInnen der Prager Karlsuniversität das Spiel „Svoboda 1945: Liberation“ entworfen hat. Der reißerische Titel ist mehrdeutig. Zum einen ist der Ortsname Svoboda – es gibt in Tschechien mehrere Siedlungen mit diesem Namen – zugleich das tschechische Wort für “Freiheit”. Zum anderen ist die Handlung des Spiels im Jahr 1945 und rund um die Befreiung von der deutschen nationalsozialistischen Besatzung durch die Rote Armee angesiedelt. Dass für die Tschechoslowakei die Eingliederung in den sowjetisch dominierten Ostblock später eher als Ablösung einer Okkupation durch eine andere gesehen wurde, ist eine andere Frage.

Ich habe “Svoboda 1945: Liberation” durchgespielt – die ca. drei Stunden Spieldauer sind aufgeteilt auf drei Abende rasch bewältigt – und dabei einiges über deutsch-tschechische Geschichte gelernt.

Um mit den BewohnerInnen von Svoboda zu sprechen, klickt man auf das jeweilige Foto. Die gezeichnete Ortsansicht wird dann von einem gefilmten Interview abgelöst.

Als Denkmalschützer komme ich im Jahr 2001 in die tschechische Stadt Svoboda mit dem Auftrag, ein Gutachten über ein altes Schulgebäude zu erstellen. Der Historiker des Ortes Josef Studnicka möchte das Gebäude erhalten, in dem, wie ich im Laufe des Spiels erfahre, kurz vor der Befreiung der Stadt Ende des Zweiten Weltkriegs ein Junge von Soldaten der Wehrmacht erschossen wurde. Andere Bewohner des Ortes sind weniger an der Geschichte interessiert. Sie finden, wie etwa der Landwirtschaftsunternehmer Alois Klepal, die Schule solle abgerissen und durch Wirtschaftsgebäude ersetzt werden.

Ansprechend und gut gemacht ist die Kombination verschiedener Bildtypen. Es gibt Filmsequenzen, in denen zum Beispiel die Anfahrt zum Dorf gezeigt wird. Auch für die Gespräche, die im Multiple-Choice-Verfahren laufen, wurden SchauspielerInnen gefilmt. Rückblicke folgen dem Stil von bewegten Graphic Novels. Sie sind schwarz-weiß gehalten und berichten beispielsweise von der Vertreibung deutscher Familien aus Svoboda nach dem Zweiten Weltkrieg.

Zeichentrickcharakter haben auch die kleinen Zwischenspiele. So muss ich in der Kneipe mit anderen Gästen beim 17 und 4 gewinnen, um von ihnen mehr über die Skepsis gegenüber nach 1945 zugezogenen Wolhynien-Tschechen zu erfahren. Ein andermal muss ich Chemikalien abmessen und in der richtigen Reihenfolge miteinander vermischen, um ein Foto zu entwickeln.

Zehn Gramm mehr, fünf Gramm weniger – wenn ich richtig abgewogen habe, kann ich die Negative entwickeln.
Wenn ich auf “Lesen” klicke, wird die deutsche Übersetzung des tschechischen Dokuments angezeigt.

Josef Studnicka ist gern zu einem Gespräch bereit. Als der Krieg zu Ende ging, war er noch ein kleiner Junge.

Wie sich herausstellt, zeigt ein Bild, das ich auf dem Dachboden des Schulgebäudes finde, meinen Großvater. Dass er nach dem Krieg an der brutalen Vertreibung der Sudetendeutschen aus Svoboda beteiligt gewesen war, wusste meine Familie nicht, wie ein Telefonat mit meiner Mutter ergibt.

Kaum bin ich richtig in der Welt von Svoboda angekommen, ist das Spiel aber auch schon zu Ende. Ich werde nach meiner Empfehlung für die Schule gefragt – im Sinne des Denkmalschutzes spreche ich mich für den Erhalt des Gebäudes aus – und da kommt schon der Abspann.

Das Spiel ist insgesamt zu kurz, um richtig einzutauchen. Die Aufgaben sind sehr leicht. Immer wieder sind relativ lange Text zu lesen, beispielsweise historische Akten. An diesen Stellen schlägt der Spielspaß endgültig in Arbeit um. Man muss den Inhalt der Dokumente nicht verinnerlichen, um das Spiel abzuschließen. Aber dafür, sich nur die Zeit spielend zu vertreiben, ist die Thematik zu ernst.

Charles Games haben inzwischen mehrere historisch angelegte Spiele zum Thema des Zweiten Weltkriegs entwickelt. Anscheinend sind Bedarf und Interesse vorhanden.  

„Svoboda 1945“ bleibt ein merkwürdiger Zwitter. Die Kombination aus Spiel und Erinnerung ist ein Spagat, der hier nicht so ganz gelingt. Vielleicht sind da andere Projekte in der Zukunft erfolgreicher.