„Two French women, a couple, boxed into the face because they woudn´t have a threesome with the man.“
Die Nachricht von zwei verletzten Frauen finde ich mal wieder in meinen Nachrichten. Nach den fast schon zwei Jahren immer noch erschreckende Bilder. Verängstigte Blicke, blutende Nase, blutüberströmtes Gesicht. Paris. Irgendetwas in mir muss sich zwei Mal durchlesen, wo sich das genau abgespielt hat. Reines Pech hatte das junge Paar, im Bus gefangen und keinen Ausweg vom Angreifer. Reiner Zufall. Keine Chance vorbereitet zu sein. In den Kommentaren finden sich dutzende Nachrichten: Der Angreifer wird als krank beschrieben, Menschen seien entsetzt, ein paar weinende Smileys. Das wären aber auch nicht alle Pariser, schreibt eine mitleidige Stimme. Hier wären alle tolerant. Schnell ein Wisch nach links. „Neues Gesetz in Ungarn: Homosexualität als Feindbild“. Alles was nicht heterosexuell oder Cis-Gender ist, soll per Gesetz aus der ungarischen Öffentlichkeit quasi verschwinden. Ich muss schlucken und drehe mich um- eigentlich wollte ich doch gerade nicht auf Instagram versinken, sondern mit meiner Freundin Reisedaten ausmachen. Zusammen wollen wir beide bald auf Interrail-Tour. Seit zwei Jahren steht die Idee im Raum über Tschechien nach Kroatien und über Ungarn, der Slowakei und Polen zurückzufahren. Restaurants, Museen- wir lieben es zu planen und sind seit Wochen aufgeregt. Die Packliste ist geschrieben, nur unser Interrailplaner muss eingerichtet werden. Doch seit ein paar Tagen grüble ich. Es fing mit dem Thema Pfefferspray an, das wir noch kaufen wollen. Pfefferspray und Sicherheit. Als Grüblerin und weibliches Wesen ist mir das Thema nicht fremd und auch der Gedanke über mögliche Risiken nicht neu. Aber wir müssen uns noch weitere Fragen stellen:
Wenn ich mit meiner Freundin aufgeregt unsere Zug-Tour durch Europa plane, zusammen auf dem Teppich Chips esse und Wehrungen umrechne- da kann ich das ausblenden. Es klingt vielleicht schräg- aber in diesen Momenten sind wir nichts politisches, nichts außergewöhnliches. Wir sind wir, Chipskrümel und Rückenschmerzen inklusive. Die Welt blenden wir aus und träumen gemeinsam. Ich habe Bilder von mir und meiner Freundin im Kopf, wie wir die Städte kennenlernen und uns ein eigenes Bild machen. Schließlich ist es unser Ziel, Europa kennenzulernen. Mehr zu sehen als die italienischen Partygegenden und den begehrten bulgarischen Goldstrand. Mehr zu sehen als das es deutsche Medien zulassen. Aber dann, wenn wir aus der WG gehen, auf die Straße- da wird es deutlich. Da sind wir nicht nur die, die Chips essen und grinsend unsere Reise planen. Es fängt mit den Blicken an: Blicke auf unsere Hände gerichtet, dann unser Gesicht: Manche grinsen fröhlich, manche gucken irritiert. Ich merke wie ich manchmal rot werde, unangenehm berührt. Starre meine Freundin kurz an. Immer wieder die selbe Erinnerung: Wir sind queer. Diese Beziehung fällt auf und diese Beziehung eckt an. So gut es geht haben wir uns daran gewöhnt. Wir hören auf unser Bauchgefühl, auf das Umfeld. Machen manchmal Witze, haben beide kecke Antworten für unangenehme Typen parat. Fast sowas wie eine Routine. Aber im Urlaub? Reiseidylle lässt sich schlecht mit der Realität verbinden. Die Realität sind Fragen wie: Wo können wir ein Paar sein? Wo sollten wir es lassen? Sollten wir wirklich von kroatischen Kleinstädten träumen, wenn die Realität vermutlich weniger romantisch für uns aussehen wird? Die französischen Frauen tauchen wieder in meinem Kopf auf. PARIS. Für mich fast wie eine Symbolik der Toleranz, der Übergriff so zufällig und brutal. Es zeigt erneut, dass Europa ein Problem mit Selbstdarstellung hat. Klar ist Ungarn bewiesenermaßen kein Paradies für queere Flitterwochen, aber mit Sicherheit in Westeuropäischen Ländern hängt das nicht zusammen. Fast deprimierend, dass unsere Zeit eigentlich immer durch Zufall geprägt ist und es nirgendwo eine homophobiefreie Zone gibt. Egal wie viele Regenbogenfahnen im Juni hochgehalten werden, schräger Gay-Adventure-Reiseführer hin oder her. Und ja, ich würde hier jetzt gerne ein mutiges Statement zum Abschluss schreiben, einen beeindruckenden und lässigen Aufruf zu mehr Gerechtigkeit. Aber hier auf dem Teppich in der Bahnhofsvorstadt mit meinem Trackingrucksack im Blick, habe ich nichts mutiges zu sagen und erst recht keine Antworten auf die Fragen, die wir uns noch stellen müssen. Vorfreude, Lebensfreude, etwas Angst, Wut. Viele Gefühle, viele Sorgen, viele Gedanken. Und zum Glück die Chips.