Bis auf die Anhöhen um den Lago Maggiore erstrecken sich Locarno und die angrenzenden Nachbarorte.

Locarno – Gelegen am nördlichen Ufer des Lago Maggiore, unterscheidet sich das kleine Städtchen auf den ersten Blick nicht von anderen des schweizerischen Kantons Tessin. Doch hinter dem Ortsnamen verbirgt sich ein historisches Datum, ohne das ein modernes Europa möglicherweise nicht denkbar wäre.

Wendet man der Seeuferpromenade den Rücken zu, erblickt man sogleich den historischen Ortskern Locarnos. Hier lässt sich, auch bedingt durch das milde Klima, ein Hauch von Italien erahnen. Über eine von Palmen und Kamelien gesäumte Allee gelangt man schließlich zur Piazza Grande. Was einst verlandete Hafenmole, ist heute Herzstück Locarnos. Grau ist die großzügig angelegte Piazza vom Kleinkopfsteinpflaster. Bunt von den alten Geschäfts- und Hotelgebäuden, deren hohe Arkadengänge mit ihren zahlreichen Cafés zum Verweilen einladen. Einige dieser Säulengänge, zusammen mit den im oberen Stockwerk anschließenden, im Stil der Renaissance gestalteten Rundbogenfenstern waren eine bewusste Hommage an die einstmalige Herrschaft der Mailänder Visconti. Nahezu alle der die Piazza Grande umgebenden Gebäude entstammen dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, der „großen Zeit“ Locarnos. Mit dem Ausbau des Verkehrsnetzes wurde Locarno ab den 1870er Jahren zunehmend leichter erreichbar. Die Haute Société reiste schließlich von Nord und Süd an, Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt. Bis in die späten 1960er zog es neben wohlhabenden Unternehmern und anderen Touristen insbesondere literarische Größen des deutschen Sprachraums nach Locarno und dessen Umland. Gerhart Hauptmann, Hermann Hesse, Erich-Maria Remarque, Golo Mann und Max Frisch waren einige von ihnen, die in der Südschweiz Inspirationen zur Niederschrift ihrer Werke sammelten.       

Vor der Seeuferpromenade Locarnos erheben sich die Bergmassive des Tessins.

„Die Locarnesen waren sehr guter Laune, es war soeben Locarno als Sitz für die Diplomatenkonferenz erwählt worden, und die Stadt ging daran, sich zu erneuern und zu schmücken. Es war eine Pracht …“                                                                          Hermann Hesse (1877-1962)

Möglicherweise war es diesem Renommee Locarnos zu verdanken, dass es nach dem Ersten Weltkrieg zum Austragungsort von Verhandlungen um ein friedliches Nachkriegseuropa auserkoren wurde.  Auf Initiative Gustav Stresemanns traten vom 5. bis zum 16. Oktober 1925 der deutsche Reichskanzler Hans Luther, die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Belgiens, Polens, der Tschechoslowakei sowie Benito Mussolini als Vertreter ihrer Nationen zusammen. Die Verhandlungen zwischen den Staaten hatten zum Ziel, „gemeinsam die Mittel zum Schutz ihrer Völker vor der Geißel des Krieges zu suchen und für die friedliche Regelung von Streitigkeiten jeglicher Art … zu sorgen“, wie es die Präambel des Vertrags-Textes verlauten lässt. Um den außenpolitischen Spannungen entgegenzuwirken, die aus den Versailler Friedensverträgen entstanden waren, sollten sich die Nationen auf Garantiepakte mit der Weimarer Republik einigen. Beabsichtigt war hiermit eine Garantie der deutschen Außengrenzen gegenüber den westlichen und östlichen Nachbarstaaten. Die Verträge von Locarno führten dabei nicht nur zur Teilgarantie der territorialen Grenzen, wie sie aus den Versailler Friedensverträgen hervorgegangen waren. Auch wurde die Weimarer Republik auf die Aufnahme in den Völkerbund vorbereitet.

Bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten wirkte der „Geist von Locarno“ in der internationalen Politik nach. 1926 wurde Deutschland als ständiges Mitglied in den Völkerbund aufgenommen, die militärische Besetzung des Rheinlandes 1930 endgültig aufgehoben. Die europäischen Staaten initiierten so einen Annäherungsversuch zu einer auf Egalität basierenden europäischen Friedensordnung. Das politische Klima, das aus den Verträgen von Locarno hervorging, gewährte erstmals die ernsthafte Erwägung einer europäischen Föderation. Gemeinsam mit Gustav Stresemann konnte Aristide Briand so 1929 vor dem Völkerbund die Vision eines föderalen Europas der internationalen Politik darlegen: „Ich glaube, dass es zwischen geografisch zusammengehörigen Völkern wie den Völkern Europas eine Art föderales Band geben muss.“