Gesammelte Lieblingszitate

Für konkrete, tatkräftige Solidarität

„Ich kann übrigens auch nicht behaupten, dass ich ihn kenne. Aber man muss sich gegenseitig helfen.“ (19471, 2013: 27)

„Was ich hasse, sind der Tod und das Böse, das wissen Sie ja. Und ob Sie wollen oder nicht, wir sind zusammen da, um sie zu erleiden und zu bekämpfen.“ (19471, 2013: 248f.)

Nach einem Schweigen richtete sich der Arzt etwas auf und fragte, ob Tarrou eine Vorstellung von dem Weg habe, den man einschlagen müsse, um zum Frieden zu kommen. „Ja, Mitgefühl.“ (19471, 2013: 289)

Tarrou murmelte, es sei nie vorbei und es werde noch mehr Opfer geben, weil es unvermeidlich sei. „Vielleicht“, antwortete der Arzt, „aber wissen Sie, ich empfinde mehr Solidarität mit den Besiegten als mit den Heiligen. Ich glaube, ich habe keinen Sinn für Heldentum und Heiligkeit. Was mich interessiert, ist, ein Mensch zu sein.“ (19471, 2013: 290)

„Ich sage nur, dass es auf dieser Erde Plagen und Opfer gibt und dass man sich, so weit wie möglich, weigern muss, auf Seiten der Plage zu sein. Das erscheint Ihnen vielleicht etwas simpel, und ich weiß nicht, ob es simpel ist, aber ich weiß, dass es wahr ist. Ich habe so viele Diskussionen gehört, die mir fast den Kopf verdreht hätten und die genügend andere Köpfe verdreht haben, bis sie dem Morden zustimmten, dass ich verstanden habe, dass das ganze Unglück der Menschen entsteht, weil sie keine klare Sprache sprechen. Da habe ich den Entschluss gefasst, klar zu sprechen und zu handeln, um auf den richtigen Weg zu kommen. Folglich sage ich, dass es Plagen und Opfer gibt, und sonst nichts. Wenn ich damit selbst zur Plage werde, stimme ich dem wenigstens nicht zu. Ich versuche ein unschuldiger Mörder zu sein. Wie Sie sehen, bin ich nicht sehr ehrgeizig. Es sollte natürlich eine dritte Kategorie geben, die der wahren Ärzte, aber von denen findet man nicht viele, und es muss schwer sein. Deshalb habe ich beschlossen, mich bei jeder Gelegenheit auf die Seite der Opfer zu stellen, um den Schaden zu begrenzen. Unter ihnen kann ich wenigstens danach suchen, wie man zur dritten Kategorie kommt, das heißt zum Frieden.“ (19471, 2013: 288f.)

 

Menschliches und Allzumenschliches im Angesicht des Übels

Aber während noch geredet wurde, verschlechterte sich das Wetter. (19471, 2013: 39)

Wie unsere Mitbürger nun merken sollten, hatten sie nie gedacht, dass unsere kleine Stadt ein besonders geeigneter Ort sein könnte, wo die Ratten in der Sonne sterben und die Concierges an seltsamen Krankheiten zugrunde gehen. In dieser Hinsicht befanden sie sich genaugenommen im Irrtum und mussten ihre Vorstellungen revidieren. Wenn damit alles sein Bewenden gehabt hätte, wären sie sicher zu ihren Gewohnheiten zurückgekehrt. Aber andere unter unseren Mitbürgern, die nicht immer Concierges und auch nicht arm waren, mussten denselben Weg gehen, den Monsieur Michel als Erster genommen hatte. Von diesem Moment an begann die Angst und mit ihr das Nachdenken. (19471, 2013: 30)

Während die Pest durch die wirkungsvolle Unparteilichkeit, mit der sie schaltete und waltete, die Gleichheit unter unseren Mitbürgern hätte verstärken sollen, verschärfte sie durch das natürliche Spiel des Egoismus in den Herzen der Menschen noch das Gefühl von Ungerechtigkeit. (19471, 2013: 269)

„Herr Doktor“, sagte Rambert, „ich gehe nicht weg, ich will bei Ihnen bleiben.“ […] Rambert sagte, er habe noch einmal darüber nachgedacht  und glaube weiterhin, was er geglaubt habe, aber wenn er wegginge, würde er sich schämen. Und das würde ihn in seiner Liebe zu der Zurückgelassenen stören. Aber Rieux richtete sich auf und sagte mit fester Stimme, das sei Blödsinn, man brauche sich nicht zu schämen, wenn man das Glück vorziehe. „Ja“, sagte Rambert, „aber man kann sich schämen, wenn man ganz allein glücklich ist.“ Tarrou, der bisher geschwiegen hatte, wies, ohne den Kopf zu wenden, darauf hin, dass Rambert nie wieder Zeit für das Glück haben werde, wenn er das Unglück der Menschen teilen wolle. Er müsse wählen. (19471, 2013: 236)

„Entschuldigen Sie, Rambert“, sagte [Rieux] , „aber ich weiß es nicht. […] Nichts auf der Welt ist es wert, sich von dem abzuwenden, was man liebt. Und doch wende auch ich mich ab, ohne dass ich weiß, warum.“ Er ließ sich in sein Polster zurücksinken. „Es ist ganz einfach eine Tatsache“, sagte er müde. „Nehmen wir sie zur Kenntnis und ziehen wir die Konsequenzen daraus.“ „Welche Konsequenzen?“, fragte Rambert. „Ach, man kann nicht gleichzeitig heilen und wissen“, sagte Rieux. „Also lassen Sie uns so schnell wie möglich heilen. Das ist das Dringendste.“ (19471, 2013: 237)

„Für die Verpesteten ist der Schlaf der Menschen heiliger als das Leben. Man darf die biederen Leute nicht am Schlaf hindern. Das wäre geschmacklos, und Geschmack besteht darin, nicht nachzufragen, das weiß man ja. Aber ich habe seitdem nicht mehr gut geschlafen.“ (19471, 2013: 285)

Galgenhumor…

„Du hast doch Camps gekannt“, sagte der eine. „Camps? Ein Großer mit schwarzem Schnurrbart?“ „Genau. Er war im Stellwerk.“ „Ja, natürlich.“ „Tja, er ist gestorben.“ „Ach, und wann?“ „Nach der Geschichte mit den Ratten.“ „Sag bloß! Was hatte er denn?“ „Ich weiß nicht, Fieber. Und außerdem war er nicht kräftig. Er hatte Geschwüre unterm Arm. Er hat es nicht überstanden.“ „Dabei sah er doch ganz normal aus.“ „Nein, er war schwach auf der Brust, und er spielte im Musikverein. Immer in ein Horn blasen, das zermürbt.“ „Tja“, schloss der Zweite, „wenn man krank ist, soll man nicht in ein Horn blasen.“ Nach diesen wenigen Angaben fragte sich Tarrou, warum Camps gegen sein offensichtliches Interesse in den Musikverein eingetreten war und welche tieferen Gründe ihn dazu bewogen hatten, sein Leben für sonntägliche Umzüge aufs Spiel zu setzen. (19471, 2013: 32)

Wir haben nie ausgelernt:

Während Rieux den Freudenschreien lauschte, die aus der Stadt aufstiegen, erinnerte er sich nämlich daran, dass diese Freude immer bedroht war. Denn er wusste, was dieser Menge im Freudentaumel unbekannt war und was man in Büchern lesen kann, dass nämlich der Pestbazillus nie stirbt und nie verschwindet, dass er jahrzehntelang in den Möbeln und in der Wäsche schlummern kann, dass er in Zimmern, Kellern, Koffern, Taschentüchern und Papieren geduldig wartet und dass vielleicht der Tag kommen würde, an dem die Pest zum Unglück und zur Belehrung der Menschen ihre Ratten wecken und zum Sterben in eine glückliche Stadt schicken würde. (19471, 2013: 350)