von Katharina Koch

Abb.1: Trottellummenküken kurz vor dem letzten Sprung von der Uferschutzmauer ins Meer,                                Foto: Katharina Koch

Auf Helgoland lässt sich jedes Jahr im Juni ein einmaliges Naturphänomen beobachten. Die Küken der Trottellummen stürzen sich in der Dämmerung von den 40m hohen Felsen ins Meer, bevor sie überhaupt fliegen können! Warum nehmen sie das auf sich und warum lässt sich dieser waghalsige Sprung in Deutschland ausschließlich auf Helgoland beobachten?

Wenn auf Helgoland im Juni die Sonne untergeht, werden nach und nach immer mehr hohe, piepsende Rufe laut. An den Felsen herrscht dichtes Gedränge, im Wasser rufen die männlichen Trottellummen und animieren ihre Küken den Sprung in die Tiefe zu wagen. Mit einem lauten Platschen kommen die kleinen Küken schließlich im Wasser auf und schwimmen eifrig den Altvögeln entgegen. Alljährlich lässt sich dieses einmalige Naturschauspiel, der Lummensprung, in Deutschland nur auf Helgoland beobachten.

Steile Klippen auf hoher See

Abb.2: Der Lummenfelsen auf Helgoland, Foto: Katharina Koch

Helgoland ist Deutschlands einzige Hochseeinsel. Rund 50km entfernt von der Schleswig-Holsteinischen Küste liegt die 1 km2 große Insel mitten in der Nordsee. Die Hauptinsel Helgolands besteht aus Buntsandstein. 40m hoch ragen die roten Klippen in die Höhe und bilden einen einzigartigen Lebensraum, den es so in Deutschland nirgendwo sonst gibt (1). Die steilen Felsen bieten Brutplätze für verschiedene Vogelarten. Basstölpel, Dreizehenmöwen, Tordalke, Eissturmvögel und Trottellummen brüten ausschließlich hier, in einem der kleinsten Naturschutzgebiete des Landes, dem Lummenfelsen. Nur hier finden sie die steilen Felsklippen vor, die sie zum Brüten brauchen. Daher lässt sich auch der Lummensprung in Deutschland nur hier beobachten.

Spitzen Taucher, schlechte Flieger

Abb.3: Trottellummenpaar auf einem Felsvorsprung, Foto: Katharina Koch

Die Trottellummen, schwarz-weiße, schlanke Vögel, mit spitz zulaufenden Schnäbeln, sitzen dicht gedrängt an den roten Felsen. 2020 brüteten 4243 Trottellummenpaare (2) auf den schmalen Felsvorsprüngen und derzeit werden es jedes Jahr mehr. Trottellummen verbringen den Großteil ihres Lebens auf dem offenen Meer, nur zum Brüten kommen sie an Land. Mit ihren verhältnismäßig kurzen Flügeln ist ihr Körper perfekt ans Tauchen angepasst. Unter Wasser fangen sie vor allem Fische, wie Heringsartige und Sandaale. Fliegen hingegen ist für die Hochseevögel sehr anstrengend und bedeutet einen hohen Energieaufwand. Sie wirken eher unbeholfen, wenn sie die hohen Felsen Helgolands anfliegen.  

 

Abb.4: Trottellummen im Anflug auf den Felsen, Foto: Katharina Koch

Dennoch nehmen sie diesen Kraftakt in Kauf, um sicher vor am Boden lebenden Räubern und im Schutz der Kolonie ihre Eier zu legen. Jedes Jahr kehren sie dafür an denselben Brutplatz zurück und legen häufig mit demselben Partner ein Ei direkt auf den Felsen. Das Ei ist birnenförmig und kann verschiedene Farben von weiß bis türkis haben. Ein Partner bleibt ab dem Moment der Eiablage ständig am Brutplatz und hält das Ei auf seinen Füßen, um es vor dem Abstürzen zu schützen. Währenddessen ist der andere Partner auf dem Meer, um Fische zu fangen. Ungefähr alle zwölf Stunden wechseln sich beide ab. Die Eiablage beginnt auf Helgoland meist Mitte April. Nach etwa 30 Tagen schlüpfen die kleinen Lummen (3). Die Eltern passen genau auf, dass die Kleinen dicht an der Felswand sitzen und nicht in die Tiefe stürzen.

Abb.5: Trottellummenküken mit Eltern am Felsen, Foto: Katharina Koch

Um die Küken nach dem Schlüpfen zu versorgen, muss ein Elterntier regelmäßig Fisch an den Felsen bringen. Im dünnen Schnabel der Trottellumme kann nur ein Fisch gleichzeitig transportiert werden, das macht die Versorgung der Küken sehr anstrengend. Nach ungefähr drei Wochen wird der Aufwand, das Küken am Felsen zu versorgen, zu groß und es wird Zeit für den Lummensprung.

 

Sprung in die Tiefe

Abends im Schutz der Dämmerung fliegt zunächst der männliche Partner ins Wasser und lockt mit lauten Rufen das Küken zum Sprung. Oft bedarf es einiger Zeit und einigen Überlegungen, bis das Küken den Sprung von den Klippen wagt, schließlich kann es zu diesem Zeitpunkt noch nicht fliegen. Ein dickes Polster aus Fett und dichten Federn sorgt dafür, dass das Küken den Sprung überlebt.

Abb.6: Lummenküken kurz vor der Beringung, Foto: Katharina Koch

Nicht alle Lummen schaffen den Sprung direkt ins Wasser. Viele landen auf oder hinter den Uferschutzmauern, die zum Schutz der Insel unter den Klippen gebaut wurden. Dort warten während der Zeit des Lummensprungs jeden Abend Mitarbeiter*innen der Vogelwarte Helgoland und des Vereins Jordsand, ausgerüstet mit Helm und Stirnlampe, um die gesprungenen Lummen zu zählen und diejenigen, die hinter der Mauer landen einzusammeln und zu beringen. Jedes Küken bekommt einen individuellen Metallring, der es ermöglicht einzelne Individuen wiederzuerkennen. Mithilfe von Beringungen lässt sich herausfinden wie alt die Vögel werden, ob sie in dieselbe Kolonie zurückkehren, aus der sie stammen oder wo sie den Winter verbringen. Anschließend werden die Küken vermessen und gewogen, um Informationen über den Fitnesszustand zu erhalten.

Danach wird die kleine Lumme über die Mauer gesetzt, um den letzten Sprung ins Meer zu wagen. Mit lauten Schreien finden sich der Elternvogel und das Küken, um gemeinsam aufs Meer hinauszuschwimmen. Dort ist der Aufwand die Küken mit Nahrung zu versorgen viel geringer als am Felsen. Nach 10 Wochen wird das Küken fliegen lernen und die kommende Zeit in der offenen Nordsee oder dem Nordatlantik verbringen, bis es hoffentlich in die Kolonie zurückkehrt, um im Alter von 4-5 Jahren selbst zu brüten.

Abb.7: Trottellummenküken auf dem Weg hinaus aufs Meer, Foto: Katharina Koch

Im Juni finden alljährlich die Lummentage in Kooperation der Gemeinde Helgoland, der Vogelwarte Helgoland und des Vereins Jordsand statt. Informationen zu Veranstaltungen und Führungen findet Ihr auf der Website des Vereins Jordsand und der Gemeinde Helgoland.

Weitere Informationen über die Vogelwarte Helgoland unter: https://ifv-vogelwarte.de/das-institut/standorte/inselstation-helgoland

Im Rahmen meiner Bachelorarbeit im Fach Biologie war ich von Anfang April bis Anfang Juli 2021 an der Vogelwarte Helgoland und habe täglich Trottellummen beobachtet, um herauszufinden wie viele Lummen tatsächlich brüten und wie groß der Anteil der nichtbrütenden Vögel in den Felsen ist.

Quellen:

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Helgoland

(2) Institut für Vogelforschung, Vogelwarte Helgoland

(3) Urs N. Glutz von Blotzheim et al. (1982), Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Band 8, Verlag für Wissenschaft und Forschung-Aula GmbH, Wiesbaden