Über Eisbohrkerne Teil I
Auf der Erde gibt es viel Eis und Schnee und das nicht nur im Winter – zumindest im Moment. An den Polen gibt es riesige Schilde aus Eis und dazwischen existieren viele kleinere und größere Gletscher auf hohen Bergen. In ihnen werden Geschichten bewahrt. Geschichten aus lang vergangenen Zeiten. Wie das geschehen ist und wie diese Geschichten an die Oberfläche geholt werden können, werden wir in diesem Artikel erfahren.
Dieser Artikel ist der erste von dreien aus der Reihe „Über Eisbohrkerne“. Viel Spaß!
Die Geschichte riesiger Bibliotheken aus Eis
Die Gletscher und Eisschilde der Erde bestehen aus Eis und Schnee. So weit, so gut. Ihre meist weiße und in der Sonne gleißend helle Oberfläche liegt malerisch eingebettet zwischen majestätischen Berggipfeln oder sie ist so riesig, dass weit und breit nur Schnee zu sehen ist. Wunderschön, aber auch spannend? Unfassbar spannend sogar! Denn unter dem Schnee schlummert ein immenser Schatz. Gletscher und Eisschilde sind unvorstellbar große Bibliotheken. Sie bewahren wertvolles Wissen über die Vergangenheit. Die Bücher in diesen Bibliotheken bestehen nicht aus Papier, sondern aus Eis. Sie werden Eisbohrkerne genannt.
Eisbohrkerne sind historische Bücher, die in den gefrorenen Bibliotheken schlummern und darauf warten, uns ihre Geschichte und damit etwas über die Geschichte der Erde zu erzählen. An den Geschichten der Eisbohrkerne wird immer weitergeschrieben. Bis zuletzt, bis zu dem Tag, an dem sie gebohrt werden. Die Natur lernte das Schreiben lange bevor die Menschen es lernten. Sie lernte es sogar lange, bevor es Menschen überhaupt gab. Nicht alle Schriften blieben erhalten, doch manche Eiskern-Bücher reichen unglaublich weit in die Vergangenheit zurück. Das heißt, sie warten schon ganz schön lange darauf, dass jemand ihre Sprache entschlüsselt und versteht, wovon sie erzählen wollen. Wir Menschen sind auf ihre Spur gekommen und beginnen, ihre Sprache zu lernen.
Wie funktioniert diese Sprache? Und wie können wir sie lesen? Das lernen wir im zweiten Artikel. Zuerst müssen wir uns der Frage widmen: Wie kommen wir an ein Buch aus diesen riesigen Bibliotheken? Gibt es Eis-Bibliothekar*innen, die wir einfach fragen können?
Die Suche nach dem Buch
Nein, so einfach ist es wohl nicht. Eis-Bibliothekar*innen wurden noch nicht entdeckt. Wir müssen es selbst in die Hand nehmen und wie machen wir das? Wir nutzen eine wissenschaftliche Methode. Heißt das, wir blättern in anderen Büchern, also Büchern aus Papier oder digitalen Büchern und überlegen und grübeln und stellen Theorien auf? Nein, wir greifen zur Bohrmaschine! Natürlich nehmen wir keine Bohrmaschine, die Löcher in Wände bohrt. Damit kommen wir nicht weit und das Eis würde nur als kleine Stückchen nach oben
geholt und in einem völlig chaotischen Haufen an der Oberfläche liegen bleiben, so wie der Staub, der aus der Wand rieselt. So funktioniert das nicht! Wir holen Papierbücher ja auch nicht mit einem Schredder aus dem Regal. Wir wollen das Eis am Stück aus dem Eisschild holen. Wir wollen einen Eiskern bohren und an die Oberfläche holen. Gut, wir müssen uns eingestehen, komplett am Stück können wir den Kern nicht hochholen, denn an manchen Stellen können wir mehrere KILOmeter tief ins Eis bohren. Also holen wir einzelne Stücke des Kerns aus dem Eis, wir holen uns quasi ein Kapitel nach dem anderen aus der Bibliothek. Die Kapitel dürfen aber natürlich nicht durcheinandergeraten. Wir müssen also immer den Überblick behalten. Das ist tatsächlich gar nicht so einfach, es passiert leider auch manchmal, dass Teile eines Eisbohrkerns unterwegs verloren gehen. Das ist ärgerlich, denn so fehlen einige Kapitel des Buches.
Das Eingangsportal der Bibliothek
Wie kommen wir denn nun zum Eingang der Eis-Bibliothek? Mit dem Flugzeug! Einer kleinen Maschine mit Kufen unter dem Rumpf statt Rädern. Denn unsere Landebahn ist die Eisoberfläche. Das Eingangsportal soll riesig sein, doch wir sehen es nicht. Wir sehen nur Weiß, Weiß so weit das Auge reicht.
Also kein Portal. Oder doch? Das gleißend helle Weiß sieht so verheißungsvoll aus… denn es IST das Portal. Der Schnee an der Oberfläche verbirgt die riesige Bibliothek aus Eis UNTER sich.
Also los, durchschreiten wir das Schneeportal! Also, das heißt in diesem Fall Schnee wegschippen. Unter dem Schnee kommt der Firn, eine Schicht, in der der Schnee schon eisiger und grobkörniger geworden ist. Dieser Schnee liegt schon mindestens ein Jahr hier. Je tiefer wir kommen, desto dichter ist der Schnee bzw. Firn gepackt. Bis schließlich darunter das immer dichter werdende Eis zum Vorschein kommt. Dieses war auch einmal Schnee und dann Firn und nun eben Eis. Es liegt nun schon einige Jahre hier und ist ganz dicht zusammengepresst. Mit dem festen Stück Eis kommt unser erstes Kapitel zum Vorschein, wobei eigentlich ist es das letzte Kapitel unseres gefrorenen Buches, denn das Eis hier oben ist das Jüngste. Das Eis darunter wird immer älter, je tiefer wir bohren.
Wie so eine Bohrung funktioniert und wie viel Aufwand das bedeutet, kannst du hier erfahren:
Das Bohrcamp
Wissenschaftler*innen wie die des Marum an der Universität Bremen oder des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven, sowie viele andere reisen in eisige Gebiete wie Grönland, die Antarktis oder zu Gletschern auf hohen Bergen und bohren dort Eiskerne.
Ein professionelles Camp ist nötig, wenn ein langer Eiskern von mehreren Kilometer Länge gebohrt werden soll. Solch eine Bohrung dauert meist mehrere Jahre. In den Polarregionen kann nur im Sommer gebohrt werden, denn im Winter ist es dort den ganzen Tag dunkel und die niedrigen Temperaturen befinden sich weit unter dem Gefrierpunkt. Zusätzlich würden heftige Winterstürme die Arbeit sehr ungemütlich und gefährlich machen. Im Winter muss das Bohrloch deswegen wetterfest verbarrikadiert werden können. Damit man einfach alles so stehen lassen kann, wie es war, und nicht im nächsten Jahr wieder alles neu aufbauen muss, werden Bohrer, Labore und das Lager einfach in das Eis hinein gebaut. Dafür werden tiefe Gräben gebuddelt. Von oben werden diese dann wieder verschlossen, sodass es nicht hineinschneien kann.
Der Bohrer bohrt senkrecht nach unten. Es gibt zwei verschiedene Bohrmethoden, die mechanische und die thermale.
Die mechanische Methode funktioniert ein bisschen wie das Plätzchen ausstechen. Das scharfe Endstück des Bohrers in Form eines Zylinders sticht in das Eis und bohrt sich rotierend, langsam um den Bohrkern herum nach unten.
Für die thermale Methode wird der Eisdielentrick genutzt. Um besonders schöne Schokoeiskugeln zu formen nehmen Eisverkäufer*innen einen heißen Löffel. Beim thermalen Bohren funktioniert das ähnlich. Es wird mit Wärme ein Ring um den späteren Eiskern herum geschmolzen.
Bei jeder Bohrung wird ein kleines Stück von wenigen Metern gebohrt und dann an die Oberfläche geholt. Dort wird es in noch kleinere Stücke von einem halben bis einem Meter geteilt, in Metallröhren gesteckt und beschriftet. Dann werden die Eisbohrkerne in das Lager, dass sich auch im Graben im Eis befindet, gebracht. Praktisch, denn so übernimmt der Eisschild selbst die Funktion des Gefrierschranks.
Wenn viele hundert Meter tief gebohrt wird, ist es wichtig, darauf zu achten, dass das Bohrloch stabil bleibt. Durch den hohen Druck im tiefen Eis besteht die Gefahr, dass das Bohrloch mit der Zeit wieder zusammengedrückt wird. Um dem entgegenzuwirken, wird eine spezielle Flüssigkeit in das Bohrloch gegeben, die sogenannte Bohrflüssigkeit. Das können ganz verschiedene Flüssigkeiten sein, wichtig ist, dass sie nicht gefrieren und die richtige Dichte haben. Diese ersetzen quasi das Eis, das vorher an der Stelle war, und das Bohrloch verformt sich nicht.
Für so eine aufwändige Bohrung braucht es viele helfende Hände, die mit anpacken. Im Sommer sind deswegen immer viele Menschen im Camp. Sie bohren Tag und Nacht über, denn die Sonne scheint 24 Stunden lang. Die Bohrteams sind dazu in mehrere Schichten eingeteilt, Schlaf muss ja trotzdem sein. Geschlafen und gekocht wird in Zelten oder in kleinen transportablen kuppelförmigen Hütten, den sogenannten Igloo Satellite Cabins. Diese können auch mal liebevolle Spitznamen wie „Tomaten“ bekommen, wie die roten Schlafkugeln im NEEM Eisbohrcamp auf Grönland genannt wurden.
Geduscht wird mit geschmolzenem Schnee. Die Toilette ist ein tiefes Loch im Schnee mit einem kleinen Zelt darüber, am Anfang vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig. Wer noch nicht völlig erschöpft vom langen Tag ist, kann z.B. Langlaufen gehen. Die Langlaufstrecke hier ist quasi endlos, nur verlaufen sollte man sich nicht, denn Menschen, die man nach dem Weg fragen kann, wird man hier wohl kaum finden.
Neugierig geworden?
Wenn du noch viel mehr über Gletscher und Eisschilde lernen möchtest und auf der Suche nach einem dazu passenden Studiengang bist, dann wäre vielleicht der Masterstudiengang Geowissenschaften am Fachbereich 5 der Uni Bremen etwas für dich. Dort werden Vorlesungen zur Glaziologie (so wird die Wissenschaft des Schnees und Eises genannt) und eine Exkursion zu einem Alpengletscher angeboten.
Mehr dazu, wie du Glaziolog*in werden kannst, gibt es hier.
Das war der erste Artikel aus der Reihe „Über Eisbohrkerne“. Hier geht’s zum zweiten.
Quellen und weiterführende Links
Die Artikel-Reihe „Über Eisbohrkerne“ basiert auf dem Podcast-Adventskalender „Eis hoch 24“ aus dem Jahr 2020.
Youtube: https://www.youtube.com/channel/UC8ZphUO3AC8Xbt4SwXd589A
Die Themen dieses Artikels werden ausführlicher insbesondere in Folge 1 (Erster Schritt), Folge 2 (Bohrung), Folge 3 (Motivation), Folge 20 & 21 (Bohrcamp) behandelt.
Bohrung
https://icecores.org/about-ice-cores
http://www.pastglobalchanges.org/download/docs/newsletter/2013-1/PAGESnews_2013_1-6-7-Steffensen.pdf
https://www.iceandclimate.nbi.ku.dk/research/drill_analysing/
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