In den sozialen Medien kursieren aktuell grausame Videos. Zu sehen sind zu Tode geprügelte oder schwer verletzte Hunde. Hintergrund dieser Videos ist das neue Straßentiergesetz der Türkei. Dies schickt unzählige Straßenhunde direkt und indirekt in den Tod.
Die türkische Regierung hat im Juli 2024 das neue Straßentiergesetz verabschiedet. Dieses besagt, dass alle Straßenhunde durch die Behörden eingefangen und in Tierheime gebracht werden müssen. Dort sollen sie dann geimpft, kastriert und zur Adoption freigegeben werden. Was sich im ersten Moment erstmals ganz gut anhört, besitzt aber auch noch eine Schattenseite. Es sollen nämlich alle Hunde, die aggressiv oder krank sind oder es sich um „gefährliche“ Rassen handelt, getötet werden. Dazu kommt auch noch, dass die Straßenhunde, die nach dreißig Tagen noch nicht vermittelt sind, eingeschläfert werden sollen. Dass die Kommunen überhaupt gar kein Geld besitzen, um zusätzliche Tierheime zu errichten, und die vorhandenen schon überfüllt sind, wird dabei außer Acht gelassen. Das hat zur Folge, dass jetzt wahrscheinlich viele Tötungen durchgeführt werden müssen. Der Präsident Recep Tayyip Erdogan verteidigt sein Vorhaben. Er meine, es sei notwendig, um das Problem der streunenden Hunde zu besiegen. Nicht nur das Gesetz bringt viele Menschen und Tierschützer*innen in Aufruhr. Auch die Umsetzung ist stark in der Kritik. Im Internet finden sich immer mehr Videos, in denen städtische Bedienstete die Straßenhunde auf brutale Art und Weise einfangen. Für Tierschützer*innen handelt es sich um eine Notlage in der Türkei. So versuchen Tierschutzorganisationen seither Tag und Nacht, die Hunde selbst einzufangen und sie so vor dem Tod zu bewahren.
Doch wie sieht eigentlich die Situation der Straßenhunde in der Türkei aus?
Es wird davon ausgegangen, dass zwischen vier und sechs Millionen Straßenhunde in der Türkei leben. Teilweise wurde sogar von zehn Millionen Tieren gesprochen. Allein in Istanbul gibt es 100.000 streunende Hunde. Die Population wächst stetig. In den türkischen Medien werden die Straßenhunde durch Tollwut und Krankheiten oft als Bedrohung für den Menschen angesehen. Jedoch wird dabei meist vergessen, dass die Menschheit und die türkische Bevölkerung selbst verantwortlich und auch Schuld an diesem Problem ist. Der Mensch ist die größte Bedrohung für den Straßenhund. Die Hunde werden oft als lästig empfunden und misshandelt. Sie haben Hunger und suchen verzweifelt im Müll nach Nahrung. Parasiten und Krankheiten belasten ihr eh schon schwaches Immunsystem. Es verbreiten sich immer mehr Krankheiten, so zum Beispiel die Mittelleerkrankheiten Leishmaniose und Ehrlichiose. Aber auch Räude und Viruserkrankungen wie Staupe und Parvo sind immer häufiger zu finden. Es wird davon ausgegangen, dass es kaum einen Hund mehr gibt, der nicht mindestens eine dieser Erkrankungen besitzt. Die Muttertiere sind oft selbst zu geschwächt, um sich um ihren Nachwuchs zu kümmern. So leiden die Welpen schon früh an Mangelerscheinungen oder Krankheiten.
Der Straßenverkehr ist eine weitere sehr große Gefahr für die Tiere. Oft werden sie im Straßenverkehr verletzt, wenn sie auf der Suche nach Nahrung oder einem Unterschlupf sind. So sind die Tiere nämlich schutzlos dem Wetter ausgesetzt. Im Sommer ist die Türkei durch eine extrem Hitze und Wasserknappheit nur schwer auszuhalten für die Tiere. Im Winter hingegen finden sich in manchen Gebieten Temperaturen von bis zu minus 20 Grad.
Was definitiv klar ist: Die hohe Population der Straßenhunde ist menschengemacht. Oft handelt es sich bei den Straßenhunden nämlich nicht um Tiere, die seit der Geburt schon auf der Straße leben. Viele dieser Tiere wurden durch Menschen ausgesetzt. Meist natürlich unkastriert. Die ausgesetzten Tiere vermehren sich rasch. In der Türkei, wie auch in vielen anderen Ländern, ist es üblich, dass in ländlichen Gebieten Hunde ausschließlich draußen gehalten werden. So zum Beispiel, um auf das Gelände oder die Herde aufzupassen. Diese Tiere sind aber auch oft unkastriert und so kommt es zu Paarungen mit den Straßentieren. Die ungewollten Welpen landen dann oft wieder auf den Straßen.
Ein weiterer wichtiger Faktor sind die Hundezuchtbetriebe. Diese findet man vor allem in den ländlichen Gebieten. Dort wird immer wieder neuer Nachwuchs geschaffen. Die Züchter*innen wollen diese Hunde ins Ausland verkaufen. Jedoch gibt es nicht selten mehr Welpen als Käufer*innen. So werden wieder Hunde ausgesetzt, diese verwildern und sorgen dann für weiteren Nachwuchs.
Das Problem mit der Tollwut
Die Türkei ist laut der WHO ein Hochrisikoland für Tollwut. Rund 99 Prozent aller Tollwutfälle sind auf Hundebisse oder Kratzer zurückzuführen. Das ist eines der Hauptargumente der türkischen Regierung für das neue Gesetz. Diese betont immer und immer wieder die Gefahr, die durch die Straßenhunde ausgeht. Dass man das ganze Problem durch Massenimpfaktionen lösen könnte, wurde nirgends durch die Politiker*innen erwähnt. Dadurch wird immer wieder das Narrativ gefüttert, Straßenhunde seien abstoßend. Das führt dazu, dass die Abneigung der Gesellschaft immer größer wird.
Die Umstände in den Tierheimen
Nur zwanzig Prozent aller türkischen Gemeinden besitzt überhaupt ein Tierheim. Die Gesetze und Standards für Tierheime werden nur selten umgesetzt und kontrolliert. Das führt dazu, dass die Zwinger überfüllt sind und die Tierheime schlecht ausgestattet. Häufig wird über Quälerei berichtet. Die Tiere werden weder richtig gefüttert noch tierärztlich versorgt. Das Tierheim stellt auch meist die Endstation für die Hunde dar. Die Chancen auf eine Adoption stehen sehr schlecht. Die Tierheime sind total überfüllt. Viele dieser Hunde sterben im Zwinger. Da fragt man sich, wie die Rechnung der Regierung aufgehen soll. Es gibt 100.000 Tierheimplätze für über vier Millionen Straßenhunde. Was mit den ganzen eingefangenen Tieren passieren soll, ist also unklar.
Freifahrtschein zum Töten
Die Videos die im Netz kursieren, haben viel Aufmerksamkeit auf das Thema gebracht. Durch die Videos wirkt es so, als ob die Menschen das Gesetz als eine Art Freifahrtschein für das Ausüben von Gewalt an Straßenhunden sehen. Die Videos sind so brutal, dass sie kaum zu ertragen sind. Die Hunde wurden zum Teil zu Tode geprügelt. Es ist zu sehen, wie Hunde in Graben geworfen werden.
Es kommen immer wieder neue Funde ans Licht. So wurden im westtürkischen Uzonkörprü 15 tote Hunde in Müllsäcken auf einer illegalen Müllhalde gefunden. In Nidge sollen Mitarbeiter*innen eines Tierschutzheims massenhaft Hunde getötet haben. Diese wurden dann in ein Massengrab geworfen und zur Desinfektion mit Kalk abgedeckt. Dabei soll es sich um bis zu 100 Tiere handeln.
Tierschützende setzen sich ein
Gegen das Gesetz gab es heftige landesweite und internationale Proteste. Die Organisatoren dieser sprechen von einem „Massaker-Gesetz“. Die Opposition CHP hat unter anderem angekündigt, dass sie vor den Obersten Gerichtshof der Türkei ziehen wollen, um das Gesetz zum Fall zu bringen.
Viele Tierschutzorganisationen und Initiativen sind Tag und Nacht damit beschäftigt, die Hunde zu retten. Dabei brauchen sie aber dringend Futterspenden und finanzielle Hilfe. Am Ende dieses Artikels findet ihr Links und Daten zu einigen Organisationen.
Das neue Konzept
Tierschützer*innen sehen dieses Gesetz als deutlichen Rückschritt für den Tierschutz in der Türkei an. Vorher gab es das Konzept „Fangen, Kastrieren und Freilassen“. Das ist ein Konzept, dass weltweit auf viel Unterstützung trifft und die Population der Tiere tatsächlich zum Sinken bringen kann. Die Population der Straßenhunde könnte so effektiv und tierschutzgerecht verringert werden.
Die Wirksamkeit des neuen Gesetzes ist jedoch fragwürdig. Dazu eine kleine Erklärung: Eine Gruppe von Hunden hält sich in einem Gebiet auf. Dies ist ihr Revier. Sie haben dort Nahrung und Ressourcen. Wenn diese Gruppe von Hunden aber eingefangen wird, wird dieses Revier mit den Ressourcen wieder frei. Dies führt dazu, dass Jungtiere einer anderen Population in dieses Gebiet abwandern und dort viel bessere Chancen zum Überleben haben. Dadurch wird sich die Population schnell wieder schließen. Dieses Konzept führt also nicht zu einer Verringerung der Population. Es ist, als würde man ein Rennen gegen einen Tornado laufen. Rumäniens Beispiel zeigt, dass das Töten von Straßenhunden nicht zu den erwünschten Ergebnissen führt. Seit 2013 dürfen dort Straßenhunde getötet werden. Grund dafür war ein Beißvorfall durch einen vermeintlichen Straßenhund. An der Anzahl der Straßenhunde hat sich jedoch seit zehn Jahren nichts verändert.
Eine flächendeckende Kastrationsmaßnahme wäre hingegen der einzige Weg, um die Population langfristig einzudämmen. So könnte das Leid der Tiere verhindert werden. Es müsste eine Pflicht bei Anschaffung des Tieres geben, dass es kastriert werden muss. So sollte es außerdem eine strengere Regulation oder sogar ein Verbot der Hundezuchtbetriebe geben. Es müsste mehr Geld in die Tierheime und Tierschutzorganisation gesteckt werden, um so Kastrationsprojekte im ganzen Land durchzusetzen. Die Muttertiere müssen mit Welpen eingefangen werden. Die Mutter wird kastriert und wieder ausgesetzt. Die Welpen bleiben in den Heimen bis sie alt genug sind, um kastriert und dann wieder ausgesetzt zu werden.
Millionen Hunden steht eine sofortige Tötung oder ein Tod in Folge von Vernachlässigungen und überfüllten Tierheimen bevor. Das ist nicht der Weg, der tierschutzrechtlich vertretbar ist. Wir müssen anfangen, Verantwortung für unsere Fehler zu übernehmen. Menschen sind Schuld am Leid dieser Tiere. Deshalb ist es unsere Verantwortung, dass wir dieses Problem auf eine nachhaltige und tierschutzgerechte Weise lösen. Das ist das mindeste, was die Menschheit diesen Tieren schuldet.
Hier ein paar Vorschläge zur Unterstützung von Tierschutzorganisationen:
VETO
Petition gegen geplante Tötungen: Wir fordern den Stopp sinnloser Tötungen von Straßenhunden und die finanzielle Unterstützung von Kastrationsprogrammen. Jede Stimme zählt!
Spendenaufruf: Tierschützer:innen in der Türkei brauchen dringend Hilfe. Wir sammeln Spenden für Hunde- und Katzenfutter und die Finanzierung von Kastrationsmaßnahmen.
Kitmir Tierhilfe Demirtas e.V.
Kastrationskampagne: Die Gesundheit der Tiere liegt uns am Herzen