Der Medaillenspiegel der Olympischen Spiele 2024 (Quelle: Sportschau.de) in verschiedenen Modellen
Der Blick auf den Medaillenspiegel der Olympischen Spiele in Paris zeigt, dass Deutschland zwar immer noch zu den Top 10 Nationen weltweit zählt, jedoch nicht an die Platzierungen in der Vergangenheit anknüpfen kann. Bei den insgesamt sieben Austragungen der Olympischen Sommerspiele zwischen 1992 und 2016, erreichte das deutsche Team immer einen Platz unter den ersten sechs Nationen, in Barcelona 1992 und Atlanta 1996 sogar den dritten Platz. Die Gründe für diese Entwicklung wurden im ersten Teil des Rückblicks zu den Olympischen Spielen 2024 genauer beleuchtet.
Der Medaillenspiegel wird oft dafür kritisiert, dass er ungerecht gegenüber Kleinstaaten sei, weil große bevölkerungsreiche und wirtschaftsstarke Staaten einen natürlichen Vorteil haben, indem diese Nationen ein größeres Aufgebot an Athlet*innen zu den Spielen schicken können und ein höheres Potenzial auf Medaillengewinne haben. Deshalb existieren auch alternative Modelle des Medaillenspiegels, bei denen die Anzahl der gewonnenen Medaillen einer Nation in Relation zur Bevölkerungsgröße bzw. zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) gesetzt wird.
In beiden Modellen belegt Deutschland dabei eine schlechtere Platzierung als im offiziellen Medaillenspiegel. Wenn die Medaillenanzahl einer Nation ins Verhältnis zu deren jeweiliger Bevölkerungszahl gesetzt wird, befindet sich Deutschland nur noch auf Rang 32. Ganz vorne wären in diesem Fall die beiden karibischen Inselstaaten Dominica und St. Lucia, die bei den Spielen in Paris jeweils eine Goldmedaille gewannen und über jeweils weniger als 200.000 Einwohner*innen verfügen. In einem Medaillenspiegel, der die Medaillenbilanz eines Landes unter Berücksichtigung des BIP erfasst, belegt Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas den 71. Platz. Auch in diesem Fall sind Karibikstaaten wie Dominica, Grenada und Jamaika auf den vorderen Plätzen zu finden.
Was machen erfolgreichere Nationen anders und/oder besser als Deutschland?
Angenommen, die Faktoren Bevölkerungsgröße und Bruttoinlandsprodukt seien die wichtigsten Voraussetzungen für eine hohe Platzierung im Medaillenspiegel, so wären die Großmächte USA und China die beiden einzigen Nationen, die für eine deutsche Mannschaft bei Olympischen Spielen als unerreichbar eingestuft werden könnten. Tatsächlich gewannen die USA und China in Paris die meisten Medaillen und gehörten bei allen vergangenen Olympischen Spielen seit 2000 zu den drei erfolgreichsten Nationen. Auch Russland bzw. ehemals die Sowjetunion hat in der Geschichte der Olympischen Sommerspiele mehr Medaillen als Deutschland geholt, doch aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, wurde die russische Mannschaft berechtigterweise von den Spielen in Paris ausgeschlossen. Ohne russische Athlet*innen sollten sich die Medaillenchancen für das deutsche Team, zumindest theoretisch, weiter erhöhen.
Doch in der Realität hat sich herausgestellt, dass Nationen wie z.B. die Niederlande, Südkorea und Australien, die allesamt noch nicht einmal eine halb so große Bevölkerung wie Deutschland haben, im Medaillenspiegel vor Deutschland liegen. Zum Vergleich: Deutschland gewann bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta 20 Goldmedaillen, Japan, Australien, die Niederlande, Großbritannien und Südkorea erreichten zusammen gerade einmal 24 goldene Medaillen. 28 Jahre später haben alle fünf genannten Nationen mehr Goldmedaillen, und teilweise sogar deutlich mehr Medaillen insgesamt, als Deutschland gewonnen. Um nach Gründen für diese Entwicklung zu suchen, ist es sinnvoll, die Sportsysteme anderer Nationen zu beleuchten.
USA: Universitäten und Colleges als Medaillengaranten
Auch wenn die USA, wie bereits erwähnt, die wahrscheinlich besten Voraussetzungen aller Nationen haben, ist es schon erstaunlich, wie erfolgreich US-amerikanische Athlet*innen bei Olympischen Spielen abschneiden. Mit insgesamt 126 gewonnenen Medaillen war die USA in Paris mit großem Abstand die Nation mit den meisten Medaillen. Insbesondere in den olympischen Kernsportarten Leichtathletik und Schwimmen, in denen die meisten Medaillen verteilt werden, dominieren Sportler*innen aus den USA die Weltspitze. Die Grundlage für den Erfolg US-amerikanischer Sportler*innen wird in den Universitäten und Colleges gelegt. Der Sport spielt in US-amerikanischen Universitäten und Colleges eine zentrale Rolle und ist für den Ruf einer Universität von sehr wichtiger Bedeutung. Die College-Meisterschaften ziehen in vielen Sportarten wie z.B. Football, Basketball und Leichtathletik ein derartiges Publikum an, dass allein der Verkauf von TV-Rechten den Colleges einen Gewinn in Milliardenhöhe ermöglicht. Generell sind US-amerikanische Universitäten und Colleges dazu bereit, Summen in den Sport zu stecken, die für andere Nationen völlig undenkbar wären. So investiert beispielsweise die University of Texas in Austin umgerechnet knapp 200 Millionen Euro pro Jahr in den Sport, während das Bundesinnenministerium in Deutschland ein Budget von knapp 276 Millionen Euro für das ganze Land zur Verfügung stellt. Auch ein deutscher Medaillengewinner bei den Spielen in Paris studiert an der University of Texas: Zehnkämpfer Leo Neugebauer, der die Silbermedaille gewann, profitiert nach eigenen Angaben von den Trainingsbedingungen in seiner Wahlheimat. Besonders beeindruckend ist die Bilanz der Stanford University. 27 Medaillen gewannen aktuelle oder ehemalige Studierende dieser Universität in Paris, davon acht Goldmedaillen. Wäre die Stanford University als eigenes Land im Medaillenspiegel aufgelistet, läge sie auf Platz 13, also nur drei Plätze hinter Deutschland. Im Gegensatz zu vielen anderen Universitäten, die sich auf die klassischen US-amerikanischen Sportarten wie American Football und Baseball konzentrieren, legt die Universität in Stanford den Fokus auf olympische Sportarten wie Leichtathletik und Schwimmen. Die neunfache Olympiasiegerin Katie Ledecky, die nach ihren zwei Goldmedaillen in Paris nun die erfolgreichste US-amerikanische Schwimmerin aller Zeiten ist, gilt als bekanntestes Gesicht der Universität.
Niederlande und Südkorea: Zentralisierung als Erfolgsformel
Die Niederlande und Südkorea schaffen es, ihre vergleichsweise kleine Landesfläche, optimal im Hinblick auf die Förderung von Spitzensportler*innen auszunutzen. So gibt es in beiden Ländern einen zentralen Ort, wo die besten Athlet*innen des Landes zusammenkommen und miteinander trainieren. Dadurch steigert sich Trainingsqualität der Athlet*innen, die gleichzeitig davon profitieren, dass ihnen die am höchsten qualifizierten Trainer*innen und Physiotherapeuten des Landes zur Verfügung gestellt werden. In den Niederlanden ist das Sportzentrum Papendal der zentrale Ort für Spitzensportler*innen. Aktuell trainieren mehr als 500 Athlet*innen aus unterschiedlichen Sportarten in Papendal, das vor etwa 20 Jahren modernisiert und professionalisiert wurde und seitdem das größte Sportzentrum des Landes ist. Auch deutsche Athlet*innen nutzen die geringe geographische Distanz zu den Niederlanden, um sich in internationalen Trainingsgruppen zu messen. Tatsächlich ist die Niederlande in diesem Aspekt Deutschland weit voraus, denn laut Thomas Berlemann, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Sporthilfe, seien internationale Trainingsgruppen wie in Papendal, hierzulande unerwünscht. Die jüngsten Leistungen von niederländischen Sportler*innen bei den Spielen in Paris bestätigen den Aufschwung im niederländischen Sport. Mit 15 Gold-, 7 Silber- und 12 Bronzemedaillen, belegte die Niederlande Platz 6 im Medaillenspiegel, was das beste Ergebnis einer niederländischen Mannschaft bei Olympia aller Zeiten ist. Dabei zeigt das Erfolgsmodell der Niederlande auch, dass sportlicher Erfolg zumindest nicht allein vom Budget angeht, denn laut Jochem Schnelles, dem Leiter des Sportzentrums in Papendal, investieren mindestens 25 Nationen weltweit mehr in den Sport als die Niederlande. Insbesondere in der Leichtathletik ist die Niederlande durch ihr effizientes System der Sportförderung in die Weltspitze vorgedrungen und feierte zuletzt in Paris achtbare Erfolge, wie z.B. die Goldmedaille in der 4x100m Mixed-Staffel. Daneben gehören auch Rudern und Radsport zu den erfolgreichsten Sportarten der Niederlande. Auch in Südkorea findet das System der Zentralisierung von Spitzensportler*innen Anwendung. Im Jincheon Training Center trainieren seit der Fertigstellung 2017 bis zu 1.150 Athlet*innen in 35 verschiedenen Sportarten. Schon allein aufgrund der größeren Fläche im Vergleich zu den Niederlanden und Südkorea, lässt sich das dort angewandte System der Zentralisierung nicht eins zu eins für Deutschland übertragen. Dennoch sollte es in Deutschland eine Überlegung wert sein, ob es nicht möglich wäre, vereinzelte regionale Trainingsstützpunkte zu zentralen Trainingsorten für Spitzensportler*innen zusammenzufassen.
Ausrichtung von Olympischen Spielen als Boost für den heimischen Sport
Beim Blick auf die neun Nationen, die im aktuellen Medaillenspiegel vor Deutschland gelandet sind, fällt den größten Olympia-Kenner*innen vielleicht schon direkt auf, was sechs dieser Nationen gemeinsam haben. So waren nämlich die USA (1996), China (2008), Japan (2021), Australien (2000), Frankreich (2024) und Großbritannien (2012) allesamt Gastgeberländer von Olympischen Spielen im Zeitraum der letzten 28 Jahre. Die Ausrichtung der Olympischen Spiele gilt für das Gastgeberland als Prestigeprojekt, bei dem die weltweite mediale Aufmerksamkeit gesichert ist. Deshalb ist es dem jeweiligen Ausrichterland ein besonderes Anliegen, dass die heimischen Sportler*innen erfolgreich bei den Spielen abschneiden. Da die Vergabe der Olympischen Spielen an einen Ausrichter in der Regel sieben Jahre vor dem Beginn der Wettkämpfe erfolgt, bleibt dem Gastgeber also noch genügend Zeit, um die bestmögliche Förderung der Athlet*innen im Vorfeld der Spiele sicherzustellen. Gastgeber Frankreich erzielte bei den Spielen in Paris ein historisch erfolgreiches Ergebnis. 64 gewonnene Medaillen für die „Grande Nation“ bedeuteten das zweitbeste französische Ergebnis aller Zeiten, einzig bei Spielen 1900 erreichte Frankreich mehr Medaillen, jedoch lassen sich diese aufgrund der geringen damaligen Globalisierung nicht mit den heutigen Olympischen Spielen vergleichen. Die Grundlage für die fast doppelt so hohe Medaillenanzahl im Vergleich zu den Spielen in Tokio vor drei Jahren (33 Medaillen) liegt in einer eigens für die Olympischen Spiele in Paris entwickelten Neuausrichtung des französischen Sports. So wurde im Jahr 2019 mit der Agence nationale du sport (Nationale Sportagentur) eine neue Sportagentur gegründet, die in der Folgezeit das Fördersystem von französischen Spitzensportler*innen modernisierten. Neben den Athlet*innen profitieren vor allem die Trainer*innen, die von der Sportagentur finanziell und in ihrer Ausbildung unterstützt werden, wie der ehemalige Trainer der französischen Volleyballnationalmannschaft, Laurent Tillie, berichtet. Auch das Budget wurde für die Sportförderung durch die Gründung der Sportagentur massiv erweitert. So erhöhte die Agentur gemeinsam mit der Politik seit der Vergabe der Olympischen Spiele 2024 an Paris im Jahr 2017 ihre Investitionen in die Sportförderung um 68%. Inwiefern die Reform im französischen Sport langfristig zu besseren Ergebnissen bei Olympischen Spielen führt, lässt sich erst nach den nächsten Spielen 2028 in Los Angeles bewerten. Allerdings zeigen die Resultate anderer Gastgeberländer in der jüngeren olympischen Geschichte, dass die Austragung von Olympischen Spielen durchaus einen nachhaltig positiven Effekt auf die Leistungen der entsprechenden Athlet*innen haben kann. In Großbritannien gab es im Vorfeld der Spiele in London 2012 ebenfalls Reformen in der Sportförderungen, die zu dem besten Ergebnis einer britischen Mannschaft seit fast 100 Jahren führten. Mit 29 Goldmedaillen und 65 Medaillen insgesamt erreichte der Inselstaat Platz drei im Medaillenspiegel von 2012. Seitdem gewann Großbritannien bei allen Olympischen Spielen stets mehr als 60 Medaillen und landete im Medaillenspiegel im schlechtesten Fall auf Platz sieben. Japan konnte bei den Spielen in Paris beweisen, dass der dritte Platz im Medaillenspiegel 2021 in Tokio keineswegs ihrem Heimvorteil geschuldet war, denn die japanischen Athlet*innen wiederholten das starke Ergebnis von vor drei Jahren und erreichten erneut den dritten Platz.
Olympia in Deutschland: Neuer Anlauf für 2040 geplant
Die letzten Olympischen Spiele in Deutschland fanden 1972 in München statt. Seitdem gab es sieben Bewerbungsversuche, die jedoch aus verschiedenen Gründen erfolglos blieben. Zuletzt scheiterte eine potenzielle Bewerbung Hamburgs für die Spiele 2024 an den Bürger*innen der Hansestadt, die in einem Referendum im November 2015, mit einer knappen Mehrheit von 51,6% gegen Olympische Spiele in Hamburg votierten. Kurz vor Beginn der Olympischen Spiele in Paris gab die Bundesregierung bekannt, eine mögliche Bewerbung Deutschlands für die Spiele im Jahr 2040 unterstützen zu wollen. Genauere Details dieser Bewerbung, wie vor allem die Frage, mit welcher Stadt Deutschland ins Rennen geht, sollen laut DOSB im Laufe des nächsten Jahres festgelegt werden. Ohnehin liegen die deutschen Pläne für eine Olympiabewerbung noch in weiter Zukunft, da die kommenden Olympischen Spiele bereits vergeben worden sind. 2028 ist Los Angeles Schauplatz des größten Sportevents der Welt, vier Jahre später finden die Spiele in Brisbane, Australien, statt. Es bleibt bis dahin abzuwarten, ob es dem deutschen Sport gelingt, den Abwärtstrend in der Medaillenbilanz zu stoppen. Die aktuellen Diskussionen über die deutsche Sportförderung und das Abschneiden in Paris haben für die Athlet*innen zumindest im finanziellen Hinblick für eine Verbesserung gesorgt. Die Drogeriemarktkette Rossmann kündigte an, die aktuelle Prämie für den Olympiasieg von 20.000 € auf 40.000 € verdoppeln zu wollen. Damit jedoch wieder mehr deutsche Athlet*innen in vier Jahren von dieser Prämie Gebrauch machen können, liegt es an den Entscheidungsträger*innen, nötige Reformen für den Spitzensport einzuleiten.
Quellen
Warum Deutschland bei Olympia so wenige Medaillen geholt hat (Deutschlandfunk)
Olympia-Nachlese: Warum Deutschland im Sport hinterherhinkt (Deutsche Welle)
PotAS: Analysewerkzeug der Sportförderung in der Kritik (ZDF)
Wie der Spitzensport im Ausland finanziert wird (Deutsche Welle)
Abseits der Weltspitze – Was andere besser machen (Sportschau)
Sport erklärt: So viel verdienen die deutschen Olympioniken (SWR)
Reform der Sportförderung als Weg aus der Krise? (Deutsche Welle)