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Immer wieder wird darüber gesprochen, dass Sport und Politik getrennt werden müssen. Die Europameisterschaft zeigt jedoch, dass dies kaum möglich ist. Fußball ist immer politisch – sei es durch den Austragungsort des Turniers, die PolitikerInnen in den VIP-Logen oder durch umstrittene, provokative Symbolik, wie beispielsweise den Wolfgruß, der viel Kritik auf sich zog. „United by Football. Vereint im Herzen Europas“ lautete der Slogan dieser Euro 2024. Doch schon die Vorrunde zeigte, wie viel dieses Europa noch trennt.

Die Superstars, die für die Nationalmannschaften spielen, haben einen großen Einfluss auf die Millionen Fans weltweit. Fußball ist die beliebteste Sportart der Welt und die Aussagen der Spieler werden in allen Medien verbreitet, diskutiert und oft auch kritisiert.

Es ist kein Geheimnis, dass die junge Generation, die mit Fußball aufwächst und Fußballidole wie Kylian Mbappé, Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi verehrt, sich auch in anderen Lebensbereichen an ihnen orientiert. Deren politische Einstellungen können sogar das Ergebnis wichtiger Kampagnen beeinflussen.

Auch diese Europameisterschaft war keine Ausnahme. Die Organisatoren wollten das Turnier so unpolitisch wie möglich halten. Doch das gelang ihnen nicht. Spieler und Trainer nutzten die Aufmerksamkeit, um Stellung zu beziehen. Allerdings stießen ihre Aussagen nicht immer auf positive Resonanz in der Öffentlichkeit.

Kylian Mbappé: Die Wahlen in Frankreich sind wichtiger als Euro

Auf einer Konferenz vor dem ersten Spiel Frankreichs gegen Österreich am 17. Juni 2024 hielt Kylian Mbappé eine kurze Rede, die von ihm nicht erwartet wurde. Frankreich stand damals kurz vor den Nationalwahlen, nachdem der amtierende Präsident Emmanuel Macron angekündigt hatte zurückzutreten. Seine Partei „Renaissance“ hatte bei den Europawahlen nämlich nur noch 15 % der Stimmen erhalten. Im Vergleich dazu erzielte die rechtsextreme Partei „Rassemblement National“ 31 %. Der französische Fußballspieler, der weltweit und insbesondere in der französischen Gesellschaft großen Einfluss hat, äußerte sich besorgt über die Zukunft des Landes:

„Ich denke, wir befinden uns in einem entscheidenden Moment in der Geschichte unseres Landes. Wir müssen die Dinge bewerten und sehen, was unsere Prioritäten sind. Die Europameisterschaft ist ein wichtiger Moment in unserer Karriere, aber ich denke, wir sind in erster Linie Bürger und dürfen uns nicht von der Welt um uns herum, und noch weniger von unserem Land, abkoppeln.“

Damit rief er alle Französinnen und Franzosen auf, wählen zu gehen. Insbesondere appellierte er in seiner Rede an die Jugend, seine eigene Generation. „Ich denke, wir sind die Generation, die etwas bewegen kann“, sagte Mbappé auf der Pressekonferenz vor dem Spiel.

Der „Rassemblement National“ ist eine umstrittene Partei, da sie von vielen Politikwissenschaftlern als rechtsextrem eingestuft wird. Zwar nannte Mbappé den RN nicht explizit, doch er betonte in seiner Rede: „Heute sehen wir, dass die Extreme an die Tür der Macht klopfen, und wir haben die Möglichkeit, die Zukunft unseres Landes zu gestalten“.

Die Wahlen fanden während der EM in Deutschland statt, und genau in dieser Zeit meinte der französische Nationalspieler, dass er nach dem Ergebnis der Wahlen weiterhin stolz darauf sein wolle, das Trikot der Nationalmannschaft zu tragen. Ihm zufolge wolle er kein Land repräsentieren, das nicht seine Werte widerspiegelt, das nicht die Werte der BürgerInnen repräsentiert, denn wie er angibt, stehen alle auf derselben Seite.

Es ist nicht üblich für Fußballer, so offen über Politik und ihre politischen Einstellungen zu sprechen. Doch wie auch Kylian selbst betont: „Es wird oft gesagt, dass man Politik und Fußball nicht vermischen darf“. Dennoch gebe es keine andere Möglichkeit, denn die Situation sei extrem: „Ich stimme zu, wenn es eine normale Situation ist, aber wenn man sich in einer Situation wie dieser befindet, ist es sehr wichtig“. „Deshalb können wir uns nicht verstecken“, fügte der Kapitän der Franzosen hinzu.

Der „Rassemblement National“ und insbesondere Marine Le Pen hatten eine Antwort für Kylian Mbappé parat und reagierten sofort auf seine Aufrufe, nicht für ihre Partei zu stimmen. „Die Franzosen haben es satt, belehrt und beraten zu werden, wie sie wählen sollen“, sagte sie dem Fernsehsender CNN. „Mbappé vertritt nicht die Franzosen mit Migrationshintergrund“, betonte Le Pen, „denn es gibt viel mehr von ihnen, die vom Mindestlohn leben, sich keine Wohnung und keine Heizung leisten können, als Leute wie Herrn Mbappé“.

Die Nationalwahlen fanden am 30. Juni und am 7. Juli statt. Vielleicht auch dank der Unterstützung von Kylian Mbappé und zum Nachteil von Marine Le Pen und dem „Rassemblement National“ blieb der Rechtsruck aus, und das Linksbündnis wurde nach den Parlamentswahlen zur stärksten Kraft.

Michael Gregoritsch mit einem Appell an sein Land und Europa:

Das Viertelfinale, in dem Österreich gegen die Türkei spielte und verlor, brachte gleich mehrere politische Vorfälle mit sich – sowohl vor dem Spiel, während des Spiels als auch danach.

Die österreichischen Fans fielen während der EM in der Vorrunde durch rechtsgerichtete Aktionen auf. Beim Spiel gegen Polen am 21. Juni 2024 im Berliner Olympiastadion präsentierten sie kurz vor Spielende ein Banner mit der Aufschrift „Defend Europa“. Dies ist der Titel einer Kampagne der rechtsextremen „Identitären Bewegung“, die Stimmung gegen Migranten macht. Auch kurz vor dem Achtelfinalspiel gegen die Türkei sangen einige österreichische Fans in Leipzig, dem Austragungsort des Spiels, zur Melodie des Liedes „L’amour toujours“ die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“.

Michael Gregoritsch, der österreichische Fußballspieler, äußerte sich nach dem Spiel gegen die Türkei und dem EM-Aus klar gegen die rechte Bewegung in seinem Land und in ganz Europa. „Die Botschaft in ganz Österreich und Europa ist, dass man sich nicht auseinandersetzen soll mit Differenzierung und rechten Gedanken, sondern vereint und stolz und glücklich sein“, erklärte der Bundesliga-Profi. Nach Meinung des Stürmers vom SC Freiburg könnte sein Land gemeinsam für etwas Größeres stehen: „Wir sollten uns ganz weit von rechtem Gedankengut entfernen und wir sollten wissen, wie wichtig das ist, dass wir alle gleich sind, dass wir alle für unser Land da sind, dass wir eben für eine Sache so brennen können, die einen so positiven Einfluss auf unser Land hat“.

Auch während der EM warnte der Trainer der österreichischen Nationalmannschaft, Ralf Rangnick, vor einem politischen Rechtsruck. In einem Interview rief der langjährige Bundesliga-Trainer gegenüber Rechtsextremisten zur Wachsamkeit auf: „Wir leben in einer so bewegten Zeit, in der man nicht mehr sagen kann, das eine ist Sport und das andere Politik, und die zwei Dinge haben nichts miteinander zu tun“. Er betonte die Bedeutung einer klaren Haltung bei Personen des öffentlichen Lebens: „Gerade die Geschichte unserer beiden Länder Österreich und Deutschland sollte uns Lehre genug sein (…). Gerade auf diesem rechten Auge müssen wir sehr, sehr wachsam sein“, so der österreichische Teamchef. 

Merih Demiral und die umstrittene Geste „Wolfsgruß“

Merih Demiral schoss zwei Tore und die Türkei zog ins Viertelfinale ein. Der türkische Nationalspieler feierte den Sieg mit einer Geste, die als „Wolfsgruß“ bekannt ist und nicht eindeutig interpretiert wird. Demiral äußerte sich nach dem Spiel dazu: „Wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner türkischen Identität zu tun“, erklärte der 26-jährige Nationalspieler. „Deswegen habe ich diese Geste gemacht. Ich habe Leute im Stadion gesehen, die diese Geste auch gezeigt haben“. Es stecke keine versteckte Botschaft dahinter, fügte er hinzu.

Die türkische Mannschaft schied im Viertelfinale gegen die Niederlande aus und Demiral konnte seinem Team nicht helfen, da die UEFA ihn für zwei Spiele sperrte. Daher hätte er erst im Finale wieder spielen dürfen, was jedoch nicht eintrat. Während dieses Spiels protestierten die türkischen Fans gegen die Sperre von Demiral und unterstützten ihn, indem sie mehrfach den „Wolfsgruß“ zeigten. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan äußerte sich gegen die Sperre des Spielers für zwei Spiele. Demiral habe mit dieser Geste „Begeisterung“ gezeigt, meinte der 70-Jährige. „Sagt jemand etwas darüber, dass auf den Trikots der Deutschen ein Adler ist? Sagt jemand etwas darüber, dass auf den Trikots der Franzosen ein Hahn ist und warum sie sich wie Hähne aufspielen?“, sagte Erdogan weiter.

Was ist der Hintergrund dieser Geste und warum wurde Demiral gesperrt, obwohl die Geste nicht verboten ist?

Die Geste des “Wolfsgrußes” besteht darin, die Hand zu einer Art “Wolfskopf” zu formen: Der Zeigefinger und der kleine Finger werden ausgestreckt, während Daumen, Mittel- und Ringfinger eingeklappt sind. Sie symbolisiert den “grauen Wolf”, ein mythisches Tier in der türkischen Mythologie, das von den “Grauen Wölfen” als Symbol ihrer politischen Bewegung verwendet wird. 

Der “Wolfsgruß” ist eine Handgeste, die eng mit der rechtsextremen türkischen Organisation “Graue Wölfe” (türkisch: “Bozkurtlar”) verbunden ist. Diese Gruppe wird als ultranationalistisch, rassistisch und gewalttätig angesehen und vertritt eine extrem nationalistische Ideologie, die sich auf den Panturkismus stützt – die Vorstellung einer Vereinigung aller türkischsprachigen Völker in einem Großreich. Das Türkentum wird dabei als höherwertiger und überlegener gesehen, vor allem ArmenierInnen, GriechInnen, KurdInnen wie auch das Judentum werden gezielt herabgewürdigt. Die Geste wird oft bei politischen Veranstaltungen, Demonstrationen oder auch im Fußballstadion gezeigt, um Unterstützung für die extrem nationalistischen und oft fremdenfeindlichen Ideen dieser Organisation zu signalisieren.

Obwohl die Geste in Deutschland und anderen europäischen Ländern offiziell nicht verboten ist, verhängte die UEFA dennoch die Sperre. Der Grund liegt in der Interpretation der Geste als Ausdruck einer politischen Botschaft, die nicht mit den Richtlinien vieler Sportverbände vereinbar ist.

In Sportarten wie Fußball sind politische, rassistische und extremistische Gesten, Aussagen und Symbole verboten. Auch wenn der “Wolfsgruß” in vielen Ländern nicht als explizit verbotene Geste aufgelistet ist, kann er dennoch als Verstoß gegen die Fair-Play-Regeln und als Ausdruck von politischem Extremismus gewertet werden.

Somit wie man es auch dreht, zeigt sich, dass der Fußball immer noch politisiert ist, und es schwierig sein wird, diese beiden scheinbar unvereinbaren Bereiche zu trennen. Die Europameisterschaft 2024 zeigt, wie eng sie miteinander verbunden sind. Von politischen Statements prominenter Spieler wie Kylian Mbappé bis hin zu kontroversen Gesten auf dem Spielfeld, wie dem Wolfsgruß, wird deutlich, dass Fußball nicht nur ein Spiel ist, sondern eine Bühne, auf der gesellschaftliche und politische Spannungen ausgetragen werden.

Diese Verflechtung wirft die Frage auf: Sollten Sportveranstaltungen weiterhin als Plattform für politische Aussagen genutzt werden, oder würde dies die Bedeutung des Sports als einheitliche Kraft untergraben? Das ist eher eine rhetorische Frage, denn jede bleibt bei seiner Meinung.