Hallo liebe Leser*innen.
In diesem Interview werden wir einige weniger und mehr bekannte Aspekte des Lebens in der DDR beleuchten, die oft nicht wirklich detailliert beschrieben werden. Deshalb habe ich mit einer Zeitzeugin gesprochen, die 1971 in Potsdam geboren wurde und in der DDR aufwuchs, während ihrer Jugend wechselnd in Halle und Berlin. Aus Gründen der Privatsphäre bleibt sie lieber anonym.
Familiär bedingt wuchs sie bei ihren Großeltern, ihrem Onkel und ihrer alleinerziehenden Mutter, später mit einem Stiefvater auf. Sie ging in der DDR zur Schule, war Junge Pionierin und FDJlerin, was die Kinder- bzw. Jugendorganisationen der DDR waren und direkt an die Bildungseinrichtungen für Kinder gekoppelt waren. Die Teilnahme war nicht wirklich freiwillig. Als Sonderumstand kam in diesem Fall dazu, dass die meisten restlichen Familienangehörigen in der BRD lebten und sowohl wirtschaftlich wie politisch großen Einfluss auf die Familie im Osten nehmen konnten.
Zu Beginn des Interviews habe ich einige Fragen zu den eher politischen Aspekten der DDR Kultur gestellt.
Wie wurde in Bildungseinrichtungen gelehrt, bzw. war die Lehre generell politisch neutral, oder ideologisch beeinflusst, wenn ja war dies vom Fach abhängig?
Die war massiv ideologisch beeinflusst. Ich würde sagen, dass es eher mit dem Lehrer als mit dem Fach zu tun hatte, wie sehr sie das war. Als ich in der achten Klasse war, also so mit 14, war meine Mathelehrerin die stellvertretende Schuldirektorin. Die war in der Partei, alles munkelte die war auch in der StaSi, und die hat im Unterricht bei jeder Gelegenheit irgendwelche Parolen abgelassen. Also auch wenn das mit Mathe gar nichts zu tun hatte, kam da ständig irgendeine politische Tendenz zum Vorschein. Und in Geographie kamen bestimmte Länder schlicht nicht vor. Also ich glaub du hättest mich eher in Moskau aussetzen lassen können, wo ich noch nie war, als mich nach Österreich zu schicken. Privat wusste ich das natürlich durch das Fernsehen, aber nicht in der Schule. Ich wusste nicht, wo das ist. Oder es konnte dir auch mal passieren, dass in Biologie jemand den Satz abgelassen hat: „Beim Menschen ist da ein Herz, beim Kapitalisten ein Bündel Geld“. Da war immer so eine Färbung da. Und dann hatte ich mal in Deutsch einen Referendar, die hießen bei uns aber glaube ich anders, und der hat uns in der Schule „Der Fänger im Roggen“ lesen lassen. Eigentlich solls ja da um diese Entwicklung gehen, und wie schlimm das für den ist, und diese familiären Strukturen, und wir sollten das ganz anders betrachten. Statt zu sehen, dass dieser Junge eine sehr schwere Pubertät durchlebt und versucht, sich zu orientieren in einer merkwürdigen Familienkonstellation, sollten wir das so betrachten, dass der Kapitalismus ihn kaputtmacht, und das kranke System, in dem er lebt, und der Lehramtsstudent, der uns das hat lesen lassen, hat da eine ziemliche Debatte angestoßen in meiner Klasse, und dann auf dem ganzen Schulhof. Und dann war er weg. Und es hieß, der wäre in den Westen abgehauen, aber letztlich könnte es auch der politische Knast in Bautzen gewesen sein, das weiß man nicht. Du hattest die coolen Lehrer, wo du selber wusstest die hören mal Westradio oder schauen Westfernsehen, die Neutralen, und die Parteiinfiltrierten, wo du wusstest jedes Wort, was du falsch von dir gibst, landet in deiner Schülerakte, und du musstest halt lernen dich da zurechtzufinden.
Wie war generell die Bildungskultur? Durch die Stasi herrschte ja eine gewisse Aufmerksamkeit bezüglich Dingen, die man lieber nicht anspricht. Konnte man mit Lehrenden dennoch einigermaßen offen sprechen, oder musste man sich da prinzipiell schon in Acht nehmen?
Du musstest dich immer in Acht nehmen. Lass es mich kurz beschreiben. Du kamst zur Schule, es war eine ganz andere Stimmung als heute, es war eine gewisse Ruhe in der Schule. Es wurde sich morgens gegrüßt, es war natürlich ein streng hierarchisches Schüler-Lehrer-Verhältnis, es herrschte eine ziemliche Disziplin. Du musstest lernen und aufmerksam sein, und wenn du das nicht warst, hat dich der Lehrer auch mal bloßgestellt. Es konnte schon passieren, das da mal der Schlüsselbund fliegt, und wenn du Pech hattest, hat der auch schonmal getroffen. Aber es waren jetzt nicht alle Lehrer böse Menschen, also so kann man es ja sowieso nicht sagen, aber es waren schon sehr respektierte Autoritätspersonen, das war nicht so wie heute mit Kumpel und so, fand ich auch besser. Man konnte mit einzelnen mal reden, wie in allen menschlichen Beziehungen hattest du mal mit einem mehr persönliche Berührungspunkte, oder die Eltern kannten den, dann konnte man mit dem reden. Ansonsten war schon als kleines Kind klar, dass man sich eher bedeckt hält.
Generell, wie war der soziale Umgang miteinander? War es so wie heute auch, nur dass man gewisse Themen eben vermeidet, oder hat man z.B. Fremde absichtlich aus Gründen der Sicherheit von sich ferngehalten?
Also, es gab keine Telefone wie heute, die waren für einige wichtige Berufsrichtungen vorbehalten. Man stieg morgens in die Bahn, wo immer jeder am selben Platz saß, und hat sich auf den Platz gesetzt, der immer für einen frei war, und hat sich miteinander unterhalten. Wie geht es dir? Was hast du gestern gemacht? Und man hat politische Themen vermieden. Nur wenn der andere selbst gesagt hat er hat den und den Sender gekuckt, hat man darüber gesprochen. Und es war im privaten Freundeskreis oder familiär so, dass man auch mal unangemeldet vor der Tür stand, das gibts heute gar nicht mehr. Es konnte passieren, dass man unangemeldet 5 Leute vor der Tür hatte, und du wusstest das von keinem.
Spielten Sportereignisse kulturell eine ähnliche Rolle wie heute, oder auch andere Unterhaltungsformen wie Filme oder Fernsehserien? Konnten die Regisseure da prinzipiell viel thematisch abarbeiten, oder wurde eine gewisse Themengruppe bzw. Leitlinie vorgegeben?
Wir hatten zweimal in der Woche eine Doppelstunde Sportunterricht. Unser Sportlehrer war vorher Offizier bei der NVA (Nationale Volksarmee).* Wie die Bundeswehr, nur mit Panzern aus Pappe. „Fußballobsession“ gabs aber und Leute, die da wirklich drauf abgefahren sind, aber die waren auch wirklich gut. Also das muss ich sagen, alle Spitzensportler waren bei uns irgendwie angestellt und wurden bezahlt, wurden aber mit Segen der Partei für nichts anderes beschäftigt als ihren Sport. Also offiziell waren die irgendwo angestellt, aber das stimmte natürlich nicht. Das war, weil die Sportler natürlich auch gut aussehen sollten und dem Westen Konkurrenz machen sollten. Das waren nur die Spitzensportler, natürlich keine mittelmäßigen. Nur die, die zu Wettkämpfen ins Ausland in den Westen fahren sollten. Aber wenn in der DDR ein Film gedreht oder eine Serie gemacht wurde, dann wurde da das DDR-Bild immer sehr geschönt und harmonisiert. Da gabs keinen Gemüseladen, wo es nur Kohl und Äpfel zu kaufen gab, da gabs dann alles. Und in dem Idyll waren alle zufrieden, die waren auch in der Partei alle. Und dann gabs für Kinder halt das Sandmännchen. Das war pädagogisch auch sehr schön gemacht fand ich, aber es muss einem als jemand, der in der DDR nicht gelebt hat, klar sein dass jede einzelne beschissene Serie und jeder Drecksfilm von einer Kommission begutachtet wurde und dann freigegeben wurde, je nachdem ob das sendefähig ist oder nicht, also nach Parteivorgaben. Und so eine Kommission gab es für jeden Künstler, der auftreten wollte, jedes Dreckslied, das eine Rockband geschrieben hat, nichts davon wurde je gesendet oder ausgestrahlt, ohne dass das vorher abgeklopft wurde, ob das ok war. Was natürlich nicht so eine Arbeit war bei so einem kleinen Land mit einem Sender. Um die Frage zu beantworten, manche Künstler haben sich ausgedrückt, aber sehr sehr zwischen den Zeilen, und als DDR-Mensch hat man gelernt, zwischen diesen Zeilen zu lesen.
Wie war der Durchschnittsjournalismus, den man bspw. morgens in der Zeitung gelesen hat? Gab es wie heute Investigativjournalismus (in welcher Form auch immer), wurde Satire betrieben, hat man auch mal die eigenen Parteifunktionäre kritisiert?
Nein. Es gab Satire, die am liebsten den Westen hochgenommen hat, es gab keinen kritischen Journalismus, und schon gar keinen parteiangreifenden Journalismus. Euch muss aber klar sein, dass die DDR zusammenbrach, als ich 18 war, also als Kind hat mich das auch nicht so brennend interessiert, aber woran ich mich erinnere und was ich weiß war, dass Zeitungen komplett parteikonform waren. Und ich kann mich erinnern, wenn die Nachrichten liefen, die DDR-Nachrichten, da wurde die Partei nicht kritisiert und da wurde die Wirtschaft gelobt, weil wieder irgendwo irgendwelche Prozente, also es wurden immer so Wirtschaftsergebnisse veröffentlicht, gebrochen worden waren. Und dass es irgendwas nicht zu kaufen gab, wurde nicht erwähnt, das wusstest du nur von deinem eigenen Einkauf.
Wie oft und genau wurde über die Handlungen der Regierenden medial berichtet, also z.B. Parlamentssitzungen?
Täglich. Es wurden teilweise auch Reden ausgestrahlt, und es wurde halt nicht widersprochen, es wurde nicht kritisch beleuchtet, es wurde immer parteisympathisch berichtet. Es gab auch in der DDR die CDU, aber die gabs halt damit keiner behaupten konnte, es würden Parteien verboten. Aber die SED ist immer mit 98% oder so gewählt worden, weißte ja Bescheid.
Was war der Fokus der Nachrichten? Schaute man besonders oft z.B. auf einzelne bestimmte Sowjetrepubliken, oder wurde eher der Westen beleuchtet? Wie hat man über Russland und generell die Warschauer Pakt-Staaten gesprochen?
Immer als unsere Brüder, das war immer schon von der Wortwahl, so dass es klar war, die und wir gehören zusammen, und über den Westen wurde immer im Zusammenhang berichtet mit Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, und Drogenproblemen. Arbeitslosigkeit war ein Riesenthema. Wohnungsknappheit, Punker als Abschreckung, Punker und Drogen gehörten aus ostdeutscher Sicht ganz eng zusammen, und das war auch eine schizophrene Betrachtung, denn das war ja immer eine sehr heile Welt. Wir haben ja heimlich Westfernsehen gekuckt. Mutti war Zuhause und musste nicht arbeiten gehen, alle hatten ein Auto und einen sehr vollen Kühlschrank. In den Nachrichten hieß es, bei denen läufts nicht, aber es läuft bei uns, aber der Kühlschrank war leer. Also der Osten hat den Westen schlecht gemacht, unterstützt durch Serien und Nachrichten, und die DDR gelobt. Dann hast du als schlauer Ossi aber eben auch die Westnachrichten gekuckt und gehört, im Osten läufts nicht mit der Versorgung und die Jugend wird hirngewaschen mit sowjetischen Parolen, und im Westen ganz offensichtlich nicht, und die flogen in die ganze Welt in den Urlaub und wir immer nur an die Ostsee. Und da nun mal in meinem Fall sämtliche Verwandtschaft im Westen lebte und wir ja hörten, wie die lebten und die auch Fotos mitbrachten, war schon klar, das das so nicht stimmen konnte.
Das war es für den ersten Teil. In der Fortsetzung sprechen wir über das tatsächliche Alltagsleben in der DDR, von Frühstück und Shopping bis zu Urlaub und Einkauf. Bleibt gespannt!
* Die Streitkräfte der DDR waren der SED seit ihrer Gründung 1956 in Form des Ministeriums für Nationale Verteidigung (MfNV) direkt unterstellt. Sie waren ein Instrument gleichzeitig zur Verteidigung Ostdeutschlands nach außen, und zur sozialistischen Herrschaftssicherung im Land selbst. Sie und die Bundeswehr standen sich für mehrere Jahrzehnte an der Grenze zwischen der westlichen Welt und den Warschauer Pakt Staaten mitten in Deutschland gegenüber.