11. Juli 2021, London. Tag des Fußball- EM Finales Italien gegen England.
Verwirrt und doch begeistert stehe ich am Piccadilly Circus der Londoner Innenstadt. Schon fast 10 Monate meines Auslandsjahres sind vergangen und ich kenne diese Stadt inzwischen fast so gut wie meine Heimatstadt. Doch so chaotisch und menschenüberlaufen habe ich sie noch nie erlebt. Kein Wunder, heute spielt die englische Nationalmannschaft im Finale der Europameisterschaft gegen Italien. Die britischen Fußballfans feiern ausgelassen, Fußbälle werden durch die Gegend gekickt und es wird viel zu häufig „It´s coming home!“ gegrölt. Ich wollte mir unbedingt ein eigenes Bild davon machen, wie hier Fußball gefeiert wird, doch lange bleibe ich nicht am Piccadilly Circus, da ich nicht unbedingt von betrunkenen Fans herumgeschubst, oder mit einem Fußball abgeworfen werden wollte.
Woher kommt eigentlich der Satz: "It´s coming home" und wie ist er so populär geworden?

Der Satz „It´s coming home“ stammt ursprünglich aus dem Song „Three Lions“, welcher von der Band „Lightning Seeds“ speziell für die Europameisterschaft 1996 geschrieben wurde, die in England ausgetragen wurde. Mit dem einprägsamen Song-Refrain bezieht man sich in dem Lied auf den Fußballsport, der endlich wieder nach Hause kommt. Gerne wird England als Mutterland der Sportart gesehen und so schrieb die Liverpooler Rockband einen Song, der dieses Gefühl während der EM im Heimatland ausdrückt. Mit dem Titel „Three Lions“ ist dabei die englische Nationalmannschaft gemeint, die aufgrund des Wappens diesen Spitznamen trägt. Schnell wurde das Lied aber auch über die Grenzen hinaus bekannt. Auch in Deutschland hört man den Song oft bei Fußball-Events. Aktuell befindet sich Three Lions sogar wieder in den Top 100 UK-Charts.

Für alle, die den Song noch einmal in voller Länge genießen wollen:

 

Etwas später, mit Blick auf das London Eye, welches ich nachts schon immer am schönsten fand, da es pink leuchtet, sehe ich mir mit einer Freundin das Spiel an. Da natürlich alles ausgebucht ist, sitzen wir außerhalb eines Restaurants neben der von der Nacht geschwärzten Themse und versuchen durch die Fenster ein paar Blicke auf den Bildschirm zu erhaschen.
Es ist schon eine komische Situation. Die Steine, auf denen wir sitzen sind eiskalt, wir hätten uns das Spiel natürlich auch zu Hause anschauen können, aber es in Londons Innenstadt mitzubekommen, ist ein Erlebnis, das ich nicht verpassen wollte. Es setzen sich immer mehr Menschen zu uns, die womöglich den gleichen Gedanken hatten. Vom Spiel selbst bekomme ich anfangs nicht so viel mit, bis gegen Ende auf einmal alle Menschen gebannt um den Fernseher herumstehen, um die entscheidenden Elf-Meter mitzubekommen. Anfangs sieht es noch gut für England aus, doch der letzte entscheidende Schuss geht leider daneben.
Nun ist es also entschieden. Italien gewinnt mit einem 3:2 und England verliert somit das Finale der Europameisterschaft 2021. In diesem Moment kommt mir London zum allerersten Mal still vor. So still, dass es fast schon gruselig ist. Von den noch 3 Stunden zuvor so fröhlich feiernden Fußballfans ist nichts mehr zu hören und es ist, als würde die ganze Stadt schweigen. Und wie in einem schlechten Hollywood-Drama, dafür aber typisch für London, fängt es dann auch noch an zu regnen.
„We should leave as soon as possible!“, sagt meine britische Freundin zu mir und wir fangen an, durch den Regen zu unserem roten Doppeldecker- Bus zu rennen. Wir beeilen uns, da wir etwas Angst vor aufgebrachten, betrunkenen Fußballfans haben, die möglicherweise gleich ausrasten könnten. Doch alles bleibt still – vorest.

 

Als ich am nächsten Tag von den vielen, teils auch rassistischen Beleidigungen gegenüber 3 Spielern der englischen Nationalmannschaft höre, wird mir schlecht. Dass die Engländer enttäuscht waren, ist verständlich, doch dafür die 3 jungen Spieler Saka (19 Jahre), Rashford (23 J.) und Sancho (21 J.) verantwortlich zu machen, sie hatten ihre Elf Meter verschossen, und es dann auch noch mit ihrer Hautfarbe begründen zu wollen, ist einfach nur ekelhaft.
Ich frage mich daraufhin, ob europäischer Sport nicht eigentlich dazu da ist uns zusammenzubringen? Gerade mit EM-Spielen verbinde ich immer lustige Abende zusammen mit meiner Familie oder meinen besten Freund:innen und mit lächerlich patriotischen Fußball Fan-Artikeln. Generell spielt europäischer Sport, gerade Fußball in Europas Kultur schon immer eine große Rolle und ist zudem auch der beliebteste unter den Sportfans. Dieser Erfolg ist vermutlich auf seine Einfachheit, gebraucht wird lediglich etwas Platz, Markierungen für das Tor und ein Ball, zurückzuführen, durch welche er von jedem ausgeführt werden kann. Erste Versionen des Fußballs gehen außerdem sogar bis ins dritte Jahrhundert vor Christus ins antike Griechenland und alte Rom zurück.
Vielleicht ist also diese lange Geschichte ein Grund für die tiefe Verbindung vieler Fans zum Sport und kann womöglich auch erklären, warum viele sehr emotional werden, wenn ihr Team dann nicht gewinnt. Doch dies sollte niemals Grund sein, andere Menschen persönlich oder im Netz anzugreifen und auch noch rassistisch zu beleidigen.
Abschließend kann ich nur sagen, das Finale live in London mitzubekommen, war definitiv eine der eindrucksreichsten Erfahrungen meines Auslandsaufenthalts, doch vermutlich werde ich die nächste EM lieber wieder zu Hause mit meiner Familie und ohne herumfliegende Fußbälle verfolgen. Denn dieses Beisammen sein macht europäischen Sport für mich aus und ich kann nur hoffen, dass sich auch leidenschaftliche Fans eines Tages dessen bewusst werden und Fußball weiterhin zelebrieren können, ohne dafür einzelne Spieler beleidigen zu müssen.