Die Situation an den Außengrenzen der Union konfrontiert ihre Institutionen, sowie Mitgliedsstaaten mit ihrer moralischen und rechtlichen Verantwortung. Vertraglich ist die Haltung der Union insbesondere zum Thema Asyl klar geregelt, in der Realität sieht die tatsächliche Umsetzung Europäischer Grenzpolitik jedoch anders aus. Während wir uns im ersten Teil dieses Zweiteilers vor allem mit der normativen Ausgangssituation sowie der aktuellen Situation an den europäischen Außengrenzen beschäftigt haben, wird es im Folgenden vor allem um die institutionelle Seite der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik gehen und die zentrale Frage: Wer trägt politische Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen an Europas Grenzen – und wie funktionieren die entscheidenden EU-Institutionen?
Ein zentraler Akteur der europäischen Grenzpolitik ist die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex. Gegründet im Jahr 2004, mit ihrem Sitz in Warschau soll die Agentur die EU in allen Fragen rund um Grenzsicherheit und Migration mit ihrer Expertise und ihrem Management unterstützen. Auf der Seite der Europäischen Union wird das Aufgabengebiet von Frontex wie folgt definiert: „Frontex hilft den EU-Ländern und deren Nachbarn, schützt den Schengen-Raum und macht diesen sicherer. Frontex ist ein bedeutendes operatives Gremium der Europäischen Union. Die Ständige Reserve besteht aus mehr als 2000 Einsatzkräften, die an den EU-Außengrenzen tätig sind. Patrouillenfahrzeuge, Flugzeuge und Boote bieten den nationalen Behörden zusätzliche Unterstützung bei der Grenzkontrolle und Kriminalitätsbekämpfung.“ Jedoch steht die Agentur auch immer wieder in der Kritik, so wird Frontex die Involvierung in den im ersten Teil bereits beschrieben illegalen Pushbacks vorgeworfen. Zusammen mit den Küstenwachen der jeweiligen Mitgliedsstaaten, sollen Frontex-Mitarbeitende Schutzsuchende an den Außengrenzen immer wieder zurückgedrängt haben – Vorgänge die auch immer wieder zum Tod von Hilfesuchenden geführt haben. Überwacht wird Frontex zwar von einem Verwaltungsrat, jedoch kamen insbesondere aus dem EU-Parlament immer wieder kritische Stimmen, die angesichts der Rechtsverletzungen durch Frontex die mangelnden Kontrollmöglichkeiten kritisierten. Denn, der Verwaltungsrat setzt sich nur aus Mitgliedern der Mitgliedsstaaten und der Europäischen Kommission zusammen, das EU-Parlament ist nicht beteiligt. Die Europäische Kommission, eigentlich das Exekutivorgan der EU, sowie die Vertreter*innen der Mitgliedsstaaten legen die grundlegenden Aufgaben für Frontex fest und fällen allgemeine Entscheidungen für die Agentur zusätzlich zu ihrer Kontrollfunktion.
Während Frontex die europäische Abschottungspolitik umsetzt, wird sie politisch vom Europäischen Rat und den Mitgliedsstaaten entschieden. Laut eigener Aussage setzt sich der Rat für „eine wirksame, humanitäre und sichere europäische Migrationspolitik“ ein. Diese Prioritäten seien handlungsweisend in allen Entscheidungen der Union für alles rund um das Thema Asyl. Ein großer Fokus bei der Steuerung der europäischen Migrationspolitik durch den Rat liegt hierbei auf der Vereinheitlichung der Europäischen Migrationspolitik und den Prozessen in den Mitgliedsstaaten. Auch soll es darum gehen, die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten zu stärken, denn die „Belastung durch Migranten“ sei in einigen Mitgliedsländern höher als in anderen. Der Rat ist eine zentrale und mächtige Institution innerhalb der Europäische Union und legt vor allem die politischen Zielvorstellungen für die EU fest. Die Aufgabe, über die europäische politische Agenda zu entscheiden, lässt dem Rat auch eine zentrale Rolle in der europäischen Migrations- und Asylpolitik zukommen, da der Rat diese durch politische Richtungswechsel steuern kann.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist eine zentrale Institution, wenn es um die Europäische Grenzpolitik geht. In der Vergangenheit verurteilte er beispielsweise Italiens Abkommen mit Libyen, da Drittstaaten wie Libyen oft die Europäischen Menschenrechte oder die Grundrechtscharta nicht ratifiziert haben. Das Verhindern des Erreichens des Europäischen Festlands durch die Kräfte der Drittstaaten ist nach Urteil des Gerichtes nicht Rechtens, da Flüchtenden die Möglichkeit auf ein Europäisches Asylverfahren genommen wird. Gleichzeitig wird ihm aber vorgeworfen, die Realität an den Außengrenzen der Europäischen Union zu ignorieren, nachdem mehrere Verfahren wegen illegalen Pushbacks ins Leere verliefen.
Durch Akteure wie Frontex ist die europäische Grenzpolitik längst institutionalisiert und Europäische Verträge bieten die normative Grundlage, in der Theorie, um allen ein faires Verfahren zu ermöglichen, in der Realität scheinbar jedoch um die „Festung Europa“, wenn nötig mit Gewalt zu errichten. Die zentrale Rolle des EU-Rates und der Mitgliedstaaten verdeutlicht, dass diese Entwicklung kein institutionelles Versagen, sondern Ergebnis bewusster politischer Steuerung ist. Solange Verantwortung ausgelagert und Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen politisch relativiert werden, bleibt der Widerspruch zwischen Anspruch und Praxis konstitutiv für das Projekt EU, die sich immer mehr abschottet.
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Quellen:
- https://european-union.europa.eu/institutions-law-budget/institutions-and-bodies/search-all-eu-institutions-and-bodies/frontex_de
- https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/frontex-pushbacks-eu-100.html
- https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/172372/herausforderungen-europaeischer-grenzpolitik/
- https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-migration-policy/
- https://www.theguardian.com/global-development/2021/may/05/revealed-2000-refugee-deaths-linked-to-eu-pushbacks
- https://www.humanistische-union.de/publikationen/vorgaenge/208/publikation/out-of-control-vollstaendig/
- https://european-union.europa.eu/institutions-law-budget/institutions-and-bodies/search-all-eu-institutions-and-bodies/european-council_de