Sünde, Jesus, Lügenpropheten, Geschwister, Bipolare Ewigkeit – Worte, die im Kopf bleiben nach der sonntäglichen Predigt in der St. Martinigemeinde in Bremen. Pünktlich um 10 Uhr beginnt in der backsteingotischen Kirche am Weserufer der Gottesdienst. Das Rascheln von Jacken findet ein jähes Ende, die letzten Sätze werden geflüstert und die Nachzügler*innen huschen durch die Gänge. Der christliche Frauenchor Ost-Westfalen stimmt an zu „Meine Seele findet Frieden mit dir“ und setzt den Ton für den heutigen Gottesdienst zum Ewigkeits- oder auch Totensonntag.

Der Pastor, der am 23.11 in der Gemeinde spricht, ist kein unbeschriebenes Blatt. Angezeigt wegen Volksverhetzung, geht der Fall Latzel in vier Fällen vor Gericht in mehreren Instanzen. Zunächst vom Bremer Amtsgericht für schuldig befunden, dann vom Bremer Landesgericht zurückgenommen und dann 2024 die Verfahrenseinstellung gegen 5000 Euro an ein queeres Zentrum. Olaf Latzel ist überregional bekannt und gilt mindestens als kontrovers.

Die Gemeinde scheint das nicht zu stören, die Kirche ist fast bis auf den letzten Platz besetzt. Nachdem die Namen der im letzten Kirchenjahr verstorbenen Gemeindemitglieder verlesen wurden, geht es erst richtig los. Latzel nutzt Worte, die die wenigsten aus ihrem letzten Gottesdienstbesuch in einer 0815 protestantischen Kirche kennen dürften. So spricht er zunächst nur von „ewiger Verdammnis“ und kommt dann doch noch richtig in Fahrt. „Ich freue mich richtig auf den Tag, an dem ich sterben darf“ proklamiert der Pastor, denn er trage Jesus im Herzen und er wisse, dass auf ihn die Ewigkeit und Herrlichkeit Gottes warte. Für Nichtgläubigen findet er deutliche Worte: „Ihr, die ihr hier heute Morgen sitzt und Jesus noch nicht angenommen habt und sagt: „Was predigt der mich den so hardcore an?“ Eines Tages, wenn du Jesus nicht angenommen hast und tatsächlich in der Hölle gelandet bist, wirst du dir nur eins wünschen: Ich hätte dich noch viel härter an gepredigt.“

Diese Gemeinde glaubt an die Hölle und zumindest der Pastor glaubt auch, dass Suizid eine Sünde und der Klimawandel nicht real sei. Die Kirchengänger*innen hängen an seinen Lippen, nur die Jüngsten können dem Mann vorne nicht so ganz folgen. Unruhig wippen zwei Brüder hin und her, gucken sich auf der Suche nach etwas interessantem in der Kirche um. Ein kleines Mädchen malt in ihrem Buch und klettert dann doch über Mamas Schoss, um an ihren Rucksack zu kommen, in dem sich noch mehr Spielzeug für sie befindet. Nicht alle Kinder verschwinden nach der ersten halben Stunde zum Kindergottesdienst, einige müssen auf ihren Plätzen bleiben und kassieren für ihre Unaufmerksamkeit einen warnenden Blick von einem Erwachsenen oder einen Stupser mit dem Ellenbogen, wenn sie beim Gebet nicht stillstehen.

Der Gottesdienst neigt sich dem Ende zu und nun kommt eine junge Konfirmandin nach vorne. Sie ist etwa acht Jahre alt und soll der Gemeinde zeigen, was sie im Konfirmationsunterricht gelernt haben. Den ersten Psalm kann sie auswendig und ihn viel schneller aufsagen als alle anderen. Er lege viel Wert auf Auswendiglernen, denn daraus werde Inwendig lernen, so der Pastor. Er will die Konfirmand*innen davor schützen auf „Lügenpropheten“ oder „falsche Pastoren“ reinzufallen. Vielleicht ist die Konfirmandin deswegen so jung, denn wen einem von klein auf erzählt wird, bei falschem Glauben wartet die Hölle auf einen, hinterfragt man es vielleicht nicht.