Februar 1988. Nicholas Winton sitzt nichtsahnend im Publikum der BBC-Sendung „That‘s Life!“. Er glaubt, einfach nur Zuschauer zu sein – bis die Moderation beginnt, von einem unbekannten Helden zu erzählen. Sie erzählt die Geschichte eines Mannes, der 669 jüdische Kinder aus der Tschechoslowakei vor dem Holocaust gerettet hat. Dann bittet sie das Publikum aufzustehen – alle, die diesem Mann ihr Leben verdanken. Um den älteren Herren herum erheben sich nach und nach die Menschen, bis schließlich kein Platz mehr besetzt ist. Winton blickt um sich, Tränen steigen ihm in die Augen. Jeder einzelne von ihnen verdankt ihm sein Leben. Fünfzig Jahre lang hatte dieser Mann über seine Taten geschwiegen.

Januar 1933. Adolf Hitler kommt in Deutschland an die Macht – und ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Der Antisemitismus breitet sich rasant in Nazi-Deutschland aus, und schon bald sehen Hunderttausende deutsche Juden und Jüdinnen nur noch in der Flucht einen Ausweg. Doch kaum ein Land ist bereit, sie aufzunehmen. Die Tschechoslowakei scheint zunächst ein Zufluchtsort zu sein, doch auch dort wächst die Gefahr.

Im September 1938 beginnt mit dem Münchener Abkommen die Annexion großer Teile der Tschechoslowakei durch das Deutsche Reich. Verfolgung und Gewalt gegen Jüdinnen und Juden eskalieren, Deportationen und Morde folgen. Großbritannien reagiert – und beschließt, rund 10.000 jüdischen Kindern die Einreise zu ermöglichen. Britische Freiwillige reisen nach Prag und in andere besetzte Gebiete, um Visa, falsche Papiere und Transporte zu organisieren.

Zu ihnen stößt bald ein Mann, der eigentlich gar nicht dort sein sollte: Nicholas Winton, ein junger britischer Börsenmakler jüdischer Abstammung. Eigentlich wollte er im Winter 1938 zum Skifahren in die Schweiz reisen – doch nachdem er vom Hilferuf aus Prag hört, ändert er spontan seine Pläne. Was er dort sieht, lässt ihn nicht mehr los: verzweifelte Familien, hungernde Kinder, Hoffnungslosigkeit. Winton beschließt zu handeln.

Er beginnt, Listen mit Namen anzulegen, Visa zu beantragen und Pflegefamilien in Großbritannien zu suchen. Mit großer Entschlossenheit organisiert er die Flucht jüdischer Kinder aus Prag. Am 14. März 1939 verlässt der erste Zug mit rund 200 Kindern den Prager Hauptbahnhof in Richtung London – in eine ungewisse, aber sichere Zukunft. Da die britische Regierung die Einreise unter der Bedingung erlaubte, dass jedes Kind eine Pflegefamilie und 50 Pfund bereitstehen.

Nur einen Tag später maschieren die Nazis in Prag ein. Die Rettungsmission scheint verloren, doch erstaunlicherweise greifen die deutschen Behörden kaum ein. So können acht weitere Kindertransporte Prag verlassen und Hunderte Leben retten.

Dann kommt der Tag, an dem alles endet: Der 1. September 1939. Die deutsche Wehrmacht überfällt Polen, der Zweite Weltkrieg beginnt und alle Grenzen werden geschlossen. Der neunte und größte geplante Transport mit 250 jüdischen Kindern kann Prag nicht mehr verlassen. Sie alle werden Opfer des Holocaust. Keines von ihnen überlebt.

 

Nach dem Krieg gerät Wintons beispiellose Rettungsaktion in Vergessenheit. Erst Jahrzehnte später wird sie zufällig entdeckt: 1988 findet seine Frau Greta auf dem Dachboden einen alten Koffer mit Listen, Fotos und Briefen. Sie übergibt die Dokumente der Öffentlichkeit, und plötzlich erfährt die Welt von der unglaublichen Geschichte eines Mannes, der nie Anerkennung gesucht hatte.

Im Dezember 2002 wird Nicholas Winton von Königin Elisabeth ||. zum Ritter geschlagen. Ein Zug, eine Straße und ein Meteorit tragen heute seinen Namen. Außerdem wird er drei Mal für den Friedensnobelpreis nominiert. Nicholas Winton bewies, dass wahre Größe oft leise handelt – und dass ein einzelner Mensch mit Mut, Mitgefühl und Entschlossenheit die Leben von Hunderten verändern kann.