Der fortlaufende Novembernieselregen schwingt um zu schweren Regentropfen, die auf meine soeben angezogene Jacke prallen. Die Lichter der vorbeirasenden Autos spiegeln sich in den Pfützen der durch die Laternen beleuchteten Autobahn. Meta reicht mir das Warndreieck, mit welchem ich einige Meter hinter unser Auto gehe und es neben einer der vielen Pfützen aufstelle – Wo bin ich hier nur wieder gelandet?
Einige Stunden zuvor saß ich noch im warmen Zug aus der Schweiz auf meinem Weg in Richtung Grado, einer kleinen Stadt direkt an der Adriaküste auf dem letzten Drittel zwischen Venedig und Triest. Dort sollte ich für die kommenden Monate bei den Bardinis, meiner Au-Pair Familie leben. Wir hatten uns einige Wochen zuvor über eine Zoomkonferenz kennengelernt und heute war der Tag, an welchem wir uns endlich persönlich kennenlernen würden. Doch dann kam die metallisch rauschende Durchsage des italienischen Zugführers, dass die Fahrt aufgrund des aufkommenden Unwetters „Ciaran“, leider ab dem nächsten Bahnhof enden würde – Das hatte mir gerade noch gefehlt! Meta und ich, eine junge ZFA (Zahnmedizinische Fachangestellte) aus Slowenien, welche ich soeben auf der Zugfahrt kennengelernt hatte, schauten uns entgeistert an. Was sollte das nun wieder heißen???
Wenige Minuten später standen wir mit unserem Gepäck auf einem der Bahnsteige, dem Venedig vorgelagerten Bahnhof „Venezia Mestre“. Wie sich herausstellte, war Meta ebenso wie ich auf dem Weg in Richtung Osten, sie zurück nach Slowenien, nachdem sie eine Freundin in Verona besucht hatte, sodass wir überlegten, gemeinsam eine Lösung für unseren restlichen Weg zu finden.
Erstmal Treppe runter, Treppe rauf. Unser erster Stopp war das Informationszentrum des Bahnhofs, an welchem wir nach einer angespannten Pause, in der sich durch das gesamte Gebäude schlängelden Schlange erfuhren wir, dass es wohl noch einen Zug zumindest in unsere Richtung geben würde. Ein erster Lichtblick, während sich gleichzeitig die Wolken am Himmel immer weiter zuzogen! Treppe runter, Treppe rauf. Doch als wir nach kilometerlangen Treppen den Richtigen Bahnsteig erreichten, offenbarte uns die in orange leuchtender Schrift flackernde Informationstafel, dass jener Zug auch soeben, „gecancelt“ wurde – Verdammt. Also zurück in die Warteschlange. Treppe runter, Treppe rauf. Die offenbar zurecht stark gestresste Dame im Informationsschalter schlug uns hektisch vor, es noch einmal mit dem nächsten, dem letzten Zug, zu probieren, welcher in 5 Minuten käme. Also ein letzter Sprint, Treppe runter, Treppe rauf, Zug! Dieser zu unserem Glück just in diesem Moment in den Bahnhof einrollte.
Im überfüllten, von schwüler Luft erfüllten Zug stehend, blieb jedoch eine Frage, wie wir von hier an weiterkämen, denn unser Zug würde uns nur gut 60 Kilometer voranbringen. Was für mich nicht einmal die Hälfte und für Meta gerade mal ein Viertel der Strecke bedeutete. Als Meta die Nummer ihres jüngeren Bruders wählte, welcher sie eventuell von unserem Endbahnhof in „Portogruaro“ abholen würde – Mehr aus Spaß als wirkliche Idee, fragte ich sie ob sie mich eventuell von dort aus ein Stück in Richtung Grado mitnehmen könnten.
Nach einigen Minuten des hin und her Telefonierens, folgte sodann ein neuer Schlachtplan: Metas Bruder würde sich nun mit ihrer Mutter auf den Weg aus Slowenien nach Italien machen, um uns am Bahnhof abzuholen. Ich schrieb eine kurze Nachricht an Laura, meiner Au-Pair Mutter, das ich eine Lösung für „unser Problem“ gefunden hätte und hoffentlich bald in Grado ankommen würde.
In „Portogruaro“ angekommen, fühlten sich die Minuten des Wartens wie Stunden an, bis schließlich ein silberner „Peugeot Tepee“ auf den Bahnhofsparkplatz vorfuhr. Im Auto saßen ihr Bruder und ihre Mutter. Mein Ersteindruck, schwer sympathische Leute – so ein Glück!
Die nassen Rucksäcke im Kofferraum verstaut, starteten wir unsere Fahrt, zunächst aus der Stadt heraus, dann auf die Autobahn. Der von den Scheinwerfern angeleuchtete Nieselregen, zeichnete ein einladendes Bild für meine Zeit in Italien, doch das schlechte Wetter außerhalb des Autos hielt uns nicht davon ab, mit voller Euphorie zu den Liedern im italienischen Radio mitzusingen. Bis vor uns auf der Straße ein Bauteil unsere freudige Fahrt zum Stoppen bringt.
Ein lauter Knall verbunden mit dem Absacken des hinteren linken Reifens, beinah schleudernd, kommen wir auf dem rechten Standstreifen unter lautem Scheppern zum Stehen – Dat kann doch jetzt nicht wahr sein! Meta und ich schauen uns entgeistert an. Der Reifen ist geplatzt! Ich streife mir meine Jacke über und stelle das Warndreieck, welches Meta mir anreicht, einige Meter hinter unserem Auto neben eine der Pfützen auf. Die Lage entpuppt sich als äußerst ungünstig, insofern als dass das Wechseln des Reifens hier nicht möglich ist.
Die fröhliche Musik der Warte-es-wird-alles-gut-Musik scheint fast schon ironisch. „Leider können wir Ihnen da nicht helfen“, kratzt es von der anderen Seite der Leitung. „Mies!“ Der italienische Abschleppdienst scheint keine Zuständigkeit bei uns zu sehen. Die fröhliche Musik der Warte-es-wird-alles-gut-Musik ertönt erneut. Ein erneutes Kratzen am Ende der anderen Leitung. Leider ist das für uns nicht möglich, wir können Ihnen leider nicht helfen, rufen sie am besten bei einem italienischen Abschleppdienst an, erklärt uns der slowenische Sachbearbeiter. Mega! Also, ein weiterer Versuch, dieses mal bei einem anderen Abschleppdienst. Die fröhliche Musik der Warte-es-wird-alles-gut-Musik kratz wieder von der anderen Seite der Leitung. „Da müssten wir einmal schauen, es sei gerade keiner in der Nähe frei, das könne einige Zeit in Anspruch nehmen“, so die Antwort, also weiter warten.
Doch gut eine dreiviertel Stunde später, reflektiert die nasse Straße wie zerbrochene Spiegel das orangene Blinklicht des Abschleppwagens. Doch wie sich herausstellt, bietet der Abschleppwagen nicht genügend Platz für uns vier, sodass der Mann sich dazu entschließt, das Auto inklusive uns zum nächsten Parkplatz hin abzuschleppen. Unter Schaukeln und Ruckeln schiebt sich das Fahrzeug Stück für Stück die Ladefläche hinauf. Der Abschleppwagen und das darauf geladene Auto, welches wiederum uns geladen hat, setzen sich in Bewegung. Wenig später kommen wir auf einem Parkplatz zum Stehen. Doch als wir unsere nassen Rucksäcke aus dem Kofferraum heben, um den dort gelagerten Reifen herauszuholen, Überraschung. Dort, wo wir unseren Ersatzreifen erwartet hätten, offenbarte sich eine gähnende Leere. Wir schauen uns entgeistert an, bis der Mann den Einfall hat, dass sich der Reifen auch unterhalb des Autos befinden könnte, von wo er tatsächlich wenig später den Reifen hervorholt und durch den kaputten ersetzt.
Zurück im warmen Auto geht die Fahrt in Richtung Grado weiter. Ich informiere meine Gastfamilie, um einen Treffpunkt aus zumachen. Gut eine Dreiviertelstunde später, treffen wir uns auf einem Parkplatz in Monfalcone. Die zwei sich mit ihren Scheinwerfern anstrahlenden Autos halten auf dem verregneten Parkplatz, der Austausch wirkt schon vielmehr wie eine Szene aus einem alten italienischen Gangsterfilm. Doch schlussendlich findet meine Reise ein Ende und ich steig nach herzlicher Verabschiedung meiner neuen slowenischen Freunde und werde herzlich von meiner italienischen Au-Pair Familie begrüßt. Ein neues Kapitel beginnt.
Nun manchmal, entpuppt sich der etwas unvorhersehbarer und ungeplante Weg als eine neue Chance für die besten Erfahrungen. Insofern möchte und kann ich nur jeden dazu ermutigen und einladen hinaus in die Welt zu gehen und mit offenen Augen neue Dinge zu erleben und zu erfahren.