„Ihr habt Blut an den Händen“ mit diesem Slogan ziehen seit einem Jahr Proteste durch ganz Serbien. Die Bewegung mit dem Symbol der blutigen Hand versetzt das Land seit dem 01.11.2025 in einem Dauerzustand der Demonstrationen und vor zwei Wochen, am 01. November 2025 jährte sich der Auslöser für die Proteste in Serbien zum ersten Mal. Vor einem Jahr stürzte das Bahnhofsvordach des frisch renovierten Bahnhofs in Novi Sad ein und war der Grund für 16 Tote und viele Verletzte. Aus den einstigen Forderungen nach einer lückenlosen Aufklärung haben sich nationale Proteste mit weitaus mehr Forderungen an den Präsidenten Aleksander Vučić und seine Regierung entwickelt.
Wer steckt hinter den Protesten und was sind ihre Forderungen?
Der Motor der Bewegung sind Student*innen in ganz Serbien, die die Bewegung organisieren und anführen. Zum Beispiel in der Universitätsstadt Novi Sad mit der Aktion „In jedem Dorf ein Student“. Die Teilnehmer*innen erhoffen sich mit diese Aktion, über die Geschehnisse im Land zu informieren, einen Austausch mit Bürger*innen zu schaffen und Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen für die Bewegung zu mobilisieren. Außerdem wurden im ganzen Land Universitäten besetzt, um auf die Vorkommnisse und den gewaltvollen Umgang mit Demonstrierenden aufmerksam zu machen. Die Student*innen bekamen dafür auch viel Unterstützung von Dozent*innen und Professor*innen. In den besetzten Universitäten fanden Vorträge und Diskussionsrunden statt.
Die Demonstrationen setzten sich aber nicht nur aus Student*innen zusammen, die Anhänger kommen aus vielen Teilen der Gesellschaft und teilen sich oft keine gleichen politischen Meinungen. Was sie vereint, sind die gleichen Ziele der Protestbewegung.
Wodurch sich die Bewegung noch auszeichnet, ist ihre EU kritische Einstellung. Die Bewegung fühlt sich von der EU im Stich gelassen. Erst im Oktober 2025 hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Kritik an der eingeschränkten Medienfreiheit und der sich zurückbildenden Rechtsstaatlichkeit geäußert. Für viele Teile der Protestbewegung kam das deutlich zu spät. Grund dafür sehen sie im EU-Lithium-Abkommen mit Serbien. Durch das Abkommen soll der Lithium-Vorrat für die europäische Autoindustrie garantiert werden. Vor einer öffentlichen Verurteilung Vučićs wollte die EU zuerst das Abkommen sicherstellen.
Zum einen geht es konkret um die Aufarbeitung des Unglücks in Novi Sad. Durch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft kam heraus, dass intransparente Bauverfahren und eine schlechte Ausführung zum Einsturz des Daches führten. Außerdem wurden Korruptionsvorwürfe erhoben, da Geld für die Renovierung in private Taschen geflossen sei. Eine transparente Aufarbeitung sei nicht nur für die Angehörigen der Opfer wichtig, sondern würde auch das fehlerhafte und korrupte Vorgehen der am Bauprojekt beteiligten Politiker zeigen. Aus diesen Korruptionserkenntnissen haben sich weitere Forderungen in Bezug auf verschiedene Bereiche gebildet
Ein zentraler Punkt ist die Forderung nach Neuwahlen. Da sich die Bewegung von der parteipolitischen Opposition distanziert, haben sie ihre eigene studentische Wahlliste aufgestellt. Die Opposition übe nicht genug Kritik an Vučić und seine Regierung und sei somit wirkungslos. Umfragen der Meinungsforscherinstitut Sprint Insight aus Juli dieses Jahres belegen, dass die Studentenliste bei einer morgen stattfindenden Wahl, Vučić mit mehr als zehn Prozent besiegen würde. Da Vučić jetzt erstmals vorgezogene Neuwahlen vor Ende der Legislaturperiode im Dezember 2027 angekündigt hat, diese aber noch nicht genauer in Aussicht stehen, richten sich weitere Forderungen an die Regierung. Zum einen fordern sie, dass die Rechtsstaatlichkeit wiederhergestellt wird und somit korrupte Politiker*innen haftbar gemacht werden können.
Zum anderen strebt die Protestbewegung an, dass alle bei den Protesten inhaftierten Menschen wieder freigelassen werden. Vučić und seine Partei, die Serbische Fortschrittspartei (SNS), haben die Polizei bei Protesten mobilisiert, um gegen die Demonstrant*innen vorzugehen. Dabei kommt es immer wieder zu Gewalt und Festnahmen von Teilnehmer*innen, auch kürzlich wieder bei Gedenkprotesten in der Hauptstadt Belgrad am 01.11.25.
Eine dritte Forderung ist das Recht auf Pressefreiheit und die damit einhergehende unabhängige Berichterstattung. Die Regierungspartei hat die Kontrolle über das Fernsehen, welches in der serbischen Bevölkerung das beliebteste Medium ist. Laut Reporter ohne Grenzen erhalten regierungskritische Organisationen außerdem kaum Zugang zu öffentlichen Informationen und Interviewpartner*innen. Zusätzlich geht die Justiz kaum gegen Angriffe auf Journalist*innen vor. Die Protestbewegung erhofft sich durch eine vom Staat unabhängige und beidseitige Berichterstattung, mehr Aufklärung über das korrupte Vorgehen der Regierung zu bringen.
Quellen
https://www.transparency.org/en/cpi/2015
https://www.oeaw.ac.at/news/serbien-wie-ein-bahnhofsunglueck-eine-generation-auf-die-strasse-treibt
https://www.boell.de/de/2025/03/14/fuehrt-serbiens-protestbewegung-zu-einem-demokratischen-neuanfang
https://www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/politik/serbien-studentenproteste-100.html#sprung0
https://www.boell.de/de/2025/09/04/serbien-die-unzufriedenheit-muendet-zivilen-ungehorsam
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/statement_25_2388
https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/laender/162/serbien
https://kurier.at/politik/ausland/novi-sad-belgrad-vucic-proteste-festnahmen-kundbegung/403099427
