Neben den Berggipfeln der Alpen und ihrer berühmten Schokolade, gibt es vor allem einen zentralen Aspekt, welchen Menschen aus aller Welt mit der Schweiz verbinden, nämlich: Die politische Neutralität der Schweiz.

Diese gehört seit mehr als 200 Jahren fest zur Schweizer Identität und verhindert einen Beitritt der Schweiz in supranationale Organisationen der westlichen Welt wie der EU und der NATO. Einzig den Vereinten Nationen (UN) trat die Schweiz im Jahr 2002 bei, was jedoch keine Auswirkung auf die Außenpolitik der Schweiz bedeutete. Sowieso ist eine grundlegende Abkehr der Schweizer Neutralität in absehbarer Zeit umdenkbar, zu fest verankert scheint das Prinzip der Neutralität in der Schweizer Bevölkerung zu sein. So befürwortet laut einer Studie des ETH Zürich aus dem Jahr 2024, eine überwältigende Mehrheit von 91% die Aufrechterhaltung der politischen Neutralität.

Allerdings stellt sich mit Blick auf die aktuelle Weltlage immer mehr die Frage, inwiefern die Schweiz als Binnenstaat in Mitteleuropa, überhaupt als neutraler Akteur in der Weltpolitik agieren kann. Deshalb lohnt es sich, die Positionen der Schweiz vor allem auf sicherheits- und verteidigungspolitischer Ebene seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu befassen.

Geschichte der schweizer Neutralität

Zunächst erst einmal ein Blick in die Vergangenheit: Der historische Ursprung der Schweizer Neutralität geht auf den Wiener Kongress 1815 zurück. Die Siegermächte der Koalitionskriege verhandelten über eine Neuordnung der Grenzen in Europa, nach der Niederlage Napoleons. Dabei einigten sie sich darauf, die Schweiz, die bis dato ein Vasallenstaat von Frankreich unter Napoleon war, als neutrale Pufferzone zu erklären. Mit dem Zweiten Pariser Frieden garantierten die Siegermächte, die Unabhängigkeit der Schweiz zu respektieren und ordneten im Gegenzug an, dass sich Schweiz in kriegerischen Konflikten, neutral zu verhalten habe.

Den Einschätzungen mehrerer Historikern zufolge, ist die Neutralität der Schweiz als Resultat von Meinungsverschiedenheiten zwischen Frankreich, Österreich und Preußen auf dem Wiener Kongress zu betrachten. So zeigten diese Mächte allesamt Interesse daran, die Schweiz in ihr Territorium einzugliedern, jedoch gelang es niemanden diesen Plan durchzusetzen, weshalb die Erklärung der Schweiz als neutrales Gebiet eine Art Kompromisslösung zwischen den Mächten darstellte.

Interessanterweise ging die bis heute akzeptierte und identitätsgebende Neutralität somit nicht aus Eigeninitiative der Schweiz hervor, sondern wurde von den europäischen Großmächten erzwungen.

Während beider Weltkriege im 20. Jahrhundert bewahrte die Schweiz die sogenannte bewaffnete Neutralität. Das bedeutete, dass sich die Schweiz nicht an kriegerischen Konflikten beteiligte, sich jedoch bei einem Angriff auf ihr eigenes Staatsgebiet militärisch verteidigen durfte. Dazu kam es im Verlaufe beider Kriege nie, allerdings nicht unbedingt aus Gründen der Akzeptanz gegenüber der Schweizer Neutralität, sondern vielmehr deshalb, weil die Kriegsparteien keine wirtschaftlichen und militärischen Anreize für einen Angriff auf die Schweiz sahen.

Indessen wird die tatsächliche Neutralität der Schweiz im Zweiten Weltkrieg nach 1945 stark infrage gestellt. So ging die Schweiz eine wirtschaftliche Kooperation mit Nazi-Deutschland ein und exportierte 84% ihrer Waffen- bzw. Munitionsexporte an die Achsenmächte. Zudem war der Umgang mit Flüchtlingen an den Landesgrenzen vom Antisemitismus geprägt, was im August 1942 zur Schließung der Landesgrenzen für jüdische Flüchtlingen führte. Der Bergier-Bericht, ein 2002 veröffentlichtes Werk zur historischen Aufarbeitung der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, schätzt, dass knapp 20.000 Jüdinnen und Juden an den Schweizer Grenzen abgewiesen wurden.

Neutralitätsprinzip verhindert einen EU- bzw. NATO-Beitritt

Mit der Gründung supranationaler Bündnisse nach 1945 wie der EU und der NATO vertieften nahezu alle europäischen Staaten ihre internationalen Beziehungen. Die Schweiz beharrte jedoch auf ihr Prinzip der Neutralität und verzichtete auf den Beitritt in internationale Organisationen und ist damit der einzige größere westeuropäische Staat, der weder EU- noch NATO-Mitglied ist.

Dabei wurde ein EU-Beitritt der Schweiz in den 1990er-Jahren sogar von den regierenden Parteien forciert, was allerdings auf weitreichenden Widerstand innerhalb der Schweizer Bevölkerung traf, weshalb es zu keinem öffentlichen Referendum kam. Im Jahr 2001 gelang es der Volksinitiative „Ja zu Europa“, einen Volksentscheid über den Beitritt der Schweiz zur EU zu initiieren. Dieser wurde von der Schweizer Regierung nicht unterstützt und wurde mit einer klaren Mehrheit von 76,8 % abgelehnt. Nichtsdestotrotz besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU, die in zahlreichen bilateralen Verträgen geregelt wird. So ist die Schweiz Teil des Schengen-Raums und koordiniert im Rahmen der Dublin-Verordnung im Bereich der Asyl- und Sicherheitspolitik eng mit der EU.

Ein Beitritt in die NATO ist bis heute zu keinem Zeitpunkt je auf der politischen Agenda gewesen, wenngleich sich die Schweiz seit 1996 am NATO-Programm „Partnerschaft für den Frieden“ (PfP) beteiligt.

Nach russischem Überfall: Debatten über die Bedeutung der schweizer Neutralität

Nachdem die Neutralität der Schweiz jahrzehntelang unberührt blieb und in der Öffentlichkeit so gut wie nie infrage gestellt wurde, führte der Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 zu öffentlichen Auseinandersetzungen über die Bedeutung der Neutralität der Schweiz.

Die Schweiz verurteilt den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ebenso klar wie die EU-Staaten und traf vier Tage nach Kriegsausbruch eine erste richtungsweisende Entscheidung, indem der Schweizer Bundesrat für die Übernahme der EU-Sanktionen gegenüber Russland stimmte. Insbesondere für die Wirkung der wirtschaftlichen Sanktionen war die Zustimmung der Schweiz zu den EU-Entscheidungen sehr wichtig. Aufgrund des liberalen Bankensystems lagerten viele russische Oligarchien ihr Vermögen in Schweizer Banken, wodurch diese nun auch die Folgen der Sanktionen zu spüren bekamen.

Die Schweizer Regierung betonte, dass die Übernahme der EU-Sanktionspakete keine Abkehr vom Neutralitätsprinzip sei und verwies darauf, dass die sich Schweiz in den letzten 80 Jahren häufiger an Sanktionen supranationaler Organisationen wie der EU und den Vereinten Nationen beteiligt habe. Anders ist die Haltung der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), die aus den jüngsten Nationalratswahlen im Herbst 2023 als stärkste Kraft hervorging und für ein strengeres Verständnis der Schweizer Neutralität plädiert. So fordert die SVP, dass die Schweiz keine „nichtmilitärischen Zwangsmaßnahmen“, womit die EU-Sanktionspakete gegen Russland gemeint sind, unterstützen dürfe.

Darüber hinaus versuchte die Partei einen Volksentscheid zu initiieren, in welchem über eine strenge Definition der Neutralität abgestimmt werden sollte. Jedoch blieb dieses Vorhaben erfolgslos, denn der Bundesrat lehnte die Initiative mit Verweis auf mögliche negative Folgen für die Zusammenarbeit mit der EU und der NATO ab. Alle übrigen Parteien im Nationalrat setzen sich für ein aktives und flexibles Verständnis der Neutralität ein. Dabei wird vor allem betont, dass die Neutralität niemals zu einer Isolation der Schweiz in der Außenpolitik führen dürfe und die aktuell bestehende Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen vorteilhaft für die Schweiz sei.

Verbot von Kriegsimporten löst Kritik im Ausland aus

Während die Schweiz also die finanziellen Sanktionen gegen Russland mitträgt, humanitäre Hilfe für die Ukraine leistet und sich somit klar auf der Seite des Westens positioniert, sorgt jedoch die Haltung der Schweiz zu militärischer Unterstützung für Kritik aus dem europäischen Ausland. Hierbei geht es gar nicht mal darum, dass die Schweiz selbst keine Waffenlieferungen für die Ukraine vornimmt, sondern vielmehr um das generelle Verbot von Kriegsmaterial, welches aus der Schweiz exportiert wurde. So wurde Deutschland, Spanien und Dänemark untersagt, von der Schweiz gekaufte Panzer und Munition in die Ukraine zu schicken, wofür die Schweiz international stark kritisiert wird. Als Konsequenz verzichteten einige EU-Staaten, darunter auch Deutschland, auf den Kauf von Rüstungsgütern aus der Schweiz und kritisierten die Schweiz als unzuverlässigen Partner.

Daraufhin reagierte die Schweizer Rüstungsindustrie mit großer Besorgnis. Ihrer Ansicht nach führe ein ausbleibender Export von Kriegsmaterial nicht nur zu finanziellen Verlusten, sondern würde zudem die eigene Verteidigungsfähigkeit massiv einschränken.

Die Bestrebungen das Kriegsmaterialgesetz so zu lockern, dass demokratisch geführte Staaten ihre in der Schweiz gekauften Materialien in Kriegsgebieten weitergeben könnten, wurden im Juni 2023 vom Schweizer Parlament mehrheitlich abgelehnt, nachdem der Nationalrat zuvor für eine solche Reform gestimmt hatte. Mögliche Lösungen, die zumindest die indirekte Lieferung Schweizer Material erlauben würden, werden unter den Parteien ausgelotet, allerdings ist eine Einigung für die notwendige Gesetzesänderung momentan nicht abzusehen.

Fazit:

Für eine Bewertung der Zeitgemäßheit der Schweizer Neutralität, ist es zunächst einmal entscheidend, wie diese definiert werden soll. Ein klassisches Verständnis ihrer Neutralität, also die generelle Nichtbeteiligung an kriegerischen Konflikten, ist in der heutigen Welt komplett aus der Zeit gefallen. Schon allein aufgrund ihrer geographischen Lage als Binnenstaat in Mitteleuropa, umgeben von EU-Staaten, kann sich die Schweiz nicht von den Dynamiken der Weltpolitik, die durch den Krieg in der Ukraine und der Präsidentschaft von Donald Trump zurzeit auf Europa wirken, entziehen.

Daher ist ein flexibles Verständnis der Neutralität, welches Kooperationen mit westlichen, demokratisch geführten Organisationen wie der EU und der NATO zulässt, umso wichtiger. Ein funktionierendes Verhältnis zur EU und NATO ist vor allem auf wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Ebene vorteilhaft für die Schweiz,erfordert allerdings die Bereitschaft seitens der Schweiz, eine klare Positionierung zur aktuellen Weltlage zu beziehn. Auch die militärische Neutralität der Schweiz sollte nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine an die aktuelle Bedrohungslage für Europa angepasst werden und nicht von mehr als 200 Jahre alten Grundsätzen definiert werden.