Die Olympischen Spiele 2024 in Paris waren ein riesiges Spektakel, welches für Menschen aus aller Welt eine 16-tägige Auszeit von den aktuellen Krisen und Konflikten darstellte. Besonders beeindruckend bei diesen Spielen war die einzigartige Kulisse einiger Wettkampfstätten: Beachvolleyball am Fuße des Eiffelturms, Reiten im Schlosspark von Versailles und junge Sportarten wie Breaking, Skateboard und 3×3 Basketball auf dem Place de la Concorde. Schon mit der gigantischen Eröffnungsfeier, die nicht in einem Stadion, sondern auf der Seine stattfand, zeigten die französischen Organisator*innen ihre Originalität und Kreativität im Rahmen der Austragung dieses großen Events. Sportlich betrachtet gab es jede Menge außergewöhnliche Leistungen von vielen der insgesamt 11.119 Athlet*innen, die in Paris an den Start gingen, zu bewundern. Insgesamt 19 neue Weltrekorde in sieben Sportarten wurden bei diesen Olympischen Spielen aufgestellt. Zu den größten Stars der Spiele gehören unter anderem: der französische Schwimmer Leon Marchand, der mit vier Goldmedaillen, die meisten Goldmedaillen aller Athlet*innen gewann und US-Turnstar Simone Biles, die mit drei Gold- und einer Silbermedaille ein fulminantes Comeback gab. In einem ziemlich deutlichen Kontrast zu den Leistungen der Topathlet*innen steht die Medaillenbilanz Deutschlands. Insgesamt gewannen deutsche Sportler*innen 33 Medaillen in Paris, davon 12 Goldmedaillen, 13 Silber- und acht Bronzemedaillen. Wenn man die Medaillenbilanzen aller Olympischen Spiele vergleicht, die seit der Wiedervereinigung Deutschlands stattfanden, dann stellt das deutsche Abschneiden in diesem Jahr einen neuen Tiefstwert dar.

Jahr       GOLD      SILBER   BRONZE    Anzahl
1992         33          21         28        82
1996         20          18         27        65
2000         13          17         26        56
2004         13          16         20        49
2008         16          10         14        40
2012         11          20         13        44
2016         17          10         15        42
2021         10          11         16        37
2024         12          13          8        33

Wie zu sehen ist, geht die Anzahl der von deutschen Sportler*innen gewonnenen Medaillen bei Olympischen Spielen seit mehr als 30 Jahren sukzessive nach unten. Immerhin: Die 12 gewonnenen Goldmedaillen in Paris bedeuten eine Verbesserung zu den Olympischen Spielen 2021 in Tokio. Nun lohnt es sich, die Gründe für den stetigen Rückgang deutscher Medaillengewinne bei Olympischen Spielen zu erklären. Dafür richtet sich der Fokus in Teil 1 auf die deutsche Sportförderung und auf die jüngsten deutschen Leistungen in Paris, bevor in Teil 2 ein Blick auf andere Nationen und deren Modelle der Sportförderung geworfen wird.

Wie wird der Spitzensport in Deutschland gefördert?

Für die finanzielle Förderung des Spitzensports in Deutschland ist das Bundesinnenministerium zuständig. In diesem Jahr wurden laut Haushaltsplanung der Bundesregierung insgesamt 276,077 Millionen Euro in den Sport investiert. Wie viele andere Branchen auch, musste der Sport Kürzungen im Budget hinnehmen, denn bis zum letzten Jahr wurden noch mehr als 300 Millionen Euro vom Bundesinnenministerium freigegeben. Auch abseits der Finanzen ist der Bund ein wichtiger Förderer des deutschen Spitzensports, indem Jobs in der Bundeswehr, der Polizei oder auch beim Zoll für Athlet*innen gewährleistet werden. Eine berufliche Perspektive neben dem Sport ist für viele Athlet*innen unabdingbar, denn laut einer jüngsten Studie sind 21% der deutschen Olympiateilnehmer*innen nicht allein durch ihre sportliche Tätigkeit finanziell abgesichert. Von den insgesamt 428 Athlet*innen, die für Deutschland bei den diesjährigen Olympischen Spielen antraten, ist knapp ein Drittel als Sportsoldat*in der Bundeswehr angestellt. 20 Medaillen gewannen deutsche Sportsoldat*innen in Paris, welche bei den insgesamt 33 deutschen Medaillen ein Anteil von mehr als 60% ausmachen. Wie das von der Politik bereitgestellte Budget genau verwendet wird, entschied bis 2016 allein der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB). Der DOSB ist die Vereinigung aller Spitzensportverbände der einzelnen Sportarten. Aktuell umfasst der DOSB eine Gesamtmitgliederzahl von über 27 Millionen in ca. 87.000 verschiedenen Sportvereinen. 2016 beschlossen der DOSB und das Bundesinnenministerium gemeinsam für eine Reform in der deutschen Sportförderung. Seitdem entscheidet ein hochkomplexes Potenzialanalysesystem (PotAS) über die Verwendung und Verteilung der finanziellen Förderungen zwischen den Sportarten. Zu diesem Zwecke wurden die olympischen Sportarten in einer Rangliste aufgelistet, die sich nach den potenziellen Erfolgschancen deutscher Sportler*innen bei Olympischen Spielen richtete. Je weiter vorne eine Sportart in der Rangliste steht, desto höher ist der Anteil an der Auszahlung der Fördergelder.

PotAS in der Kritik

Die Einführung eines Potenzialanalysesystems für die Verteilung der Fördermittel war mit dem Ziel verbunden, eine Top-5 Platzierung im Medaillenspiegel der Olympischen Sommerspiele zu erreichen. Von diesem Ziel ist Deutschland seitdem weiter entfernt als zuvor. Bei den Spielen in Tokio 2021 und Paris 2024, die nach der PotAS-Reform stattfanden, erreichte Deutschland den neunten bzw. zehnten Platz im Medaillenspiegel. Diese Platzierungen sind die schlechtesten Ergebnisse seit der deutschen Wiedervereinigung 1990. Besonders zu bemängeln ist die Tatsache, dass die jüngsten Daten, die für die aktuelle Platzierung einer Sportart im PotAS-Ranking ausschlaggebend sind, bis zu sechs Jahre alt sind. Doch gerade im Sport treten immer wieder neue plötzliche Entwicklungen auf, weshalb es schlichtweg nicht sinnvoll ist, eine mittlerweile über fünf Jahre alte Datenerhebung als Grundlage für die Bewertung des Potenzials einer Sportart zu verwenden. Verletzungen und Rücktritte von Top-Athlet*innen in den letzten Jahren haben somit genauso wenig Einfluss auf die Verteilung der Fördergelder wie die Jugendarbeit in den einzelnen Sportarten über die letzten Jahre. Wie unzutreffend das PotAS-Ranking sein kann, zeigt das Beispiel Basketball. Basketball belegt seit 2019 den letzten Platz im Ranking und erhält somit die geringste finanzielle Förderung aller aufgelisteten Sportarten. Doch in den letzten Jahren waren deutsche Basketballteams so erfolgreich wie nie zuvor. Die Nationalmannschaft der Frauen war in Paris erstmals für ein olympisches Turnier qualifiziert und erreichte das Viertelfinale. Die Herrennationalmannschaft wurde 2023 sensationell Weltmeister und verpasste als Vierter knapp eine Medaille. Im 3×3 (auch als Streetball bekannt) gewann das Frauenteam die erste deutsche Medaille im Basketball überhaupt und sorgte für die wohl überraschendste deutsche Goldmedaille in Paris. Trotz einer Vielzahl an Kritikern plant der DOSB gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium am PotAS festzuhalten, verspricht allerdings eine Überarbeitung des Systems. So soll in Zukunft eine neugeschaffene Sportagentur mit Mitglieder*innen aus Sport und Politik für eine effizientere Verteilung der Fördermittel zuständig sein. Dadurch soll die Verteilung der Fördermittel nicht mehr so starr an das PotAS-Ranking geknüpft sein wie bisher. Jedoch steht diese Reform aufgrund von Streitigkeiten zwischen dem DOSB und dem Bundesinnenministerium im Zuge der jüngsten Budgetkürzungen für den Spitzensport zunehmend auf der Kippe.

In welchen Sportarten gehörten deutsche Athlet*innen in Paris zur Weltspitze?

Für die erfolgreichsten Leistungen deutscher Athlet*innen gemessen an der Medaillenausbeute, sorgten die Reiter*innen und Kanut*innen. Die Hälfte der insgesamt zwölf deutschen Goldmedaillen und ein Drittel aller Medaillen, lassen sich allein auf die Sportarten Reiten und Kanu verteilen. Im Reitsport ist Deutschland die international führende Nation und gewann gleich vier Goldmedaillen, so viele wie keine andere Nation. Auch im Kanusport zeigten sich die deutschen Sportler*innen sehr konkurrenzfähig im Vergleich mit der internationalen Spitzenklasse und gewannen insgesamt sechs Medaillen, je zwei Mal Gold, Silber und Bronze. Nur Neuseeland und Australien erzielten ein noch erfolgreicheres Ergebnis. Des Weiteren können die deutschen Ergebnisse in den Mannschaftssportarten, insgesamt betrachtet, als sehr zufriedenstellend bewertet werden. Mannschaftssportarten leiden bei Olympischen Spielen ein wenig darunter, dass Medaillenerfolge in diesen Sportarten im Medaillenspiegel nur eine begrenzte Wirkung haben, weil nur eine einzelne Medaillenchance besteht und es keine Teildisziplinen wie z.B. in der Leichtathletik und im Schwimmen gibt. Fünf deutsche Mannschaften gewannen in ihrer jeweiligen Sportart eine Medaille, das 3×3-Basketballteam der Frauen gewann wie bereits erwähnt völlig überraschend die Goldmedaille. Dazu erreichten die Handballmannschaft der Herren, das Beachvolleyball-Duo Nils Ehlers und Clemens Wickler sowie die Hockeymannschaft der Herren das Finale, in dem alle drei Teams jedoch sich dem Gegner geschlagen geben mussten und somit Silber gewannen. In der Leichtathletik, die Sportart mit den meisten Einzeldisziplinen, zählt Deutschland international gesehen zwar nicht zu den Top-Nationen, trotzdem erzielten deutsche Athlet*innen bessere Ergebnisse, als im Vorfeld erwartet worden sind. Vier gewonnene Medaillen, darunter die überraschende Goldmedaille von Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye, sind als Erfolg zu bewerten, nachdem Deutschland bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften im letzten Jahr keine einzige Medaille erreichte.

In welchen Sportarten hinkt Deutschland der internationalen Konkurrenz hinterher?

In einigen Sportarten, in denen deutsche Sportler*innen bei früheren Olympischen Spielen noch in einer ziemlichen Regelmäßigkeit Medaillengewinne erzielten, hat Deutschland den Anschluss zur Weltspitze verloren. Besonders bemerkbar macht sich diese Entwicklung im Schwimmen, wo Deutschland in der Vergangenheit auf vielzählige Erfolge zurückblicken kann. Zwar holte Lukas Märtens über 400m Freistil die Goldmedaille, jedoch war er damit erste männliche Olympiasieger in einer Schwimmhalle seit 1984. Noch größer ist der Kontrast zwischen früheren Erfolgen und der aktuellen Gegenwart bei den Schwimmerinnen. In keiner anderen Sportarten gewannen deutsche Sportlerinnen historisch betrachtet mehr Medaillen als im Schwimmen, allerdings liegt die letzte Goldmedaille mittlerweile 16 Jahre zurück. Bei den jüngsten vier Olympischen Spielen (2012-2024) gewannen deutsche Schwimmerinnen nur zwei Bronzemedaillen. Auch Rudern gehörte Langezeit zu den erfolgreichsten deutschen Sportarten bei Olympia, in Paris wiederholte sich dagegen die Negativbilanz von nur zwei gewonnenen Medaillen, die bei den Spielen 2021 in Tokio erstmals aufgestellt wurde. Im Fechten gab es vor zwölf Jahren in London noch zwei Medaillen für deutsche Athlet*innen zu feiern, dieses Jahr schafften wettbewerbsübergreifend nur zwei deutsche Fechter*innen die Qualifikation für die Olympischen Spiele. Überhaupt nicht konkurrenzfähig sind deutsche Athlet*innen in vielen jungen olympischen Sportarten wie z.B. BMX, Mountainbike, Skateboard, Surfen und Breaking. Gerade in diesen Trendsporten besteht noch viel Potenzial im Hinblick auf die kommenden Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles.