(Katalan: Wir haben für die Unabhängigkeit gestimmt.)
Für viele Tourist*innen ist Anfang September noch eine Zeit das schöne Wetter in Barcelona zu genießen. Für die Einheimischen ist es jedoch eine Zeit, sich selbst und die anderen an die Idee der Unabhängigkeit zu erinnern. Vor sieben Jahren fand in Barcelona, der Hauptstadt Kataloniens, ein Referendum über die Unabhängigkeit statt. Der damalige Regionalpräsident floh und wurde im Jahr 2018 in Deutschland festgenommen. Auch wenn die geführten Proteste keinen unmittelbaren Erfolg brachten, spielt das Thema der Unabhängigkeit weiterhin eine zentrale Rolle bei den Feierlichkeiten am 11. September in Barcelona.
Auch ich hatte während meines Auslandssemesters im letzten Jahr die Gelegenheit, an diesen Feierlichkeiten teilzunehmen und die Eindrücke und Stimmungen der Menschen zu erleben. Obwohl es scheint, als würde die Mehrheit eine pro-katalanische Sichtweise vertreten, gibt es auch jene, die diese Meinung nicht teilen. Aber dazu später mehr.
11. September. Bedeutung des Festes
Der Nationalfeiertag Kataloniens, die „Diada“, wird am 11. September gefeiert. An diesem Tag erinnern die Katalan*innen an ihre nationale Identität und die kulturellen Unterschiede zu den Spanier*innen un zu anderen ethnischen Gruppen des Landes. Interessanterweise haben die Katalan*innen ihre eigene Sprache – Katalanisch –, die sich stark vom Spanischen unterscheidet. Historisch gesehen markiert der 11. September jedoch einen Verlust für Katalonien: 1714 fiel Barcelona nach einer 14-monatigen Belagerung im Rahmen des Spanischen Erbfolgekriegs an die Truppen von König Philipp V. von Spanien.
Diese Niederlage bedeutete das Ende der politischen Autonomie Kataloniens, da König Philipp V. von Spanien nach seinem Sieg die Rechte und Privilegien des Königreichs Aragón und Kataloniens aufhob. indem er die sogenannten „Decretos de Nueva Planta“ (Neubaugesetze) erließ. Die wichtigsten Rechte und Privilegien, die Katalonien und das Königreich Aragón verloren: eigenes politisches System (Cortes und Generalitat), Recht auf eigene Gesetzgebung, eigenes Steuersystem, eigene Amtssprache, militärische Kontrolle, Verlust von Handelsprivilegien.
Trotz der Niederlage: Ein Tag der Identität
Denkmal für Rafael Casanova an der Ronda de Sant Pere in Barcelona
Trotz dieser historischen Niederlage haben die Katalanen den 11. September zu einem Tag der Feier ihrer nationalen Identität gemacht. In Barcelona finden Demonstrationen statt, bei denen die Flaggen Kataloniens stolz zur Schau gestellt werden, und viele Teilnehmer*innen tragen Bänder in den Farben der Flagge. Am Denkmal der Moreres-Mauer gedenken die Katalanen den Gefallenen der Belagerung und legen Blumen an den Denkmälern von General Josep Moragues und Rafael Casanova, einem Verteidiger der Stadt, nieder.
Während der Franco-Diktatur war das Fest verboten und Katalonien wurde jeglicher Autonomierechte beraubt. Diese Rechte wurden 1980 wiederhergestellt – die Region erhielt erneut eine eigene Regierung, ein Parlament, eine Verfassung, eine Flagge und andere staatliche Symbole.
Die Unabhängigkeit und das Fest
Gespräche über die Unabhängigkeit Kataloniens waren lange Zeit ein Randthema. Nach der globalen Finanzkrise 2008/2009, von der Spanien stark betroffen war, wurde dieses Thema jedoch immer präsenter. Ohwohl die Mehrheit der Katalan*innen die Unabhängigkeit nach wie vor als vorteilhaft, wenn auch in geringerem Maße, teilen weder Wirtschaftsexpert*innen noch Vertreter*innen großer Unternehmen diese Ansicht. Die Folgen der Unabhängigkeit sind unvorhersehbar. Die Aussicht auf den Austritt aus der EU (da ein neuer Staat nicht automatisch Mitglied des Bündnisses wird!), den Verlust von Büros großer Unternehmen, die Verschärfung innerer Konflikte und die Inkaufnahme wirtschaftlicher Verluste erweisen sich für die Katalan*innen als wenig attraktiv.
Seit 2012 hat sich die „Diada“ zu einer offensichtlich politischen Veranstaltung für die Befürworter*innen der Abspaltung Kataloniens von Spanien entwickelt. Die Feierlichkeiten kombinieren Elemente eines Karnevals, einer Demonstration und eines Protests.
Die Abspaltung Kataloniens von Spanien würde einige Folgen mit sich ziehen, welche womöglich einigen Kataloniern noch nicht bewusst sind. Darunter fällt beispielsweise die Frage, wie die Weltgemeinschaft auf die Entstehung einer weiteren selbsternannten Republik reagieren würde. Davon hängt der zukünftige Wohlstand Kataloniens und seine politisch-wirtschaftlichen Beziehungen ab.
Expert*innen weisen zu Recht darauf hin, dass das internationale Recht heute auf zwei möglicherweise widersprüchlichen Prinzipien beruht: dem Recht der Nationen auf Selbstbestimmung und dem Prinzip der territorialen Integrität. Die Priorität eines dieser Prinzipien ist nicht festgelegt, aber in der modernen westlichen Welt wird immer mehr Wert auf die Erhaltung der territorialen Integrität gelegt. Die Gründung neuer Staaten ist heute nicht mehr so aktuell wie zur Zeit der Dekolonisierung und des Zusammenbruchs der UdSSR.
Schon während Katalonien heute als staatliche Einheit auftritt, zeigt es seine Unterstützung für Schottland. Seltsamerweise wird dabei das Baskenland, eine weitere Autonomie innerhalb Spaniens, die möglicherweise ähnliche Pläne verfolgt, von Barcelona übersehen. Das Beispiel Kataloniens könnte auch Flandern in Belgien gefallen.
Der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Margaritis Schinas, warnte Katalonien bereits vor den Folgen, unter anderem dem Ausschied aus der EU, sollte Katalonien tatsächlich unabhängig werden. Dies bedeutet den Verlust der Möglichkeit, Mitglied bestimmter internationaler Organisationen zu werden, wie die EU, die NATO, die UNO, den Verlust der Unterstützung weltweit tätiger Finanzinstitutionen, die Wahrscheinlichkeit von Investitionen und im Gegenzug die reale Aussicht auf Handelsblockaden, Sanktionen, territoriale Konflikte und mehr.
Proteste tagsüber
Konzert am Abend
Die Unterstützung der Unabhängigkeitsbewegung 2024
Die Unterstützung für die Unabhängigkeit der autonomen Region von Spanien ist unter den Einwohnern Kataloniens auf einen historischen Tiefstand gesunken. Dies geht aus einer Umfrage der katalanischen Regierung hervor, die von Euractiv zitiert wird.
Laut der Umfrage ist die Unterstützung für die Unabhängigkeit Kataloniens auf 40 Prozent gesunken. Dies ist der niedrigste Stand der Unterstützung für die Unabhängigkeit seit 2015, als die erste derartige offizielle Umfrage durchgeführt wurde.
Die Umfrage ergab, dass weitere 53 Prozent der Befragten die katalanische Unabhängigkeit ablehnen. Im Vergleich zur letzten ähnlichen Umfrage ist der Prozentsatz der katalanischen Bürger, die die Unabhängigkeit unterstützen würden, um zwei Prozentpunkte gesunken.
Die Zahl derer, die gegen die Unabhängigkeit sind, stieg um zwei Punkte auf ein Rekordhoch, wobei der größte Unterschied seit 2015 zugunsten der Unabhängigkeit zu verzeichnen ist: 13 Prozentpunkte mehr.
Auf die Frage, wie die Beziehung zwischen Katalonien und der spanischen Regierung aussehen sollte, gaben 34 Prozent der Befragten an, dass sie es vorziehen würden, wenn Katalonien eine autonome Gemeinschaft bliebe, wie sie jetzt ist. Weitere 31 Prozent möchten, dass Katalonien ein unabhängiger Staat ist, 22 Prozent möchten, dass es eine territoriale Einheit innerhalb eines föderalen Spaniens ist, und 7 Prozent möchten, dass es eine Region Spaniens ist, so das Ergebnis der Umfrage.
Die Umfrage wurde vom Zentrum für Meinungsforschung der katalanischen Regierung durchgeführt und umfasste 2.000 Interviews zwischen dem 10. Juni und dem 8. Juli 2024.
Eigene Eindrücke:
Auf dem Konzert sind größtenteils lokale Künstler*innen aufgetreten, die sich speziell für diesen Anlass in der Stadtmitte neben dem Arc de Triomf versammelt hatten. Sie haben eigene Lieder auf Katalanisch vorgestellt, die ich leider nicht kannte, aber andere haben sie mitgesungen. Zudem wurden Cover auf Englisch gesungen, bei denen ich ebenfalls mit Spaß mitsingen konnte. Der Moderator hat auch auf Katalanisch gesprochen, weshalb es mir schwerfiel, den genauen Inhalt des Konzerts zu verstehen. Dennoch war die Atmosphäre feierlich, und die breite zentrale Promenade des Passeig de Lluís Companys war voller Menschen, die gekommen waren, um das Konzert zu sehen. Die Promenade war zudem mit Ständen gefüllt, die verschiedene Speisen und Getränke anboten.
Wenn man jedoch tagsüber weder die Proteste noch das Konzert besuchen möchte, kann man als Alternative am 11. September einige der Museen Barcelonas kostenlos besuchen und die Gelegenheit nutzen, den Palau de la Generalitat auf der Plaça Sant Jaume und das katalanische Parlament im Parc de la Ciutadella zu besichtigen. Zu den Museen, die diesen Tag mit einem Tag der offenen Tür begehen, gehören unter anderem das Museu d’Història de Catalunya, das Museu d’Arqueologia, das Born Centre de Cultura i Memòria, das Museu Nacional d’Art de Catalunya (MNAC), der Palau Güell und der Palau Robert. Weitere nützliche Informationen findet man auf der offiziellen Seite Barcelonas: barcelona.cat/living in BCN
Arc de Triomf, Passeig de Lluís Companys, Barcelona
Fazit
Insgesamt hat der Konflikt um die Unabhängigkeit an Dramatik im Vergleich zu 2017 deutlich verloren, da die meisten Katalanen inzwischen andere Prioritäten haben, wie etwa wirtschaftliche und soziale Fragen, was sich auch in der relativ niedrigen Wahlbeteiligung widerspiegelt. Die katalanische Gesellschaft scheint aktuell weniger stark auf die Unabhängigkeit fixiert zu sein und viele setzen stattdessen auf einen Dialog mit der Zentralregierung, was die Spannung im Vergleich zu den vergangenen Jahren reduziert hat.
Die Zukunft der Unabhängigkeitsbewegung bleibt jedoch ungewiss. Trotz des Nachlassens der öffentlichen Unterstützung spielt die Bewegung auf politischer Ebene weiterhin eine Rolle. Carles Puigdemont und seine Partei „Junts per Catalunya“ üben nach wie vor Druck auf die spanische Regierung aus, insbesondere durch ihre strategische Position im spanischen Parlament. Ihre Unterstützung könnte für die Regierungsmehrheit in Madrid entscheidend sein, was Puigdemont eine gewisse Verhandlungsposition verleiht. Es ist daher denkbar, dass sich die Dynamik der Bewegung durch politische Entwicklungen erneut verändern könnte, insbesondere in Verbindung mit Zugeständnissen wie dem Amnestiegesetz für katalanische Separatisten.
Die Frage, ob die Bewegung wieder an Fahrt gewinnt, hängt davon ab, wie die katalanische Bevölkerung auf zukünftige politische und wirtschaftliche Entwicklungen reagiert.