45.000 Menschen waren als Ehrenamtliche bei den Olympischen Spielen in Paris dabei. Sie begleiteten Athlet*innen zu Wettkämpfen, unterstützten das medizinische Personal und begrüßten Fans. Und das alles für 0 €. Beworben hatten sich weitaus mehr: 300.000 Personen. Auch bei der EM dieses Jahr in Deutschland waren 16.000 Freiwillige am Start, haben Tickets kontrolliert und Doping-Tests durchgeführt. Gerade junge Leute engagieren sich. Ich habe nach dem Abitur ein ehrenamtlichen Praktikum bei der BUNDjugend (Jugendorganisation des Bund für Umwelt und Naturschutz) gemacht und bei der Tafel mitgearbeitet. Seit letztem Jahr bin ich als Freiwillige in einer Online-Redaktion tätig. Warum entscheiden sich eigentlich so viele Menschen für ein Ehrenamt? Wie sind Ehrenämter entstanden? Und wieso sind sie so wichtig?
Ehrenämter, Engagements und Freiwilligendienste
Circa 31 Millionen Menschen sind in Deutschland ehrenamtlich aktiv. Es gibt kaum einen Bereich, in dem keine Ehrenamtlichen arbeiten: Krankenhäuser, Tierheime, Sportvereine, Kinderbetreuung, Rettungsdienst. Die Liste könnte unendlich weitergeführt werden. Das E-Magazin Deutsches Ehrenamt definiert Ehrenämter als freiwilliges und unvergütetes Leisten von Arbeit. Das Ehrenamt hat verschiedene Formen und Gesichter. Nach dem Schulabschluss absolvieren viele junge Leute ein Freiwilliges Soziales Jahr, ein Freiwilliges Ökologisches Jahr oder einen Bundesfreiwilligendienst. Viele Organisationen bieten ein Engagement auch im Ausland an.
Ein Blick in die Geschichte
Schon in der Antike und zu Zeiten des Römischen Reichs gab es Konzepte der Nächstenliebe und des sozialen Engagements, oft beeinflusst durch religiöse und philosophische Lehren. In der griechischen und römischen Kultur war Philanthropie (Menschenliebe) eine Tugend und wohlhabende Bürger*innen stifteten öffentliche Gebäude oder organisierten Festivitäten. Religionen wie das Christentum, Judentum und der Islam haben eine lange Tradition der Wohltätigkeit und Fürsorge. Die christliche Nächstenliebe führte im Mittelalter zur Gründung zahlreicher Hospitäler, Armenhäuser und Klöster, die sich um Bedürftige kümmerten. Neben kirchlichen Einrichtungen entstanden Gilden (Zusammenschlüsse von Kaufläuten) und Bruderschaften, die Lehrlinge ausbildeten, sich um Witwen und Waisen kümmerten und bedürftige Mitglieder finanziell unterstützten. In den darauffolgenden Epochen der Neuzeit und Renaissance entwickelten sich neue Arten des sozialen Engagements. Die Vermittlung und Förderung von Kultur und Wissen geriet in den Fokus. Vermögende Bürger*innen und Adelige engagierten sich philanthropisch und unterstützten Bildungs- und Gesundheitsprojekte. Im 18. Jahrhundert, zur Zeit der Aufklärung, wuchs das Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte. 1788 gründete der Hamburger Kaufmann Caspar Voght das erste Armenhaus mit über 200 ehrenamtlich Engagierten, darunter Ärzt*innen, Pfleger*innen und Lehrkräfte. Das Haus bot Beherbergung, Verpflegung, medizinische Versorgung und Arbeitsmöglichkeiten. Voghts Ziel war es, die Lebenssituationen der Bedürftigen nachhaltig zu verbessern und nicht nur kurzfristig zu helfen. Anfang des 19. Jahrhunderts kam das politische Ehrenamt auf. Unter König Friedrich Wilhelm III. wurde es für wohlhabende Bürger*innen in Preußen zur Pflicht, öffentliche Verwaltungsämter zu bekleiden, jedoch ohne dafür entlohnt zu werden. Dadurch sollte Geld gespart werden. Zum ersten Mal wird das Wort „Ehrenamt“ in der Preußischen Städterordnung von 1808 genutzt. Darin war die Mitbestimmung der Bürger*innen festgelegt und die lokale Selbstverwaltung geregelt.
Ein paar Jahrzehnte später erlebte das private Vereinswesen einen Aufschwung und bot Möglichkeiten für wirkliches ehrenamtliches Engagement. Der Wunsch, die Gesellschaft aktiv mitzugestalten, wuchs, und die dazu erforderlichen Ressourcen wurden zunehmend zugänglich. Menschen begannen, sich in Sportvereinen, gemeinnützigen Verbänden und Arbeitervereinen zu engagieren. Gleichzeitig entstanden mit der Industrialisierung und den daraus resultierenden sozialen Problemen wie Armut und schlechten Arbeitsverhältnissen Wohlfahrtsorganisationen. Die Arbeiterbewegung und andere soziale Reformbewegungen setzten sich für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen ein. 1863 wurde das Internationale Rote Kreuz gegründet, eine der bekanntesten humanitären Organisationen. Es war ein wichtiger Schritt in der Geschichte des organisierten Ehrenamts, da es humanitäre Hilfe auf internationaler Ebene standardisierte. Die NS-Zeit machte viele zuvor errungene Freiwilligenengagements zunichte. Vereine und Organisationen wurden verboten oder waren gezwungen, sich der NS-Ideologie anzupassen und diese zu verbreiten. Trotzdem gab es Fälle, in denen Menschen ehrenamtlich aktiv blieben und Verfolgten halfen oder Widerstand leisteten. Nach den beiden Weltkriegen kam das Ehrenamt als Reaktion auf die widrigen Nachkriegsumstände zurück und freiwillige Organisationen wurden für den Wiederaufbau von Infrastruktur oder der Unterstützung von Kriegsopfern gegründet. Im Zuge dessen wurde Freiwilligenarbeit mehr und mehr institutionalisiert und später auch professionalisiert. Die Zahl von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wuchs, besonders in Bereichen wie Umweltschutz, Entwicklungshilfe, Friedensstiftung und frauenpolitischer Anliegen. In gleicher Weise erhöhte sich die Qualität des Engagements durch Weiterbildungsangebote wie Schulungen und Workshops. In einer neueren Interpretation des Begriffs Ehrenamts geht es nicht mehr nur um christliche oder politische Werte, sondern vielmehr um persönliche Weiterentwicklung und Selbstentfaltung.
Der soziale Kleber unserer Gesellschaft
„[Ehrenamt] ist ein unverzichtbarer Rohstoff für eine lebendige Bürgergesellschaft. Ein enorm wichtiger Beitrag in Zeiten, da sich die große Mehrheit der Bevölkerung um den Zusammenhalt sorgt.“ Das sagte die Leiterin der Landesfreiwilligenagentur Berlin Carola Schaaf-Derichs dem Deutschlandfunk Kultur 2019. Ehrenamtliches Arbeiten fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt und kreiert ein Gefühl von Gemeinschaft. Es bringt Menschen aus unterschiedlichen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Hintergründen zusammen. Chantal Munsch, Professorin für Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik an der Universität Siegen, kritisiert gegenüber dem Deutschlandfunk Kultur die gesellschaftlichen und klassenbezogenen Hürden, die ein ehrenamtliches Engagement hat. So seien vor allem Personen mit höheren Schulabschlüssen und Einkommen aktiv. Erwerbslose und Migrant*innen suche man vergeblich. Dabei sollen Ehrenamtliche dazu beitragen, soziale Brücken zu bauen und Isolation zu verringern. Ziel sollte also sein, alle Teile der Gesellschaft zu integrieren und für ein Ehrenamt zu begeistern. Ohne die Unterstützung von Ehrenamtlichen könnten nämlich viele soziale Dienste und Hilfsorganisationen nicht existieren oder wären stark eingeschränkt. Ehrenamtliche helfen, Lücken in der öffentlichen Versorgung zu schließen, sei es in der Pflege, Bildung oder im Katastrophenschutz. Sie entlasten staatliche Systeme. Ehrenamtliches Engagement ermöglicht es Bürger*innen, aktiv an der Gestaltung ihrer Gesellschaft mitzuwirken. Es stärkt das Bewusstsein für soziale Themen und fördert die Verantwortungsübernahme. Dies ist eine wichtige Grundlage für eine lebendige Demokratie, in der Bürger*innen nicht nur Konsument*innen staatlicher Leistungen sind, sondern diese mitgestalten. Für die Freiwilligen bietet sich im Ehrenamt die Möglichkeit, neue Fähigkeiten zu erlernen, wertvolle Erfahrungen zu sammeln und sich persönlich weiterzuentwickeln. Es stärkt das Selbstbewusstsein, erweitert soziale Netzwerke und trägt zu einem erfüllteren Leben bei. Viele Ehrenamtliche empfinden Zufriedenheit und Freude, wenn sie sehen, dass sie einen positiven Unterschied bewirken. Eine aktive Zivilgesellschaft ist Voraussetzung einer gesunden und funktionierenden Gesellschaft. Ehrenamtliche Organisationen und Initiativen stoßen wichtige soziale Bewegungen an, machen auf Missstände aufmerksam und kämpfen für positive Veränderungen. In Krisenzeiten, wie dem Hochwasser im Ahrtal oder der Corona-Pandemie waren Ehrenamtliche oft die ersten, die Hilfe leisteten. So halfen sie bei der Organisation von Hilfsgütern und dem Wiederaufbau, boten psychologische Unterstützung an und unterstützten bei alltäglichen Aufgaben.
Das Ehrenamt im Sport – Beispiel Amateurfußball
Ehrenamtliche Engagements sind eine unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft. Sie fördern den sozialen Zusammenhalt und bieten wertvolle Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Im Sport schaffen sie Räume, in denen Menschen unabhängig von Alter, Herkunft oder sozialem Status zusammenkommen und gemeinsam für ihr Ziel kämpfen. Doch trotz ihrer Bedeutung stehen sie oft vor Herausforderungen, die ihre Arbeit erschweren: zeitliche Belastung, mangelnde Anerkennung und finanzielle Einschränkungen. Umso wichtiger, dass sich etwas ändert. Es bedarf besserer Unterstützungsstrukturen und gezielten finanzielle Förderungen, um den freiwilligen Helfer*innen den Rücken zu stärken. Nur so kann die eigentliche Intention von Ehrenämtern wieder in den Mittelpunkt rücken.
Quellen:
Engagierte Zeiten: Seit wann gibt es das Ehrenamt? (letsact.de)
Freiwillig Gutes tun: So entstand das Ehrenamt | wissen.de
Warum sich im Sport immer weniger Ehrenamtliche engagieren (deutschlandfunk.de)
Ehrenamt im Sport – Erfüllende Ausbeutung? (deutschlandfunk.de)
Warum das Ehrenamt nicht nur für den Amateursport wichtig ist (vereinsticket.de)
Amateurfußball – Die Basis fühlt sich allein gelassen (deutschlandfunk.de)