Zimtschnecken, Mittsommer, Pippi Langstrumpf. Die Worte wecken in mir das Gefühl von Glück und Unbeschwertheit. Ich denke an Schweden. Das Land mit den unendlichen Seen und idyllischen Inselwelten, mit Elchen und rot-weißen Holzhäusern. Schweden ist seit Jahren in den Top 10 der Länder, in denen die Menschen am glücklichsten sind: Platz 4 in 2024, Platz 6 in 2023, Platz 7 in 2022. Hervor geht das aus dem World Happiness Report, der jährlich veröffentlicht wird. Doch warum ist das so? Ich begebe mich auf Glückssuche und schwelge in Erinnerungen an mein in Schweden verbrachtes Auslandssemester.
World Happiness Report
Der World Happiness Report (WHR) erscheint seit 2003 jedes Jahr am Weltglückstag. Diesen Tag beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Juni 2012. Initiativgeber war Buthan, da das Land die entsprechende Resolution anstieß. So ist der 20. März seit 2013 Weltglückstag.
Der World Happiness Report ist eine Zusammenarbeit von Gallup, dem Oxford Wellbeing Research Centre, dem UN Sustainable Development Solutions Network und dem Redaktionsausschuss des WHR. Grundlage für die Glücksrankings bildet die Gallup World Poll. In dieser Umfrage werden weltweit Menschen gebeten, ihr Leben zu bewerten. Ziel ist es, das Wohlbefinden der Bevölkerung in verschiedenen Ländern zu vergleichen. Das geschieht mithilfe der Cantril Ladder. Die Cantril Ladder ist ein Instrument zur Messung des subjektiven Wohlbefindens. Entwickelt von dem amerikanischen Psychologen Hadley Cantril, wird das Modell oft in Umfragen und Studien verwendet, um das allgemeine Lebensgefühl von Individuen zu erfassen. Die Cantril Ladder besteht aus einer Leiter mit 11 Sprossen, die von 0 bis 10 nummeriert sind: 0 repräsentiert das schlechtmöglichste Leben und 10 steht für das bestmögliche Leben, das man sich vorstellen kann. Die Befragten der Gallup World Poll werden gebeten, sich diese Leiter vorzustellen und ihr aktuelles Leben auf einer Skala von 0 bis 10 zu bewerten, also anzugeben, auf welcher Sprosse sie sich derzeit sehen. Dem WHR zufolge stammen die Einstufungen aus repräsentativen Stichproben, generiert über einen Zeitraum von drei Jahren. Pro Land werden 2000 bis 3000 Menschen aller Altersgruppen befragt. In das Ranking fließen sechs Variablen ein: Pro-Kopf-BIP, soziale Unterstützung, gesunde Lebenserwartung, Freiheit, Großzügigkeit und Korruption. Die Ranglisten basieren allerdings nicht allein auf diesen sechs Faktoren, sondern hauptsächlich auf den Einschätzungen der Menschen zu ihrem Leben.
Der diesjährige Bericht legt den Fokus auf das Glücksempfinden in unterschiedlichen Lebensphasen. Finnland belegt zum siebten Mal in Folge Platz 1, gefolgt von Dänemark, Island und Schweden auf den Plätzen 2 bis 4. Deutschland landet auf Platz 24. Zum Vergleich: Vergangenes Jahr war es noch Platz 16. Die letzten beiden Plätze belegten 2023 und 2024 Libanon und Afghanistan. Auf der Glücks-Skala von 0 bis 10 liegt Finnland bei 7,7, Deutschland bei 6,7 und Afghanistan bei 1,7.
Trotz Klimakrise, Kriegen, Pandemie und Inflation ist die allgemeine Zufriedenheit global betrachtet in den letzten zehn Jahren auf einem stabilen, gleichbleibenden Level geblieben. Bereits im World Happiness Report von 2023 wurde deutlich, dass die soziale Unterstützung steigt: Die Spendenbereitschaft nimmt zu, Menschen sind ehrenamtlich aktiv und engagieren sich für den guten Zweck.
Das Glück der Schwed*innen liegt…
..Wo genau eigentlich? Im Wintersemester 2023/24 habe ich mein Auslandssemester in Sundsvall in Schweden verbracht. Sundsvall ist eine rund 60.000 Einwohner*innen große Stadt und liegt circa 380 Kilometer nördlich von Stockholm. Direkt an der Ostsee gelegen und umringt von Wäldern, kann man dort nicht nur die Natur genießen, sondern auch durch den pittoresken Altstadt- bzw. Steinstadt-Kern flanieren. Bereits vier Mal wurde Sundsvall durch einen Brand zerstört, zuletzt 1888. Danach wurde die gesamte, bis dato aus Holz bestehende Stadt aus Stein neu aufgebaut und erhielt den Spitznamen „Stenstaden“ (Steinstadt).
Im Rückblick fallen mir einige Rituale ein, die im Alltag kleine Glücksmomente geschaffen haben. Das allererste Wort, das ich kennengelernt habe, ist „Fika“. „Fika“ ist ein fester Bestandteil der schwedischen Kultur und meint eine entspannte Kaffeepause. Es ist jedoch mehr als nur das Trinken von Kaffee, es beschreibt ein soziales Ritual, das meist mehrmals am Tag stattfindet. Zum Kaffee (oder Tee) gibt es Gebäck: Kanelbullar (Zimtschnecken, das schwedische Nationalgebäck), Chokladbollar (Schokobällchen) oder Lussebullar (Safranbrötchen mit Rosinen). „Fika“ habe ich als Momente der Entschleunigung vom Arbeits- bzw. Studierendenalltag erlebt. Es sind Gelegenheiten, sich mit Freund*innen, Familie oder Kolleg*innen austauschen und die abzuarbeitenden E-Mails und Aufgaben für ein paar Minuten zu vergessen.
Eine weitere Sache, die mich während meines Aufenthalts glücklich gemacht hat, war die Natur. Von riesigen Wäldern und Hügelketten über Dünen, Meer, Schären und Felslandschaften, ist Schwedens Natur unglaublich vielfältig. Schweden hat eine relativ geringe Bevölkerungsdichte, so kommen auf einen km² durchschnittlich 26 Menschen. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 238 Menschen pro km² (Stand 2021). Die meisten der knapp 11 Millionen Einwohner*innen leben im Süden des Landes und in den Städten Stockholm, Göteborg und Malmö. Je nördlicher man fährt, desto unbewohnter wird das Land. Im Norden hat man zudem die besten Chancen, Polarlichter zu sehen. Dieses Naturphänomen birgt eine ganz besondere Magie, wenn am Himmel neongrüne, petrolfarbene, pinke oder violette Farben zu tanzen scheinen. Das Farbspektakel, im Fachterminus Aurora Borealis genannt, tritt meist von September bis April auf. Nordlichter entstehen durch den Zusammenstoß elektrisch geladener Teilchen der Sonne in der Erdatmosphäre. Welche Farben dabei entstehen, ist abhängig von der Art der beteiligten Gaspartikel: Sauerstoffatome erzeugen grünes oder rotes Licht, Stickstoffatome lassen den Himmel lilafarben leuchten. Viele Schwed*innen, die ich kennengelernt habe, sind natur- und sportbegeistert. Im Sommer schwimmen sie in Seen und wandern durch Wälder und im Winter werden Hügel zu Skipisten und Spazierwege zu Loipen zum Langlaufen. Viel Zeit an der frischen Luft zu verbringen, besonders in den dunklen Wintermonaten, scheint ein wichtiger Faktor in der Zufriedenheit zu sein.
Glücksniveau politisch geprüft
Dass die schwedische Bevölkerung so glücklich ist, hat nicht nur was mit den individuellen Lebensentscheidungen eines*r jeden Einzelnen zu tun. Das sozialpolitische System trägt maßgeblich zum hohen Lebensstandard bei. Das sogenannte schwedische Modell (auch: nordisches oder skandinavisches Modell) gilt in den skandinavischen Ländern als Grundlage für einen ausgeprägten Wohlfahrtsstaat, der durch hohe Steuern finanziert wird. Er basiert auf den Prinzipien von sozialer Gerechtigkeit, Chancengleichheit und staatlicher Verantwortung für das Wohl der Bürger*innen. So verfügt Schweden über eine umfassende Gesundheitsversorgung. Jede*r Bürger*in hat Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung, die sich größtenteils aus Steuern speist. Dies beseitigt finanzielle Barrieren und sorgt dafür, dass Menschen sich keine Sorgen um medizinische Kosten machen müssen. Darüber hinaus ist Bildung von der Grundschule bis zur Universität kostenlos. Dies fördert Chancengleichheit und soziale Mobilität, indem alle Bürger*innen unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund Zugang dazu haben. Familienpolitisch verfolgt Schweden Gendergerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt sowie Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In Schweden wird über 50% des Staatshaushaltes in Sozialausgaben investiert. Die Arbeitsmarktpolitik ist aktiv ausgerichtet, was eine annähernde Vollbeschäftigung und ein relativ hohes Maß an sozialer Gleichheit erzeugt. Innerhalb der Bevölkerung besteht ein starker Konsens darüber, dass soziale Sicherheit und gleiche Chancen für alle wichtig sind. Dies führt zu einer breiten Unterstützung für hohe Steuersätze und staatliche Umverteilungsmaßnahmen. Das grundlegende Vertrauen in staatseigene Institutionen und deren Fähigkeit, Dienstleistungen effizient und fair bereitzustellen, stärkt die Unterstützung für das Wohlfahrtsmodell.
Wie glücklich die Bevölkerung eines Landes ist, hängt von vielen Faktoren ab. Staatsform, Sicherheit, Umwelt, Gesundheit und Einkommen spielen eine maßgebliche Rolle im Glückempfinden. Die zufriedensten Länder der Welt sind gut funktionierende Demokratien mit durchschnittlich hohen Einkommen und einem ausgeprägten Maß an sozialer Gerechtigkeit und Vertrauen, sowohl untereinander als auch in die Regierung.
Kann man Glück lernen?
Bis zu einem gewissen Grad kann Glück erlernt und kultiviert werden. Obwohl bestimmte Faktoren wie genetische Veranlagung, Lebensumstände und Privilegien eine großen Einfluss haben, können Menschen an ihrem eigenen Wohlbefinden arbeiten. Forscher*innen haben herausgefunden, dass zwischenmenschliche Beziehungen eklatant für die Steigerung des eigenen Glücks sind. Das können partnerschaftliche, aber auch freundschaftliche Beziehungen sein. In Schweden habe ich miterleben können, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Als Erasmus-Studentin wurde ich sehr herzlich aufgenommen und knüpfte viele Kontakte mit schwedischen und internationalen Kommiliton*innen. Gemeinsames Zeitverbringen und wiederkehrende Rituale wie Fika stärkten die sozialen Verbindungen. Mein Aufenthalt in Schweden hat mir gezeigt, dass Glück keiner großen Gesten bedarf, sondern in kleinen alltäglichen Momenten liegt.
Kleiner Hinweis am Ende: Der World Happiness Report stellt eine durchschnittliche gesellschaftliche Bilanz dar. Wie jedes Land, steht auch Schweden vor politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen: Es gibt eine vergleichsweise hohe Rate an Banden- und Jugendkriminalität. Trotz des Wohlfahrtsstaatsmodells gibt es soziale Ungerechtigkeiten. Die rechtskonservative Partei Sweden Democrats verzeichnet seit Jahren einen Zulauf an Unterstützer*innen. Im schwedischen Reichstag (Riksdagen) ist sie die zweitstärkste Partei mit 72 Sitzen nach der Social Democratic Party. Weiter unten findet ihr Links zu Artikeln, die diese Probleme beleuchten. Ich habe in meinem Artikel bewusst ein sehr positives Bild von Schweden gezeichnet, basierend auf den individuellen Erfahrungen, die ich dort gesammelt habe. Natürlich ist dies nur bedingt verallgemeinerbar.
Quellen und weiterführende Links:
World Happiness Report 2024 | The World Happiness Report
World Happiness Report | Gallup
World Happiness Report 2024 – Ministerium für Glück und Wohlbefinden (ministeriumfuerglueck.de)
Skandinavien hat die erfolgreichsten Sozialsysteme Europas | Kiel Institut (ifw-kiel.de)
DIE SOZIAL- UND BESCHÄFTIGUNGSPOLITIK IN SCHWEDEN (europa.eu)
Glücksforschung: Was wir wirklich brauchen, um glücklich zu sein | National Geographic
Bomben, Morde: Versinkt Schweden in der Bandenkriminalität? – ZDFheute
Autor über Ausgrenzung in Schweden: „Rassisten sind kreativ“ – taz.de
Schweden: Wie das Land zum Schauplatz blutiger Bandenkriege wurde – DER SPIEGEL