Vor dem Aufstieg des Westens bildete die Seidenstraße mit einem Netz von über 6000 Kilometern die Verbindung zwischen dem Fernen Osten und Europa. Sie war eine historische Handelsroute, die den Austausch von Waren, Kulturen und Ideen zwischen weit voneinander entfernten Regionen ermöglichte. Die Seidenstraße trug nicht nur zum wirtschaftlichen Austausch bei, sondern spielte auch eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung von Kultur, Religionen und Wissen zwischen verschiedenen Zivilisationen. Die Handelsroute war ein Netzwerk von Karawanenwegen und Seeverbindungen, welche eine Schlüsselrolle in der historischen Globalisierung spielte. Die Zeiten von Marco Polo und seinesgleichen mögen natürlich lange zurück liegen, den Geist der Seidenstraße scheint das allerdings unberührt zu lassen, sodass er mehrere Jahrhunderte später seine Renaissance erlebt.
Chinas Bemühungen als ernste Alternative zum Westen aufzutreten, äußert sich in einer, sagen wir, durchaus selbstbewussten Investitionsoffensive. Über 10 Jahre ist es nun her, dass Xi Jinping das Riesenprojekt „Belt and Road Initiative“ vorstellte. Nicht weniger als mehrere hunderte Milliarden Euro investiert das Land in Kooperation mit anderen asiatischen Partnern seitdem in die Wiederbelebung der alten Handelsrouten. In Deutschland ist das Projekt eher unter dem Namen „Neue Seidenstraße“ bekannt und ist auch hierzulande ein Thema wie vor kurzem klar wurde, als sich der chinesischen Staatskonzerns Cosco in den Hamburger Hafen einkaufte. Eine breite Diskussion über die Risiken einer Abhängigkeit von China war die direkte Folge.
China hat bei seinen Vorhaben einen Vorteil: Es gilt in vielen Nehmer-Ländern als eher großzügig und direkt, was den Geldfluss angeht. Statt, wie dem Westen oftmals vorgehalten wird, viele Forderungen zu stellen und Prozesse mit zu viel Bürokratie zu verlangsamen, ist China oftmals interessiert und bereit dann unkompliziert zu investieren, wenn andere es nicht sind. Durch diese Strategie ist China in den letzten Jahren zum größten öffentlichen Gläubiger weltweit aufgestiegen. Die Neue Seidenstraße unterstreicht somit durchaus die Ambitionen wirtschaftlich, als auch geopolitisch zur Großmacht aufzusteigen. Mittlerweile sind rund 70 Länder an dem Mega-Projekt beteiligt, darunter auch Süd- und Osteuropäische, für die China auf der einen Seite wie eine Art Entwicklungshelfer fungiert und auf der anderen ein durchaus ernstzunehmendes Druckmittel auf Brüssel darstellt.
Ein anschauliches Beispiel für Chinas strategische Investitionen in europäische Infrastruktur ist der Hafen von Piräus in Griechenland. Als erste große Investition in einen europäischen Hafen erwarb der chinesische Staatskonzern Cosco, die gleiche Firma wie in Hamburg, 2016 die vollständige Kontrolle über den Hafen. Diese Investitionen haben durchaus Auswirkungen auf die politische Haltung der Empfängerländer: So blockierte Griechenland bereits EU-Resolutionen, die sich kritisch mit der Menschenrechtssituation in China auseinandersetzten. Auch der Fall Italiens zeigt die Komplexität der wirtschaftlichen Verflechtungen mit China: Als erstes G7-Land trat Italien 2019 der Neuen Seidenstraße bei. Mittlerweile diskutiert das Land jedoch einen Ausstieg aus dem Projekt, da die erhofften wirtschaftlichen Vorteile ausblieben – Italien importiert nach wie vor deutlich mehr Waren aus China als umgekehrt.
Der Europäischen Union blieb dieses Engagement Chinas nicht verborgen, sodass sie sich 10 Jahre nach China dazu entschied, ebenfalls einen globalen Investitionsplan vorzulegen. Der Name dieses Prestigeprojektes lautet: Global Gateway Initiative. In diesem Rahmen stellen die G7-Staaten 600 Milliarden Euro, wovon die EU 300 Milliarden Euro beisteuert, in Aussicht. Die Hauptlast sollen die 27 Mitgliedsstaaten und private Investoren tragen. Ursula von der Leyen stellte das Projekt wie folgt vor: „Wir werden intelligente Investitionen in hochwertige Infrastruktur fördern, die entsprechend unseren Werten und Ansprüchen höchsten Sozial- und Umweltstandards genügen. Die Global-Gateway-Strategie zeigt auf, wie Europa sich krisenfester mit der Welt vernetzen kann.“ Der Westen positioniert sich somit als demokratische, kapitalistische Alternative zu China, sozusagen als „systemischer Rivale“. Es soll ausdrücklich nicht um schnelles Geld oder neue Abhängigkeiten gehen. Allerdings gibt es neben Lob á la „endlich wird sich gegen China zur Wehr gesetzt“, auch viel Kritik an der Initiative, da diese doch recht unkonkret bleibt. Von der Leyen spricht z.B. von Wasserstoff, Unterseekabeln und Transportnetzen. Konkrete, schnell umzusetzende Pläne werden dabei aber nicht vorgelegt. Ein weiterer Kritikpunkt ist der vergleichsweise geringe Geldbetrag. Viele der versprochenen Gelder für das Projekt sind nämlich vorher bereits fest verplant, dementsprechend also nicht als neue Investition zu werten. Im Gegensatz zu den riesigen Investitionen in die Neue Seidenstraße ist das Budget der EU am Ende dann doch vergleichsweise geringfügig.
Obwohl Chinas Wirtschaft aktuell große Probleme hat, kann das Projekt der neuen Seidenstraße bisher als Erfolg für das Land betrachtet werden. Wichtig dabei zu nennen spielen zunehmend Investoren aus autokratischen Staaten wie Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten eine wichtige Rolle bei der Finanzierung, wodurch China seine Beziehungen in den Nahen Osten weiter ausbauen kann. Es ist gelungen, zahlreiche neue Verbindungen und Partnerschaften zu schließen und zu zeigen, dass man als aufstrebendes Land bereit ist, global Verantwortung zu übernehmen und sich als Alternative zum Westen zu positionieren. Inwiefern die EU den Vorsprung der Volksrepublik noch aufholen kann, bleibt abzuwarten.